Ein Mann mit Gummihandschuhen und einer Nasenklammer, der kurz davor ist, eine Stuhltransplantation, FMT, bei sich selbst durchzuführen
Josiah bei seiner DIY-Stuhltransplantation | Fotos von den Protagonisten bereitgestellt
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Wie eine Kot-Transplantation dein Leben retten kann

Zwar kommt man weitaus leichter an Scheiße als an eine Niere, aber die Risiken für die Empfänger sind hoch.

Unsere Darmflora ist eine wunderschöne Sache. Die Trillionen von Mikroorganismen, die fröhlich in unserem Verdauungstrakt leben, spielen eine wichtige Rolle für unsere körperliche und geistige Gesundheit. Auch wenn der Forschungsbereich noch relativ jung ist, sind die ersten gesammelten Erkenntnisse über das menschliche Mikrobiom vielversprechend. Wenn wir eines Tages hinter die Geheimnisse einer gesunden Darmflora kommen, könnten damit verschiedenste Probleme behandelt werden – vom Reizdarmsyndrom bis möglicherweise sogar zum Alkoholismus.

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Gerät die Darmflora allerdings ins Ungleichgewicht, kann sie dir das Leben zur Hölle machen. Clostridioides difficile, oder kurz C. difficile ist zum Beispiel ein natürlich im Darm vorkommendes Bakterium. Gewinnt es im Verdauungstrakt die Oberhand, bekommst du schweren Durchfall und kannst sogar sterben. Auslöser ist häufig der exzessive Einsatz von Antibiotika. Die Behandlung kann sich, wie der Name schon sagt, extrem schwierig gestalten.


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Jahrzehntelang wurde C. difficile mit speziellen Antibiotika behandelt – mit begrenztem Erfolg. Schließlich kam man auf die Idee, Feuer mit Feuer zu bekämpfen – also mit Kacke. 2013 erschien eine Studie, die zeigte, dass sich fäkale Mikrobiota-Transplantationen, kurz FMT, viel besser zur Behandlung von C. difficile eignen als Antibiotika. Umgangssprachlich wird das Verfahren auch Stuhl- oder Fäkaltransplantation genannt. Und das ist es auch: Stuhl einer gesunden Person wird in den Darm einer Person mit einer unausgeglichenen Darmflora implantiert. Da unser Stuhl zu 30 Prozent aus Bakterien besteht, kann ein krankes Mikrobiom damit wieder auf Vordermann gebracht werden.

Das Gemelli-Krankenhaus in Rom ist eins der führenden FMT-Zentren Europas. Wie die meisten öffentlichen Krankenhäuser führt das Gemelli die Behandlung momentan nur bei Patientinnen und Patienten durch, die von C. difficile betroffen sind. Zwar kommt man weitaus leichter an Scheiße als an eine Niere, aber die Risiken für die Empfänger sind hoch. Entsprechend streng sind die Auswahlkriterien für Spenderinnen und Spender.

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"Ich mache gerne Witze, dass es einfacher ist, Herzspender als Stuhlspender zu sein", sagt Dr. Maurizio Sanguinetti, Mikrobiologe und Direktor der Abteilung für Infektionskrankheiten am Gemelli-Krankenhaus. "Es ist viel schwieriger, potenzielle Mikrobiomspender zu finden, als man denken würde."

Die Suche nach einer passenden Spenderin dauert Wochen.

Nur weil du dich gesund fühlst, hast du nämlich noch lange keine Premium-Darmflora. Dort können sich verschiedenste Viren und Bakterien tummeln, die bei einem bereits geschwächten Mikrobiom großes Unheil anrichten würden. Die Suche nach dem oder der passenden Spenderin dauert deswegen laut Sanguinetti in der Regel Wochen. Nicht nur werden Blut und Stuhl eingehend auf Krankheitserreger untersucht, auch andere Diagnosen müssen ausgeschlossen werden, die möglicherweise mit der Darmgesundheit in Verbindung stehen. Dazu gehören Diabetes und Herzkrankheiten, aber auch Autismus und Schizophrenie.

