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Die 8 größten Mythen zum Klimawandel und was die Wissenschaft dazu sagt

Ist doch schön, wenn es etwas wärmer wird! Das Klima auf der Erde hat sich schon immer gewandelt. So oder so ähnlich reden sich viele den Klimawandel schön – und liegen falsch.
Bild: imago | Tim Wagner

Polkappen und Gletscher sind geschmolzen, der Meeresspiegel ist um mehrere Meter gestiegen und hat Küstenstädte von New York bis Bangkok überflutet. Jeder hat Bekannte, deren Häuser schon durch Stürme und Überschwemmungen zerstört wurden. Viele einst grüne Regionen der Welt sind zu Wüsten geworden. Viele Tiere und Pflanzen sind ausgestorben, während in Deutschland Palmen heimisch geworden sind. Weltweit sind Millionen Menschen auf der Flucht, weil ihre Heimat unbewohnbar geworden ist.

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So oder so ähnlich lauten die pessimistischen Prognosen für die nächsten Jahrzehnte und Jahrhunderte. Doch wird es wirklich soweit kommen? Sind die vielen Hitzerekorde des Sommers 2018 die Vorboten dieses Klimawandels? Kaum ein Thema ist wissenschaftlich so gut erforscht wie die menschengemachte Erderwärmung. Trotzdem ranken sich darum jede Menge Gerüchte, Verschwörungstheorien und Halbwahrheiten.

Mythos 1: Hitze, Stürme und Fluten sind kein Klimawandel, sondern Wetter

Überall auf der Nordhalbkugel werden Spitzentemperaturen gemessen, in Deutschland herrscht eine lang anhaltende Dürre, Bauern klagen über die schlechte Ernte. Ausgerechnet Schweden hat neuerdings ein Problem mit Waldbränden und ein besonderer Weltrekord stammt aus Oman: Dort wurden 42,6 Grad gemessen, und zwar am kühlsten Zeitpunkt in der Nacht. Sind all das schon die Anzeichen der Erderwärmung – oder erleben wir einfach nur einen besonders heißen Sommer?

Natürlich ist ein heißer Sommer noch längst kein Klimawandel – und ein verregneter Sommer bedeutet auch nicht, dass der Klimawandel Unsinn ist. Wetter ist, was draußen vor unserer Tür passiert, Klima ist Statistik. Eine einzelne Hitzewelle, eine Dürre, eine Überschwemmung, all das sind Wetterereignisse. Doch dass solche extremen Wetterereignisse offensichtlich häufiger auftreten als früher, ist als klare Folge des Klimawandels zu werten.

Die seit Jahrzehnten weltweit erhobenen Wetterdaten belegen, dass die Durchschnittstemperaturen ansteigen. Sogenannte Extremwetterereignisse wie Stürme, Dürren und Überschwemmungen kommen häufiger vor. Das belegen Recherchen des Climate Service Center. Die Institution wurde von der Bundesregierung eingerichtet, um Strategien für den Klimawandel zu entwickeln. Auch Versicherungsunternehmen können den Klimawandel belegen. In den Statistiken des Rückversicherers Munich RE zeigt sich nämlich: Die Schäden durch extreme Wetterereignisse haben zugenommen.

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Mythos 2: Die Erderwärmung ist nicht von Menschen gemacht

Immer wieder zweifeln Kritiker, ob der Klimawandel wirklich von Menschen gemacht wurde, sogar führende Nachrichtenmedien schreiben darüber. "Klimawandel: Physiker zweifelt am Ausmaß der menschlichen Schuld" titelte etwa Der Standard im Januar 2018. Die Süddeutsche Zeitung schrieb im März 2017: "Schuld am Klimawandel ist der Mensch - oder doch nicht?" Dabei lassen die bisherigen Erkenntnisse der Wissenschaft kaum einen Zweifel an der Frage.

