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Der Weltraum ist voller Müll – Forscher erzählen, wie sie das Problem lösen wollen

Wenn das Weltall um die Erde herum weiter zumüllt, wird es bald ziemlich gefährlich. Mit Harpunen, Netzen und Segeln ist nun die erste Müllabfuhr ins All gestartet.
Weltraummüll-Symbolbild: Shutterstock | Andrey VP || Müllabfuhr: flickrStefan | CC BY 2.0 || Collage: Motherboard

"Der Weltraum. Unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2200. Dies sind die Abenteuer des Raumschiffs Enterprise." Nehmen wir kurz an, die Star-Trek-Welt wäre in 180 Jahren Realität und wir könnten mit Warp-Antrieb durchs All düsen: Was, wenn ein Raumschiff im Jahr 2200 zwar technisch dazu in der Lage wäre, entfernteste Galaxien zu erreichen, aber einfach nicht mehr von der Erde wegkommen würde? Weil so viel Müll um die Erde kreist, dass es zu einem Glücksspiel wird, den Erdorbit unbeschadet zu verlassen.

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Wenn wir heute nichts tun, könnte dieses Szenario bald Realität werden. Schon jetzt kreisen schätzungsweise 150 Millionen Teile Schrott über unseren Köpfen. Verlorene Werkzeuge, gefrorener Urin, Reste von Satellitenwracks oder auch nur millimetergroße Lacksplitter rasen durchs All.

Der Astrophysiker Dr. Manuel Metz arbeitet mit daran, dass sie Astronauten nicht um die Ohren fliegen. Er leitet das spezielle Weltraummüll-Team vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Bonn. Metz weiß genau, wie groß das Problem ist: Schon Objekte, die kleiner als ein Millimeter sind, können Schaden anrichten, betont er gleich zu Anfang unseres Gesprächs. Treffen sie Solarpanels von Satelliten, beschädigen sie einzelne Solarzellen und verringern so die Energieerzeugung. Im Satellitendesign sei das jedoch einkalkuliert, die Panels großzügig dimensioniert.


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Zentimetergroßer Weltraumschrott reicht, damit ein Satellit in Tausende Stücke zersplittert

Auch die Raumstation ISS musste schon öfter Teilen von Satellitenwracks ausweichen. Einmal traf sie ein Teil, dass nur wenige Tausendstel Millimeter groß war und verursachte einen Riss in einer Scheibe, der einen Durchmesser von sieben Millimetern hatte. "Richtig katastrophal wird es bei etwa zehn Zentimeter großen Teilen", so Metz. "Wenn ein solches Objekt einen Satelliten frontal trifft, würde er explosionsartig auseinandergerissen und in Hunderte, Tausende Trümmer zersplittern."

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Während Elon Musk einen roten Tesla Roadster ins All schießt und Neuseeland eine riesige Diskokugel um die Erde kreisen lässt, machen sich andere Gedanken darüber, wie man Aufräumkommandos für den Weltraum entwickeln kann. Testen könne man solche Ideen aber nur begrenzt:

"Wir können nie mit Sicherheit sagen, dass etwas auch im Weltraum funktioniert, wenn es auf der Erde getestet wurde."

Schwerelosigkeit und die Umweltbedingungen im All ließen sich niemals perfekt simulieren. Ob sie funktionieren, zeigt sich erst im All: Anfang April machte sich die erste Astro-Müllabfuhr auf den Weg zur ISS. Zunächst wird das Projekt mit dem Namen RemoveDEBRIS, an dem ein internationales Forscherteam gearbeitet hat, noch keine echten Trümmer einsammeln. Erstmal soll es selbst Minisatelliten ins All schicken, um unter kontrollierten Bedingungen zu versuchen, sie mit Netzen, Harpunen und Segeln aus ihrer Umlaufbahn zu bringen. So sollen sie kontrolliert Richtung Erde stürzen und beim Eintritt in die Atmosphäre so weit wie möglich verglühen.

