Ich inszeniere medizinische Notfälle und verdiene Geld damit

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Ich inszeniere medizinische Notfälle und verdiene Geld damit

Ich arbeite in einem Simulationskrankenhaus, wo wir Ärzten und Ärztinnen den Umgang mit lebensbedrohlichen Notfällen beibringen—mit künstlichen Patienten, künstlichem Blut und künstlicher Scheiße.

Eine blutige Kinder-Simulationspuppe. Foto vom Autor

Ich stand am Kopfende der Bahre, einen Endotrachealschlauch in der einen Hand und ein Laryngoskop in der anderen. Vor mir lag eine Frau. Sie hatte einen furchtbaren Autounfall gehabt und jetzt war sie blutüberströmt, ihre Hose war uringetränkt und sie erbrach Blut. Wenn ich es nicht schaffte, diesen Schlauch einzuführen, dann würde sie wahrscheinlich in ihrem Blut ertrinken.

Das Zimmer war voller Lärm—Rufe, Weinen, Alarmsignale—und wimmelte vor Krankenpflegerinnen und -pflegern, die allesamt darum kämpften, die Patientin und ihre Kinder zu retten. Die Kinder waren ein Baby und ein Vierjähriger, beide in etwas besserem Zustand. Ich wünschte, eines der Kinder vor mir zu haben, statt dieser todgeweihten Frau. Es war offensichtlich, dass sie sterben würde, doch meine Aufgabe war es, einen freien Atemweg zu sichern, und nicht zu entscheiden, wann wir „angemessene Hilfe" geleistet hatten.

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Ich blickte runter auf ihren Kopf, der in den Nacken gelegt und damit bereit war. „Das kriege ich hin", sagte ich zu den Krankenpflegerinnen, die mir zusahen, und log, dass ich der „Atmungsspezialist" sei. Sie wussten auch, dass es eine Lüge war, doch sie sagten nichts. Sie erkannten, dass ich da war, um eine Aufgabe zu erfüllen, die sie entweder nicht bewältigen wollten oder konnten, und so ließen sie mir Platz, als ich mit der Klinge des Laryngoskops die Zunge der Frau herunter drückte, bis ich die Stimmbänder sehen und den Schlauch in Position bringen konnte.

Eine meiner Teamkolleginnen eilte zum Bett des Vierjährigen. Das Kind war nicht mehr ansprechbar und sie tat alles in ihrer Macht stehende, um es zurückzuholen. Ich wusste, was zu tun wäre, doch das war nicht meine Aufgabe hier—meine Aufgabe war es, einen Beutel an diesem Schlauch zu befestigen, damit meine Patientin atmen konnte. Ich zog den Metalldraht aus dem Schlauch, befestigte den Beutel daran und drückte zu. Ihre Brust hob sich.

Mein Herz hämmerte wie wild. „Wie bin ich hier gelandet?", fragte ich mich zum dritten oder vierten Mal. Ich war ein IT-Typ, kein Mediziner, und diese Leute wussten das. Ich machte mich daran, meiner Kollegin mit dem Vierjährigen zu helfen. Und dann …

„Ende der Simulation", verkündete eine Stimme über die Lautsprecher an der Decke. Alles stoppte—die Alarmsignale, die weinenden Patienten—und das Zimmer atmete kollektiv auf. „Macht euch sauber und geht direkt ins Besprechungszimmer."

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Die Krankenpflegerinnen und -pfleger marschierten eine nach der anderen aus dem Zimmer, während meine Teamkollegen und ich uns daran machten, alles zu reinigen und den Raum erneut vorzubereiten. Zu meinem Glück waren in der nächsten Gruppe ein paar Krankenpfleger aus der Notaufnahme und mindestens eine Ärztin, also würde ich erst in einer Stunde wieder schauspielern müssen.

Ich arbeite in einem falschen Krankenhaus. Wir haben sechs Intensivstationsräume, eine Station mit 20 Betten und eine Ambulanz mit 18 Zimmern. Ich bin Techniker für medizinische Simulationen, was bedeutet, dass ich Krankenpflegepersonal und Medizinstudierenden dabei helfe, medizinische Maßnahmen an Puppen zu üben. Eigentlich sind sie „Menschensimulatoren", denn sie können nicht nur die Krankenhausbetten belegen, sondern auch blinzeln, atmen, pinkeln, weinen und bluten. Sie haben künstliche Pulse, Herzschläge, Lungen und Verdauungsgeräusche. Wir haben 26 davon, darunter ein neugeborenes Baby, ein fünfjähriges Kind und eine Frau, die gebären kann (klicken auf eigene Gefahr). Ich führe im Alltag die verschiedensten Aufgaben aus, vom Justieren unserer vielen Kameras über Videobearbeitung bis hin zu Bühnenschminke und dem Anrühren künstlicher Körperflüssigkeiten. Zusätzlich dazu programmiere und warte ich die Puppen. Ach ja, und ich putze. Viel.