Aus diesem Grund baut das Gemelli eine Spenderbank mit Menschen auf, auf die das Krankenhaus dann zugreifen kann. Sobald ein passender Spender oder Spenderin gefunden ist, werden die Fäkalien gefiltert, mit einer Salzlösung vermischt und dann per Darmspiegelung oder Einlauf transplantiert – frisch oder gefroren. Eines Tages ist die Stuhltransplantation vielleicht auch in Kapselform möglich.

Die 38-jährige Marisa Capezzuto, eine Fotografin in Minnesota, gehört zu den Empfängerinnen einer solchen Transplantation. Sie hat Morbus Crohn und litt unter wiederkehrenden C.-difficile-Infektionen. "Es war sehr schmerzhaft und stressig", sagt sie. "Von C. difficile habe ich wasserartigen Durchfall gehabt – mehr als zehn Mal am Tag –, dazu Übelkeit, Fieber, Dehydrierung und Bauchschmerzen." Als ihre Krankheit am schlimmsten wütete, konnte sie kaum das Haus verlassen oder durchschlafen. "Ich war an die Toilette gefesselt."

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Nach mehreren erfolglosen Behandlungen mit teuren Antibiotika entschied sie sich für eine erste Stuhltransplantation an der Universität von Minnesota. Sechs Monate später kehrte C. difficile allerdings zurück und sie ließ eine zweite Stuhltransplantation an der Mayo Clinic in Minnesota durchführen. In beiden Fällen waren ihre Spender anonym aus einer Spenderbank ausgewählt worden. Heute scheint sie die Infektion endlich los zu sein. "Das klingt vielleicht bescheuert, aber es hat mir das Leben gerettet", sagt Marisa.

Marisa Capezzuto, brown hair in a bob and nose piercing, lying in a bed with tubes coming out of her.

Marisa Capezzuto. Photo courtesy of the interviewee.

Die niederländische Grundschullehrerin Alice Ten Havre aus Elburg wurde ebenfalls wegen C. difficile erfolgreich mit einer Stuhltransplantation behandelt. Die 54-Jährige erkrankte im Januar 2018, nachdem sie wegen einer Blasenentzündung lange Antibiotika genommen hatte. Anfangs versuchte sie, ihre C. difficile ebenfalls mit Antibiotika zu behandeln, aber ohne Erfolg.

Havre bekam ihre Stuhltransplantation im Isala-Krankenhaus in der nahegelegenen Stadt Zwolle. Drei Tage musste sie im Krankenhaus bleiben, ein paar Wochen später war sie komplett genesen. "Es war ein toller Erfolg", sagt sie. "Die Bakterien sind nie zurückgekehrt."

Bei C. difficile haben sich die Fäkaltransplantationen als so wirksam erwiesen, dass sich relativ schnell ein wissenschaftlicher Konsens bildete. Bald könnte der Eingriff aber auch bei anderen Krankheiten zum Einsatz kommen. Laut Dr. Sanguinetti haben zum Beispiel Transplantationen bei Tieren, die von einer autismus-ähnlichen Störung betroffen waren, eine Verringerung der Symptome gezeigt. Andere Forschende untersuchen die Wirksamkeit beim Reizdarmsyndrom oder sogar bei Alkoholismus.

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Aber es gibt vieles, was wir noch nicht über die Transplantationen wissen. Erstens ist noch unklar, ob die Behandlung nur die Symptome oder die Ursache der medizinischen Probleme heilt. Wir wissen auch noch nicht, ob es sich bei den bisherigen Ergebnissen um reine Korrelation handelt. Und vor allem ist noch unbekannt, welche winzigen Mikroorganismen im Mikrobiom einen Unterschied machen und welche nicht.

"Ich habe mich durch die Krankheit so gefangen gefühlt, dass ich mit Freunden und meiner Familie schon darüber gesprochen hatte, mir das Leben zu nehmen." – Josiah Pugh

"Das ist alles keine Science-Fiction", sagt Dr. Sanguinetti, "aber wir müssen unbedingt die strengen Regeln der Forschung respektieren und dürfen keine falschen Hoffnungen schüren." Bei den aktuellen Fortschritten geht er davon aus, dass wir schon bald mit konkreten Umsetzungen rechnen können.

