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Prozess gegen mutmaßlichen Waffenhändler: Ermittlungen offenbaren Geldflüsse von rechten Verlagen

Lange suchten Ermittler den Betreiber des rechten Waffenshops Migrantenschreck, jetzt beginnt in Berlin der Prozess gegen Mario R. Nach Motherboard-Informationen könnte es später noch eine zweite Anklage geben.
Mario Rönsch bei der Festnahme in Budapest
Mario Rönsch bei seiner Festnahme im März 2018 im vornehmen Budepester Stadtteil Pasarét | Bild: Michael Körner | Motherboard

Noch Anfang des Jahres lebte Mario R. in einem wohlhabenden Stadtteil von Budapest, seit fünf Monaten sitzt er in einer Zelle in einem Berliner Untersuchungsgefängnis. An diesem Donnerstag beginnt nun der Prozess gegen den 35-Jährigen vor dem Berliner Landgericht. Bereits Anfang 2016 soll Rönsch untergetaucht sein und sich Richtung Ungarn abgesetzt haben. Von dort aus soll er den illegalen rechten Online-Shop "Migrantenschreck" aufgebaut, betrieben und hunderte Waffen nach Deutschland verschickt haben. Davon geht zumindest die Berliner Staatsanwaltschaft aus, die Rönsch im März 2018 in Budapest durch ein Spezialkommando festnehmen und nach Deutschland ausliefern ließ.

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Das Verfahren könnte auch neue Details darüber ans Licht bringen, wie eng Mario Rönsch mit wichtigen Verlagen der Neuen Rechte zusammenarbeitete. Um die Hetzseite Anonymous.Kollektiv, in deren Zusammenhang der Name Rönsch immer wieder gefallen ist, wird es jedoch in dem Prozess nur am Rande gehen.

Der Vorwurf der Generalstaatsanwaltschaft: Illegaler Waffenhandel über die Website Migrantenschreck, die von Mai 2016 bis Ende Januar 2017 online war. Neben dem Shop-Angebot hetzte Migrantenschreck auch in Blogposts gegen Flüchtlinge und fantasierte davon, dass es "nicht mehr lange dauern wird, bis Deutschland in einem Bürgerkrieg versinkt". Auch Anonymous.Kollektiv, die größte deutsche Hetzseite, die es zu dieser Zeit auf Facebook gab, warb zum Start der Seite mit auffällig vielen Posts für Migrantenschreck.

Das Geschäft mit der Angst scheint funktioniert zu haben: Rönsch soll über die Website Pistolen, Revolver und Gewehre im Wert von 100.000 Euro verkauft haben. Davon geht die Staatsanwaltschaft nach Auswertung von Kontodaten und den Computern von Mario Rönsch aus.

Bei Migrantenschreck decken sich nicht nur Rechtsextreme mit Waffen ein

Der Prozess markiert einen der seltenen Fälle, in denen deutsche Ermittler einen Betreiber rechtsextremer Websites angeklagt haben. Das liegt auch daran, dass die Website von Migrantenschreck mit ihrem zynischen Namen, den Waffenangeboten und den Blogposts extremer war als andere rechte Hetzseiten, die in den vergangenen Jahren gegen Flüchtlinge wetterten.

Unter dem Namen Migrantenschreck wurden auf YouTube "Produkttest"-Videos hochgeladen, in denen auf Gesichter deutscher Politiker und Politikerinnen wie Claudia Roth oder Heiko Maas geschossen wird. Auf der Website Migrantenschreck.ru wurden die Waffen als "Verteidigung" gegen "Ficki-Ficki-Fachkräfte" beworben.

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Eine Waffe aus dem Online-Shop Migrantenschreck, die vom Frankfurter Zoll bei einer Razzia beschlagnahmt wurde.

Eine der Waffen, die der Frankfurter Zoll im Januar bei Razzien sicherstellte. Inzwischen gab es bereits mehrere Ermittlungsverfahren gegen Kunden von Migrantenschreck | Bild: Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt

Die verschwörungstheoretische und rassistische Rhetorik verfängt offensichtlich bei den Kunden. "Ich will ja keinen Flüchtling damit töten. Es geht darum, denen einen Denkzettel zu verpassen", erklärt ein Migrantenschreck-Kunde seine Beweggründe, als Journalisten von Motherboard und SZ.de an seiner Tür klingeln. Den Medien waren zuvor Kundendaten der Website zugespielt worden. Auf der Seite bestellten KfZ-Mechaniker, Architekten, Ärzte, alleinerziehende Mütter und Familienväter, die die AfD wählen.


Alle Hintergründe zum Waffenshop-Migrantenschreck: Wie ein Leak die Kunden verriet und warum die Bestellenden sich mit Waffen eindecken wollten:

Die Berliner Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Rönsch in 193 Fällen Waffen nach Deutschland versandt haben soll. Laut der Motherboard vorliegenden Datenbank gab es auch Bestellungen aus Russland, Österreich, Spanien und der Schweiz. Screenshots aus dem internen Serverbereich, die Motherboard zugespielt wurden, zeigen auch, dass der Shop allein im Oktober 2016, einem der umsatzstärksten Monate, über 35.000 Euro umsetzte.