Ich bin kein Mediziner. Mein Hintergrund ist in der Informatik, und den Großteil der Fähigkeiten, die ich vor diesem Job hatte, habe ich mir angeeignet, indem ich illegal Filme runtergeladen und WLAN gestohlen habe. Will heißen, ich hatte keine offizielle Ausbildung—nur eine Kindheit mit dem Internet und ein paar Programmierstunden in der Schule.

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Doch in der oben beschriebenen Szene hatte man von mir erwartet, dass ich nicht nur die Rolle eines Atmungsspezialisten spielte, sondern auch, dass ich die sich ändernden Lebenszeichen der drei Patienten programmierte. Es gehörte auch zu meinem Job, etwa zwei Tassen falsche Scheiße zu mischen und die Hosen der Patienten mit falschem Urin nasszumachen. Sobald die Simulation vorbei war, musste ich die Aufnahme stoppen, das Video im Besprechungszimmer aufrufen, die verschmierten Flüssigkeit wegputzen und alles vorbereiten, um die nächste Runde aufzuzeichnen.

Alles in allem ein ziemlich anstrengender Job.

Foto vom Autor

Ich habe schon gesehen, wie Studierende zur Wiederbelebung auf meine Patienten klettern, als seien sie in einer Szene von Grey's Anatomy. Ich habe gesehen, wie ein Lehrer einem Studenten das Knie direkt ins Gesicht gerammt hat (der Lehrer spielte einen aggressiven Patienten, der Student sollte ihn festschnallen und beugte sich genau in dem Moment vor, als der Lehrer das Knie hob). Ich habe erlebt, dass die Campus-Securitys gerufen wurden, weil wir vergessen hatten, eine E-Mail zu schicken und anzukündigen, dass wir in der Lobby einen Konflikt simulieren wollten, bei dem eine Softairwaffe aus klarem Plastik zum Einsatz kommen und das in einem Herzinfarkt-Szenario enden würde. Und ich habe gesehen, wie Studierende das Programm mitten in einer Simulation hingeworfen haben, weil sie die Belastung nicht ertragen haben, als sie einen Kriegsveteranen vor sich hatten, der einen Alkoholentzug durchmachte (dargestellt von einem Schauspieler)—ein Szenario, das letztendlich im Suizid des Patienten gegipfelt wäre.

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Wir erfinden diese Szenarien nicht einfach, um die Studierenden zu verwirren. Die meisten Fälle sind echte Fälle, die Mitglieder der medizinischen Fakultät in ihrer eigenen Praxis erlebt haben (ohne dass dabei die Schweigepflicht verletzt wird, natürlich). Diese Fälle sind so strukturiert, dass wir den Studierenden zeigen können, was sie in der Realität erwartet und wie sie sich in diesen Situationen verhalten sollen—genau so, mit einem Fokus auf Standardisierung und Wiederholung, macht es die Flugindustrie seit 1910.

Und was wir hier in diesem falschen Krankenhaus machen verbessert nachweislich die Ergebnisse bei echten Patienten. Das ist auch der Grund, warum wir immer weiter machen, selbst wenn unsere Rücken schmerzen, nachdem wir 40-kg-Puppen vom Boden aufheben mussten, selbst wenn unsere OP-Kleidung nach „Liquid Ass"-Spray stinkt (das ist ein echtes Produkt und es ist genau das, wonach es klingt) und selbst wenn wir total gestresst sind, weil man uns von oben Druck macht, mit einem Schultheater-Budget eine Hollywood-Produktion auf die Beine zu stellen.

Die Krankenpflegerinnen hatten also den Simulationsraum verlassen und mein Team und ich hatten uns ans Werk gemacht, alles für die nächste Gruppe vorzubereiten. Das Zimmer war eine absolute Katastrophe: Das Hemd einer Puppe war weggeschnitten worden, wodurch auf der Brust ein großes Hämatom von einem Sicherheitsgurt sichtbar war, das schon zu verschmiert war, um es erneut zu verwenden. Die Windel des Neugeborenen war entfernt und entsorgt worden; am anderen Ende des Zimmers hatte man die klaffende Kopfwunde des Kindes verbunden und die zahlreichen Gazestücke, die sie zur Wundreinigung verwendet hatten, waren auf den Boden gefallen und umhergetreten worden, wobei sie blutige Schmierer hinterlassen hatten. All das musste beseitigt werden—alles musste wieder auf Null gesetzt werden, damit die Erfahrung der nächsten Gruppe nicht von dieser abwich.