Leider ist "schon bald" für das Internet nicht schnell genug. Weil die Resultate bisheriger Transplantationen häufig einem Wunder gleichen, sind sie im Internet extrem populär geworden. In verschiedenen Gruppen teilen Menschen Informationen aus und, was weitaus problematischer ist, geben sich Tipps für DIY-Transplantate. Einige User schreiben sogar, dass sie damit Angststörungen und Depressionen heilen wollen, wissenschaftlich belegt ist die Wirksamkeit der Transplantationen dafür allerdings noch nicht. Wieder andere sind einfach verzweifelt und leiden unter Krankheiten, die für den Eingriff noch nicht infrage kommen.

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Zu ihnen gehörte auch Josiah Pugh, ein 35 Jahre alter Fotograf aus New Orleans. "2013 hatte ich einen Unfall und war klinisch tot", sagt er. "Ich wurde wiederbelebt und blieb 13 Tage im Koma." Im Krankenhaus wurde er mit aggressiven Antibiotika behandelt, die bei ihm zu schweren Verdauungsproblemen führten. "Ich hatte rund um die Uhr Durchfall, auch nachts", sagt er. Trotz der schweren Symptome ergab eine Darmspiegelung keinen eindeutigen Befund. Er bekam eine Dysbiose, eine unausgeglichene Darmflora, diagnostiziert und wurde entlassen.

Über ein Jahr lang konnte Pugh nicht arbeiten und isolierte sich. Verzweifelt entschied er sich schließlich, die Sache in die eigene Hand zu nehmen: mit einer DIY-Transplantation. "Meine Mutter ist Pathobiologin und hatte Angst, dass ich mir damit eine tödliche Infektion einfange", sagt er. Als sein Bruder sich allerdings als Spender bereit erklärte, zog er die Sache trotz aller Bedenken durch.

Anhand einer Anleitung, die er auf einer Website gefunden hatte, implantierte er sich den gefrorenen Stuhl seines Bruders mit einem Einlauf. Die Veränderung kam fast sofort. "Auch wenn es mich nicht vollkommen geheilt hat, waren etwa 70 Prozent meiner Symptome verschwunden", sagt Pugh.

Josiah Pugh. Ein Man mit blonden kurzen Haaren macht ein Selfie vor der Taymount Clinic

Josiah Pugh vor der Taymount Clinic

2019 entschied sich Pugh dazu, für eine weitere Behandlung in einer Privatklinik nach Großbritannien zu fliegen. In den USA ist es illegal, eine Dysbiose mit Stuhltransplantationen zu behandeln, aber manche Privatkliniken in anderen Ländern führen den Eingriff auch bei Fällen durch, in denen momentan noch kein wissenschaftlicher Konsens über die Folgen oder Wirksamkeit besteht. Unumstritten ist das nicht. Die Taymount Clinic in Großbritannien ist eine davon. Natürlich ist das Ganze nicht billig. Pugh musste umgerechnet 4.500 Euro bezahlen.

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Bereut hat er es nicht. "Ich habe mich durch die Krankheit so gefangen gefühlt, dass ich mit Freunden und meiner Familie schon darüber gesprochen hatte, mir das Leben zu nehmen. Ich bin unfassbar glücklich und dankbar, jetzt weitermachen zu können."

Dr. Sanguinetti warnt ausdrücklich vor DIY-Eingriffen. Vergangenes Jahr hatten sich sogar zwei Menschen in den USA nach einer Transplantation in einem Krankenhaus mit E. Coli angesteckt, einer von ihnen starb. Selbst unter professioneller Aufsicht ist eine Stuhltransplantation nicht risikofrei.

"Menschen haben komplizierte Gesundheitsprobleme, die sie lösen wollen – das ist aus menschlicher Sicht absolut nachvollziehbar", sagt Dr. Sanguinetti. "Aber noch wichtiger ist, dass wir versuchen, weiteren Schaden zu vermeiden."

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