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Wim Noorduin von der Harvard University züchtet kristalline Nano-Blumen

Wir haben den botanischen Chemiker in seinem Labor besucht und die Arbeit an seinen Mini-Kunstwerken dokumentiert.

Es gehört zum menschlichen Dasein dazu, Dinge zu glauben, die man nicht sehen kann. Jahrhunderte lang haben Wissenschaftler mit rigorosen Experimenten gegen die nebulösen Herausforderungen des Unsichtbaren gekämpft. Dieses Katz-und-Maus-Spiel mit der Realität hat viele der Fundamente hervorgebracht, auf denen die moderne Wissenschaft steht. Die beiden Wissenschaftler Robert Hooke und Antonie van Leeuwenhoek zum Beispiel bauten sich ihre eigenen Mikroskope, um winzig kleine Zellen zu entdecken. Die deutschen Physiker Max Knoll und Ernst Ruschka versuchten 1931 mit ihrem ersten Prototyp des Elektronenmikroskops die Welt der Bakterien und Mikroben zu untersuchen.

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Heute erweitert die Wissenschaft beständig die Grenzen dessen, was wir sehen und nicht sehen können. Und zwar nicht nur, indem sie das Potenzial des Elektronenmikroskops voll ausnutzt–sie lässt unter ihm wahre Kunstwerke entstehen. Mit der Kombination von Chemikalien, präzisen Labortechniken und optischer Technologie auf dem neuesten Stand haben zwei Wissenschaftler der Harvard Universität komplexe kristalline Strukturen erzeugt, die wie zarte Blüten natürlicher Blumen aussehen.

Für unsere Dokumentation über diese Nano-Blumen aus Kristall haben wir mit dem „botanischen“ Chemiker Wim Noorduin und Harvard-Professorin Joanna Aizenberg gesprochen.

„Ich habe in den letzten drei Jahren nach Wegen gesucht, Mikro-Strukturen zu züchten, indem ich die Umgebungsbedingungen manipuliert habe. Bei diesen Nachforschungen habe ich gelernt, wie ich Chemikalien kombinieren kann, um Kristalle zu formen, während sie wachsen“, so Noorduin in unserer Dokumentation. „Ich denke, es ist ein elementares Ziel, zu verstehen, wie es möglich ist, derartige Strukturen mit einer solchen Komplexität in einem wirklich kleinen Maßstab zu machen. Ab da werden nur einige wenige ansatzweise verstehen, wie die Natur diese ganzen faszinierenden Strukturen erzeugt.“

„Jede Struktur hat vielleicht den Durchmesser eines Haares. Die Kristalle sind so klein und werden von diesem formlosen Material zusammengehalten, so dass man sie im Grunde in jede beliebige Form bringen kann.“

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„Um die Strukturen zu züchten, mischen wir zwei Ausgangsmaterialien“, erklärt Noorduin. „Sobald ich das getan habe, beginnt die Reaktion und wir warten zwei Stunden. Wir können diese chemische Reaktion jetzt nutzen, um eine beliebige Form zu erzeugen. Die Tatsache, dass man so eine Blume in nur zwei Stunden züchten kann, ermöglicht einem eine Vielzahl an Experimenten. Man kann so sehr schnell viel lernen.“

„In den vergangenen Jahren haben ich Tausende dieser Proben gezüchtet. Ich habe vielfach versucht, Strukturen übereinander zu stapeln, während sie wuchsen. Ich bemerkte natürlich, dass einige Dinge ästhetisch besser funktionieren als andere. Und ich entwickelte einen Stil, in dem die meisten Strukturen wie Blumen aussahen.“

Für Noorduin und sein Team haben diese Entwicklungen von nano-kristalliner Architektur beispiellose, neue Fragen für Chemiker, Physiker und Ingenieure aufgeworfen. „Kann man wirklich eine Botschaft in Morsezeichen auf eine Blume schreiben? Kann ich eine Koralle direkt auf einen Stengel setzen? Für mich  geht es darum, die Grenzen auszuloten, das System zu kontrollieren und aufregende Strukturen zu züchten“, so Noorduin.

The Creators Project sprach auch mit Joanna Aizenberg, Professorin für Chemie an der Harvard University und einer der größten Förderer von Noorduin. Über die Bedeutung seiner kristallinen Nano-Blumen sagt Aizenberg: „Grundlagenwissenschaft ist kritisch. Wir müssen verstehen, wie und warum Dinge sich zusammenfügen. Wie und warum das Entstehen von Formen zu bestimmten Strukturen führt. Ohne dieses grundlegende Verständnis werden wir nie in der Lage sein, Strukturen, Materialien und komplexe Systeme für zukünftige Geräte zu entwerfen.“

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Aizenberg wird poetisch, wenn sie darüber spricht, warum die winzig kleinen Strukturen nicht nur wissenschaftlich, sondern auch künstlerisch intakt sein müssen:

Der interessante Aspekt dieser Interaktion war die Berücksichtigung des Schönen, des künstlerischen Werts. Wenn wir neue Strukturen entwerfen, müssen neue Materialien immer auf ihr ästhetisches Erscheinungsbild hin überprüft werden. Wir benutzen es als ein Modellsystem. Es müssen nicht diese Materialien sein. Es ist die schlichte Einfachheit dieser Kombination, die uns hilft zu verstehen, wie Formen, Kurven und komplexe hierarchische Architekturen entstehen.“

Stellt euch vor: im Labor gezüchtete Skulpturen mit der individuellen Komplexität eines Fingerabdrucks. Wir haben auf ein Sandkorn geätzte Schlösser gesehen, aber Blumen auf einer Münze?

Was den Zugang zu Noorduins neu entwickelter Methode angeht, gibt es ebenfalls Einiges zu sagen. „Der Großteil bedeutender Wissenschaft wird mit sehr teurem Equipment gemacht. Ein Vorteil meiner Forschung ist, dass man einfach zwei sehr günstige Chemikalien nimmt, sie mischt und schon anfängt, wissenschaftlich zu arbeiten. Die Methode ist wirklich sehr zugänglich.“

Was kommt also als Nächstes? Der kristalline Nano-Baukasten für Kinder?

Vielleicht muss Noorduin erst auhören, so viel Spaß an seiner Forschung zu haben. „Ich gucke jetzt seit drei Jahren auf diese merkwürdigen weißen Streifen auf Platten, die nur zwei, drei Zentimeter groß sind. Und jedes Mal bin ich beeindruckt, dass sich ein komplettes Korallenriff darauf verbirgt, in das man eintaucht, sobald man unter das Mikroskop blickt“, schwärmt er. „Ich bemerke oft, wie ich vergesse, Fotos zu machen, weil ich mir immer weiter die Proben anschaue und neue Strukturen entdecke, in denen ich mich verliere. Diese kleinen Proben enthalten wirklich ihre eigene Welt.“

Wie wurden diese feinen Mikro-Kunstwerke denn bisher aufgenommen? „Das Feedback ist sehr breit gestreut. Natürlich gibt es viele Wissenschaftler, die diese Arbeit interessant finden. Viele Leute auf der ganzen Welt sind von den Formen fasziniert; man muss bedenken, dass diese Bilder drei Jahre lang nur auf meinem Computer waren, und dann auf einmal verbreiteten sie sich an einem Tag im ganzen Internet–das war sehr merkwürdig für mich.“

Zum Abschluss hat Noorduin noch ein besonderes Vergnügen für euch. Setzt eure 3D-Brillen auf und genießt diese kristallinen Nano-Blumen:

Fotos mit freundlicher Genehmigung des Künstlers