In einer Sache muss man den Klima-Kritikern zunächst Recht geben: Das Klima der Erde verändert sich langfristig. Aus uraltem Gestein und durch Bohrung aus der Tiefe hervorgeholten Eisbrocken können Forscher ablesen, wie hoch die Temperaturen in vergangenen Jahrtausenden waren. Demnach war die Durchschnittstemperatur vor 5 Millionen Jahren etwa 5 Grad höher als heute, zwischendurch, in der letzten Kaltzeit, war sie aber auch mal um 5 Grad kälter. Ursache für diese natürlichen Klimaschwankungen ist etwa die Bewegung der Kontinente, schwankende Sonnenaktivität oder auch Vulkanausbrüche, die Klimatologen bereits ausführlich erforscht haben.

All das ist aber weder eine Erklärung für die aktuellen extremen Wetterereignisse noch für die gestiegenen Temperaturen auf der Erde. Denn der Wechsel zwischen Warm- und Kaltzeiten dauerte jeweils mindestens mehrere 1.000 Jahre, sodass sich die Natur langsam anpassen konnte. Die heutige Erderwärmung läuft dagegen mit einem atemberaubenden Tempo seit Beginn der Industrialisierung ab etwa 1850 ab, was die Ökosysteme unter Stress setzt. Die einzig logische Erklärung dafür ist das Modell des menschengemachten Ausstoßes von Treibhausgasen. Da sind sich führende Institutionen wie die Max-Planck-Gesellschaft und das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung einig.

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Mythos 3: US-Milliardär George Soros bezahlte Al Gore für die Verbreitung der "Klimalüge"

"Wenn die Sonne ganz doll strahlt, könnte es ja sein, dass die Ozeane ganz warm werden und ganz viel CO2 abgeben. (…) Wir sollten die Sonne verklagen." Dieser Satz stammt nicht aus einem Blog für Verschwörungstheoretiker, sondern aus einem Interview mit der Juristin und heutigen AfD-Bundestagsabgeordneten Beatrix von Storch. Es erschien im Jahr 2017 auf YouTube. Von Storch bezeichnete auch ihre politischen Gegner auf Twitter als "Klimanazis". Menschen, die den Klimawandel radikal verharmlosen oder gar leugnen, sitzen also sogar im Deutschen Bundestag.

Es gibt sogar eine Szene selbsternannter Klimaexperten. Einer davon ist etwa der Buchautor Kurt G. Blüchel. Sein Buch "Der Klimaschwindel" dient sogenannten Klimaskeptikern bis heute als Argumentationsgrundlage für Verschwörungstheorien. Von einer solchen Verschwörung schreibt auch Andreas Kreuzmann auf seiner Webseite klimaskeptiker.info. Er spricht gar von einer "Klimareligion" und will offenbar "die egoistische Bereicherung von Klimaforschern, Medien, Industrie und Politik beenden".

In anderen Verschwörungsblogs heißt es, der US-Milliardär George Soros habe Al Gore, den ehemaligen Vizepräsidenten der USA, dafür bezahlt, die sogenannte Klimalüge zu verbreiten. Abgesehen davon, dass der Klimawandel keine "Lüge" ist, gibt es für diese Behauptung schlicht keine Belege.

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Mythos 4: China hat sich den Klimawandel ausgedacht, um dem Westen wirtschaftlich zu schaden

"Die Erderwärmung wurde von den Chinesen erfunden, damit die US-Industrie nicht mehr konkurrenzfähig ist", twittert Donald Trump schon im Jahr 2012 auf Englisch, bevor er US-Präsident wurde.

Das ist nur einer von zahlreichen Tweets, in denen Trump deutlich macht, dass er den Klimawandel für einen Hoax hält. Egal wie absurd diese Verschwörungstheorien sind – aus dem Mund eines US-Präsidenten sind sie für viele Menschen wohl besonders überzeugend.