Manche Satelliten gehen auf ihre letzte Reise in den Friedhofsorbit

Alexander Hall hat einen wichtigen Teil des Experiments mitentwickelt: die Harpune. Sie funktioniere in etwa wie ein Angelhaken mit Widerhaken, erklärt Hall, der bei Airbus als Ingenieur für Weltraummissionen arbeitet. Fängt die Harpune einen alten, kaputten Satelliten, soll er in die Erdatmosphäre geschoben werden.

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Bei geostätionären Satelliten, die sehr hoch – in etwa 36.000 Kilometern – über der Erde kreisen, funktioniere das jedoch nicht. Die Harpune müsste jede Menge Energie aufwenden, um die Altlasten zurückzustoßen, da sie sehr weit von der Erde entfernt sind. Solche Satelliten wollen die Ingenieure stattdessen in einen sogenannten Friedhofsorbit schicken, der einige hundert Kilometer überhalb ihrer vorherigen Umlaufbahn liegt.

Die Test-Harpune der Airbus-Ingenieure ist relativ klein. "Sie ist etwa 200 Millimeter lang, unser Testsatellit wiegt etwa 100 Kilogramm”, sagt Hall. "Um größere Satelliten zu fangen, brauchen wir viel größere Harpunen. Gerade arbeiten wir an einem Modell, das acht Tonnen schwere Satelliten einfangen kann."

Keine Panik: Bevor dir ein Satellit auf den Kopf fällt, gewinnst du im Lotto

Weltraumschrott Richtung Erde zu schicken, klingt im ersten Moment ziemlich gefährlich. Groß war die Aufregung, als Medien berichteten, die chinesische Raumstation Tiangong-1 würde auf die Erde zustürzen. Tatsächlich stürzt ständig Weltraumschrott auf die Erde, ohne dass wir das Geringste davon mitbekommen. Es hänge von der Bahnhöhe ab, wie schnell ein Teil von allein wieder in die Erdatmosphäre stürzt, erklärt Manuel Metz vom DLR. "Bei Satelliten auf einem 500- bis 600 Kilometer hohen Orbit dauert das typischerweise 20 bis 25 Jahre. Aber je höher man kommt, desto länger dauert es. Bei 800 Kilometern Höhe sind das schon etwa 100 Jahre."

Auf der Erde kommt von diesen Teilen fast nichts mehr an, so Metz. 70 bis 90 Prozent der Masse verglühen einfach durch die Hitze, wenn sie wieder in die Atmosphäre stürzen, die meisten Reste stürzen ins Meer – immerhin besteht die Erdoberfläche zu circa 70 Prozent aus Wasser. Hin und wieder finde man dennoch etwas, vor allem hitzeresistente Teile – etwa Tanks von Raketenstufen.

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Eine Raketenstufe, die in Saudi-Arabien gelandet ist

Diese 70 Kilogramm schwere Raketenstufe landete 2001 in Saudi-Arabien | Bild: NASA

Wir müssen uns also wenig Sorgen machen, dass uns Weltraummüll auf den Kopf fällt, der von einer Harpune aus der Bahn gedrängt wurde. Bisher ist nur ein Fall bekannt, in dem ein Mensch höchstwahrscheinlich von einem Weltraumrelikt getroffen wurde. 1997 prallte während eines Spaziergangs im Park ein 15 Zentimeter langes Stück Metall an die Schulter einer Frau, damals traten gerade Teile einer Raketenstufe in die Erdatmosphäre ein. Verletzt wurde die Frau aber nicht.

Riesige Radare verfolgen den Müll im All

Im All ist es nicht ganz so unwahrscheinlich mit Satellitenteilchen zusammenzustoßen, Wissenschaftler behalten die Schrottstückchen daher so gut es geht im Auge. Es ist gar nicht so einfach, ein Teil von der Größe einer Ein-Euro-Münze zu erkennen, wenn es Zehntausende Kilometer hoch über unseren Köpfen kreist. US-Astronomen haben einen Katalog der Teile angelegt. Für Objekte, die größer als zehn Zentimeter sind, veröffentlichen sie die Flugbahn. Die kann man sich sogar in einer Live-Simulation anschauen.