Die Waffen aus dem Shop schießen zwar nur Hartgummigeschosse ab, doch die Feuerkraft ist so hoch, dass damit Menschen tödlich verletzt werden können. "Dem Verkäufer war die hohe Energieleistung der Waffen und die damit einhergehende Gefährlichkeit aus unserer Sicht bewusst", sagt die ermittelnde Staatsanwältin Susann Wettley im Zuge der Festnahme gegenüber Motherboard. Ob die Staatsanwaltschaft Rönsch dies nachweisen kann, dürfte über die Höhe des Strafmaßes mitentscheiden. Bei einer Verurteilung für illegalen Waffenhandel drohen Rönsch zwischen sechs Monaten und fünf Jahren Haft. Auch den Kunden, die auf Migrantenschreck bestellt haben, drohen rechtliche Konsequenzen. Nach Razzien von Zollfahndern mussten sich mehrere Käufer inzwischen vor Gericht verantworten.

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Mario Rönsch soll Geld vom Compact Magazin und dem Kopp Verlag bekommen haben

Die ZDF-Reporterin Dunja Hayali berichtet im Oktober 2015 von einer AfD-Demonstration mit Björn Höcke auf dem Erfurter Marktplatz.

Mario Rönsch drängt sich bei einer AfD-Demonstration im Oktober 2015 vor das Mikrofon von Dunja Hayali. Zu diesem Zeitpunkt soll Rönsch bereits für das Compact Magazin gearbeitet haben; wenige Monate später war er für deutsche Ermittler nicht mehr auffindbar | Screenshot: ZDF Morgenmagazin

In dem Prozess dürfte es aber nicht nur um Waffenhandel gehen. Das Verfahren könnte auch Belege dafür liefern, dass zwei der wichtigsten Publikationen aus dem rechten Spektrum zumindest zeitweise wohl eng mit Rönsch zusammengearbeitet haben: der Kopp Verlag und das Compact Magazin. Das sollen die Bankdaten zeigen, die die Staatsanwaltschaft ausgewertet hat. Demnach hat Rönsch mehrfach Geld von der Compact-Magazin GmbH erhalten. Dass der Erfurter bereits Anfang 2015 für das Magazin gearbeitet haben soll, bestätigte auch ein leitender Mitarbeiter aus dem Verlag gegenüber Motherboard, Rönsch sei schließlich sogar zum Verantwortlichen für das Online-Marketing aufgestiegen.

Zwar haben Compact und Rönsch ihre Zusammenarbeit später beendet, zuvor jedoch soll Rönsch laut der Kontoauswertungen einen hohen fünfstelligen Betrag von Compact erhalten haben. In vier Überweisungen habe Rönsch weit über 50.000 Euro bekommen. Eingegangen war das Geld auf einem Schweizer Konto. Dort seien auch Zahlungen in fünfstelliger Höhe des Kopp Verlags angekommen, heißt es aus Justizkreisen. Außer den Einnahmen von Migrantenschreck und den Überweisungen von Kopp und Compact soll Rönsch nach bisherigen Erkenntnissen keine weiteren Einnahmequellen in den letzten beiden Jahren gehabt haben.

Rönsch könnte auch wegen Anonymous.Kollektiv angeklagt werden

Das Verfahren wegen Waffenhandel könnte aber nicht der letzte Prozess sein, der Rönsch in Berlin erwartet. Nach Motherboard-Informationen ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft inzwischen auch wegen Volksverhetzung gegen Rönsch. Da Rönsch jedoch aus Ungarn allein wegen Waffenhandel ausgeliefert wurde, muss dieser Straftatbestand zunächst in einem einzelnen Verfahren verhandelt werden. Die Ermittlungen wegen Volksverhetzung dauern unterdessen noch an.


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Im Video: Hausbesuch bei einem Migrantenschreck-Kunden

Bei den Klagen wegen Volksverhetzung könnte es auch um die Facebook-Seite Anonymous.Kollektiv gehen, die mit flüchtlingsfeindlichen und antisemitschen Posts zwischenzeitlich fast zwei Millionen Follower erreichte. Die Seite wurde zwar kurz nach dem Start von Migrantenschreck im Mai 2016 von Facebook abgeschaltet, tauchte jedoch danach schnell im russischen Netzwerk vKontakte und mit einem eigenen Blog unter russischer Domain wieder auf.

Rönsch bestritt in der Vergangenheit vehement, etwas mit Anonymous.Kollektiv zu tun zu haben. Journalisten, die etwas anderes behaupteten, ließ er abmahnen. Der Name Rönsch fällt jedoch in der Anzeige des Grünen-Politikers Volker Beck gegen Anonymous.Kollektiv und taucht auch in einem Motherboard und SZ.de vorliegenden internen Screenshot der Facebook-Seite auf.

Der 35-Jährige hat sich während der Ermittlungen bisher nicht zu den Vorwürfen geäußert, heißt es aus Justizkreisen. Auch bei seiner Festnahme im März schwieg er. Was genau Rönsch in den letzten Jahren angetrieben haben könnte, bleibt somit bisher unklar. Ist er ein rechter Überzeugungstäter oder ein Opportunist, der die Angst vor Flüchtlingen für seinen Profit nutzt? "Ich denke, er ist beides", sagt die Staatsanwältin Susann Wettley. "Er nutzt eine Ideologie, um Geld zu verdienen."

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Update (29.11.2018.; 9:30): In einer früheren Version des Textes hieß es, dass die von Ermittlern eingesehenen Zahlungen durch den Kopp Verlag in vierstelliger Höhe lagen, tatsächlich beliefen sie sich zusammengerechnet insgesamt auf einen fünfstelligen Betrag. Wir bedauern die Ungenauigkeit und haben den Fehler korrigiert.