Im Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change sammelt Brigitte Knopf wissenschaftliche Studien zum Klimawandel. Die Generalsekretärin glaubt: "Mit naturwissenschaftlichen Fakten gegen Verschwörungstheorien zu argumentieren, ist relativ aussichtslos". Daraus folgt, es würde wohl kaum Sinn ergeben, diese absurde China-These mit wissenschaftlichen Studien zu widerlegen. Brigitte Knopf möchte Verschwörungstheoretikern lieber eine Gegenfrage stellen: "Wenn das so wäre, warum investieren dann so viele Firmen in Wind- oder Solarenergie – selbst in Texas, einem Bundesstaat, der nicht gerade als politisch besonders progressiv gilt?"

Mythos 5: Die Niederlande werden im Meer versinken

Wer einen Eindruck davon bekommen möchte, wie sich ohne Deichbau die Küstenlinien durch den Meeresanstieg ungefähr verändern dürften, kann mit diesem auf Google Maps basierendem Online-Tool herumspielen, das sich auf Daten der NASA stützt | Bild: Screenshot | flood.fire.tree.net

Bereits ein Meeresanstieg von ein bis zwei Metern würde große Teile der Niederlande unter Wasser setzen und Amsterdam zur Insel machen. Bremen bekäme einen Badestrand direkt an der Nordsee. Das könnte eines Tages wirklich passieren, allerdings sind wir davon noch weit entfernt. Fest steht, das Eis der Polarregionen und Gletscher schmilzt bereits heute und auf diese Weise steigt der Meeresspiegel an. Verwirrend sind aber die verschiedenen Zahlen zum Anstieg des Meeresspiegels: Sie reichen von einem halben Meter bis 80 Meter.

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Dieser riesige Unterschied lässt sich aber erklären: Zwischen 1880 und 2009 ist der Meeresspiegel weltweit um 21 Zentimeter gestiegen. Bis zum Jahr 2100 ist laut Bundesumweltamt mit einem Anstieg um einen halben bis eineinhalb Meter zu rechnen. Ein solcher Anstieg bedroht einige Inselstaaten im Südpazifik. Theoretisch könnten dadurch auch große Teile der Niederlande überschwemmt werden. Aber reiche Länder wie die EU-Staaten können relativ problemlos Milliarden investieren, um höhere Deiche zu bauen. Anders sieht es bei weniger reichen Ländern aus, wie ein Vergleich zwischen den Niederlanden und Bangladesch zeigt, den die NGO Germanwatch erstellt hat: In Bangladesch würden 10 bis 15 Millionen Menschen ihre Heimat verlieren, wenn der Meeresspiegel um einen Meter ansteigt.

Andere Zahlen zum Anstieg des Meeresspiegels beziehen sich auf weitaus größere Zeiträume. So ist laut eines Sondergutachtens des wissenschaftlichen Beirates der Bundesregierung in rund 300 Jahren mit einem Anstieg von drei bis fünf Metern zu rechnen, wenn es zu einer Erderwärmung um 3 Grad kommt. Rein theoretisch würde dem US Geological Survey zufolge der Meeresspiegel um bis zu 80 Meter steigen, wenn das gesamte Polareis und alle Gletscher dieser Welt schmelzen.

Allerdings würde das einige Tausend Jahre dauern und es ist nicht belegt, dass die derzeitige Erderwärmung dafür ausreicht: Während sich der Rückgang des Eises am Nordpol und auf Grönland gut beobachten lässt, gibt die Antarktis den Forschern noch Rätsel auf, denn die Menge des Eises nimmt offenbar immer wieder ab und zu.

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Mythos 6: Ist doch schön, wenn das Wetter ein wenig wärmer wird!

Ein warmes Wochenende ist schön, ein global wärmeres Klima aber eindeutig nicht. Französische Forscher schätzen, durch die Hitzewelle im Jahr 2003 sind etwa 70.000 Menschen in Europa gestorben. Betroffen sind besonders ältere Menschen und solche, die an Herz-Kreislauf-Erkrankungen leiden. Bereits jetzt lässt sich beobachten, dass sich Pflanzen- und Tierarten weiter nach Norden verbreiten. Auch die Jahreszeiten und die Blütezeit von Pflanzen verschieben sich.