Screenshot einer interaktiven Weltraummüll-Karte

Wo sich größere Müllteilchen befinden, kann man live auf der Karte "Stuff in Space" verfolgen | Bild: Screenshot via stuffin.space

Mit riesigen, leistungsstarken Radaren tracken Forscher den Müll im All. Einer von ihnen ist Dr. Ludger Leushacke, Ingenieur am Fraunhofer-Institut für Radartechnik, mithilfe der 34 Meter großen Radarschüssel TIRA – für: Tracking und Imaging – bestimmen er und sein Team, ob herumfliegender Schrott für einen Satelliten zum Problem werden könnte. Im Gespräch mit Motherboard erklärt Leushacke: "Aus den Daten der Amerikaner kann man grob sagen: 'Morgen Mittag um 12 Uhr kommt der ISS ein Trümmerteil etwa 200 Meter nahe.'" Diese Vorhersage reiche aber nicht, um Entwarnung zu geben, so Leushacke. "Leider stellen die Amerikaner nur Daten öffentlich zur Verfügung, mit denen wir das nur mit einer Genauigkeit von plus oder minus 300 Metern voraussagen können." Mit TIRA sei es möglich, die Entfernung zwischen einem und fünf Metern genau vorauszusagen.

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Bei Teilen, die weniger als einen Zentimeter groß sind, lässt sich die Flugbahn noch nicht vorhersagen. "Obwohl wir das leistungsfähigste Radar überhaupt haben, ist das noch ferne Zukunft", sagte Leushacke. Die Forscher können jedoch auf einen bestimmten Punkt im All schauen und die Teilchen zählen, die vorbeifliegen. Das hilft einzuschätzen, wie viele Kleinteile überhaupt unterwegs sind. Bei noch kleineren Splittern sind sie auf statistische Modelle angewiesen. Es lässt sich also noch nicht nachzählen, ob wirklich 150 Millionen Teilchen im Weltraum herumfliegen, wie Forscher derzeit anhand von Simulationen annehmen.

Die Radarschüssel des TIRA-Teleskops vom Fraunhofer-Institut für Radartechnik

TIRA wiegt ganze 240 Tonnen, trotzdem kann das Radar sich in nur 15 Sekunden einmal um sich selbst drehen | Bild: Fraunhofer FHR

Europäische Müllschlucker können nicht einfach Trümmer der NASA einsammeln

Im All wie auf der Erde gilt: Am besten ist es, Müll gar nicht erst zu produzieren. Auch wenn Harpunen, Segel und Netze einmal praxistauglich werden sollten, werden sie kaum in der Lage sein, den ganzen Erdorbit aufzuräumen. Und sie dürfen es auch gar nicht. Obwohl der Weltraum allen gehört, gehören die Trümmer weiterhin dem Staat, der sie produziert hat, sagt Metz:

"Das ist so, als würden wir ein Abschleppauto haben und einfach jedes Auto mitnehmen, das auf der Straße steht. Da wird der Besitzer nicht sehr erfreut sein. Wir Europäer können also nicht einfach ungefragt ein Teil aus einem amerikanischen Projekt aus dem Erdorbit entfernen"

Ein Schritt in Sachen Müllvermeidung auf der ISS ist eine Filteranlage der NASA für Astronauten-Urin und -Schweiß. Seit 2008 können sich die Raumfahrer darüber zusätzlich mit Trinkwasser versorgen und müssen den Urin nicht mehr ins All ablassen, wo er sofort zu Urinschneekristallen gefrieren würde. Bisher konnten sich jedoch nur die US-Astronauten dazu durchringen, das Wasser zu trinken. Der russische Teil der Besatzung konnte sich mit dem Gedanken noch nicht anfreunden.

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