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Wie immer fing ich mit dem Putzen an: Ich schrubbte die Reste der blauen Flecken von den Puppen. Manchmal kann ich sie retten, aber diesmal nicht. Meine Kollegin wischte derweil mit einem Waschlappen und ein wenig Haushaltsreiniger Blut vom Boden. Unser letzter Kollege hatte die leichteste Aufgabe: Er hatte bereits eine frische, noch offene Windel unter dem Po des falschen Babys positioniert, daneben eine kleine Spritze mit falschem Urin, der in letzter Sekunde hinzugegeben werden konnte, und hatte sich daran gemacht, den Fehler in der Verbindung des Kindes zu suchen. Aus irgendeinem Grund hatte die Puppe aufgehört, mit ihrem Computer zu kommunizieren, was sie für unsere Zwecke zu einer toten Puppe machte.

Als alles sauber war, machten wir uns an das Make-up und die Flüssigkeiten. Ich streute etwas Babypuder auf die Brust meiner Puppe und verrieb es, um dem Makeup einen guten Halt zu ermöglichen (wie man erwarten würde, hält Make-up auf Silikonhaut nicht besonders gut) und holte dann meine Schwämme und meine Palette mit Bühnenschminke in Hämatomfarben. Ich malte in Rot-, Blau- und Violetttönen einen blauen Fleck von der linken Schulter bis zum unteren rechten Rand des Brustkorbs.

Die Gruppe war fertig mit ihrer Nachbesprechung und lief auf dem Weg nach draußen am Simulationsraum vorbei, was uns daran erinnerte, die Vorhänge zu schließen, um die Szene vor der nächsten Gruppe zu verbergen. Wir versuchen, hinter den Kulissen zu bleiben, damit sich alles so authentisch wie möglich anfühlt, doch den Vorhang vergessen wir öfter, wenn wir viel aufzubauen haben.

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Motherboard: Eine ganze Internet-Community von Möchtegern-Medizinern vergiftet Kinder mit Chlorbleiche.

Meine Kollegen arbeiteten weiter am Kind. Eine tupfte mit dem Pinsel Gel-Blut auf, um Hautabschürfungen vom Asphalt zu imitieren, der andere verband das Kind mit dem Computer und testete die Verbindung, indem er es eine seiner 15 aufgezeichneten Reaktionen sprechen ließ, wie etwa „Da ist Blut in meinem Aa!". Ich ging zurück in den Kontrollraum. Die Kameras an der Decke zeigten jeweils auf ein Bett und mussten nur ein klein wenig justiert werden, um wieder in ihrer Startposition zu sein. Ich tippte den Namen der nächsten Gruppe und das Datum in unsere Videoaufzeichnungs-Software ein und wählte dann „Szenario neu starten" in der Kontrollsoftware meiner Puppe, sodass bei beiden zum Start nur noch ein Klick nötig war.

Die nächste Gruppe traf gerade ein, also eilte ich zurück in den Simulationsraum, um frischen Urin auf die Hose meiner Puppe zu schütten, ihr einen Sprüher Liquid Ass zu verpassen (wobei ich im letzten Moment an Handschuhe dachte, damit der Geruch nicht den ganzen Tag an mir haften würde) und die Spritze mit Pipi in die Windel des Babys zu leeren. Während ich die Windel zumachte, hörte ich, wie der Schulungsleiter auf dem Korridor die nächste Gruppe vorbereitete:

„Sie wurden wegen eines Überschlagsunfalls mit Zeugen in die Notaufnahme gerufen. Es gibt drei Patienten—die Mutter und das Baby waren angeschnallt, während der Fünfjährige aus dem Fahrzeug geschleudert wurde—und alle befinden sich in einem kritischen Zustand. Sie treffen ein, gerade als die Rettungssanitäter das Krankenhaus für ihren nächsten Einsatz verlassen…"

Die Leute fragen mich oft, wie wir das hinkriegen, wie wir künstlich das lebensbedrohliche Chaos eines medizinischen Notfalls erschaffen. Ich denke, es hängt am Ende von der Glaubwürdigkeit der Körperflüssigkeiten ab: Für falschen Kot mische ich Schokopudding, Apfelmus, Dosenmais und Erdnüsse. Dann sprühe ich ein bisschen Liquid Ass auf die Mischung, rühre um und schöpfe etwas davon über diese falschen Hundehaufen, die es im Scherzartikelladen gibt. Für falsches Erbrochenes mische ich Zitronensaft und Parmesan für den Geruch, dann gebe ich Maisstärke für die Konsistenz hinzu. Es riecht furchtbar, aber auf dem richtigen Gericht würde es bestimmt eine tolle Soße abgeben.