Das könnte langfristig Wirtschaft und Ökosysteme in Deutschland durcheinander bringen. Zum Beispiel könnte das Klima die Bauern dazu zwingen, andere Pflanzen zu säen, neue Schädlinge könnten sich verbreiten; subtropische Pflanzen könnten die Bäume in unseren Wäldern verdrängen. Eine eher überraschende Folge des Klimawandels in Deutschland: Es könnte nicht mehr genug Strom geben. Denn Stromkraftwerke benutzen Kühlwasser aus Flüssen und diese Flüsse könnten bei zu viel Hitze vorübergehend austrocknen oder schlicht zu warm werden.


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Brigitte Knopf vom Mercator Research Institute schätzt, dass Hitze sich negativ auf die Wirtschaft eines Landes auswirkt. Der einfache Grund: Bei Hitze können Menschen nicht so gut arbeiten. "Die Produktivität ist bei einer Jahresdurchschnittstemperatur von circa 13° C am höchsten und nimmt bei höheren Temperaturen stark ab", erklärt die Wissenschaftlerin im Gespräch mit Motherboard. "Das bedeutet, der Klimawandel kann auch die Industrieländer stark in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung einschränken." Wie beim Meeresanstieg würde diese Entwicklung ärmere Länder wesentlich härter treffen als Mitteleuropa.

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Mythos 7: Der Klimawandel wird Millionen von Menschen dazu bringen, aus ihrer Heimat zu fliehen

An diesem Mythos ist wahrscheinlich etwas dran: Nach Schätzungen der Vereinten Nationen waren bereits 2008 36 Millionen Menschen wegen Naturkatastrophen auf der Flucht, davon etwa 20 Millionen wegen der Folgen des Klimawandels. Wissenschaftlich lässt sich das nur ungefähr schätzen, vor allem weil Flucht viele Ursachen hat. Forschende mehrerer US-Universitäten sehen sogar einen Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und dem Ausbruch des Krieges in Syrien, denn dem Krieg ging eine Dürre voran.

Derzeit kann niemand genau vorhersagen, wie sehr der Klimawandel das Leben auf der Welt schwerer macht, etwa durch Wasserknappheit, Naturkatastrophen oder Kriege um Ressourcen. Sehr wahrscheinlich ist jedoch, dass die Zahl der Geflüchteten insgesamt steigen wird.

Mythos 8: Es ist längst zu spät, das Klima zu retten

Das stimmt nur teilweise: Die Erderwärmung findet statt und lässt sich ohne weiteres auch nicht mehr rückgängig machen. Trotzdem wäre es falsch zu glauben, jetzt sei ohnehin alles egal. Denn die Menschheit kann sehr wohl noch beeinflussen, wie gravierend der Klimawandel wird. Wir haben darüber mit dem Forscher Mojib Latif gesprochen, er ist Leiter des Kieler Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung. "Die Prognosen von vor 30 Jahren sind im Wesentlichen eingetreten", sagt Latif. Die Lebensbedingungen auf der Erde seien bereits heute durch extremes Wetter deutlich schlechter als damals. "Ganz aufhalten können wir den Klimawandel nicht mehr", so Latif. "Die Menschheit wird zwar überleben – aber unter welchen Bedingungen?"

Damit die Folgen des Klimawandels erträglich bleiben, müsse die Menschheit Latif zufolge die Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad begrenzen. Dazu müsste das Pariser Klimaabkommen eingehalten werden, das besagt: Der Ausstoß von Treibhausgasen muss bis zur Mitte des Jahrhunderts auf Null sinken. "Danach benötigen wir negative Emissionen", sagt Latif. "Das heißt, wir müssen mehr Kohlendioxid aus der Luft zurück in den Boden holen, zum Beispiel durch Aufforstung." Auch wenn es simpel klingt: Sobald es dem Menschen gelingt, die Treibhausgase in den Griff zu bekommen, könnten es schlicht Bäume sein, die das Klima wieder ins Lot bringen.

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