Der sicherste Job Deutschlands: Zu Besuch im Atommülllager Gorleben
Kai Motzkus, 52, ist der Chef des Werkschutzes im Zwischenlager. Seit 1990 arbeitet er hier schon. Bild: Carolin Saage | Motherboard

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Der sicherste Job Deutschlands: Zu Besuch im Atommülllager Gorleben

Solange kein Endlager gefunden ist, bewegt sich hier nichts vom Fleck. Wir haben den Mann getroffen, der 113 Castorbehälter gegen mögliche terroristische Angriffe verteidigt.

Es ist leichter in ein Gefängnis reinzukommen als in das Brennelementelager in Gorleben. Schon Monate vor der Fahrt in Richtung Elbtalaue beginnt für uns der Sicherheitscheck: Personalausweiskopie verschicken, unzählige Telefonate führen, Dokumente ausfüllen, unter anderem einen Erklärungsbogen „zur Feststellung der Zuverlässigkeit nach § 12 AtG." Im September 2015 habe ich erstmals Kontakt zum Zwischenlager aufgenommen, jetzt geht es endlich los—ich fahre zu dem Mann, für den Gorleben kein politisches Symbol, sondern schlicht alltäglicher Arbeitsplatz ist. Zusammen mit der Fotografin Carolin Saage besuche ich den Sicherheitsdienst von Gorleben—denjenigen, der mit seinem Team für die Sicherheit des strahlenden Atommülls vor Ort und damit letztlich auch für ganz Deutschland sorgen muss. Ein Job zwischen Angst und Alltag—so stellt man sich das vor. Aber wie fühlt es sich an, neben 113 hochradioaktiven Castorbehältern zu arbeiten? Was sagen die Nachbarn in der wohl atomkritischsten Region Deutschlands zu dem Job in der Anlage, die bei jeder neuen Atommüll-Lieferung zum Ziel wütender Proteste wird?

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Nach Stunden haben wir die A24 hinter uns gelassen, entlang am Elbdeich auf der Landstraße, durch Wälder, passieren gelbes X um gelbes X, bis wir am weißen Metalltor der Anlage ankommen. „Hallo, wir haben einen Termin bei Herrn Motzkus." Hinter dem Tor ein weiterer Zaun mit Stacheldraht. Wir gehen in Richtung Personaleingang, die Fotografin schaut durch ihren Sucher. „Keine Fotos", krächzt es durch die Gegensprechanlage. Ok, ok.

„Personalausweis bitte." Wir warten. Ein Flachbildschirm im Eingangsbereich begrüßt die Besucher: Seit 2015 gab es keinen Arbeitsunfall mehr auf dem Gelände des Atommülllagers, wiegt uns der Bildschirm in Sicherheit. Wikipediawissen: Arbeitsunfälle treten vermehrt am Montag auf. Jedoch ist die Unfallschwere geringer als an anderen Wochentagen. Die schwersten Arbeitsunfälle ereignen sich an Samstagen. Heute ist Donnerstag. Und ein richtig schwerer Unfall ist hier in der über 20-jährigen Geschichte seit Inbetriebnahme noch nicht passiert.

„Kaum einer will uns haben, aber viele wollen uns besichtigen"

Dann kommt Kai Motzkus. Norddeutsche Nettigkeit in seinem Gesicht und seiner Stimme, nicht unbedingt der Typ Türsteher. Der 52-jährige ist der Chef des Werkschutzes, wie all seine Kollegen trägt er eine geladene Heckler & Koch am Hosenbund. Und eröffnet uns gleich zu Beginn, dass wir doch keine Fotos innerhalb der Anlage machen dürfen. Auch mein Telefon darf nicht mit auf das Gelände. Also gehe ich allein durch die Sicherheitskontrolle, die härter ist als an einem Flughafen. Durch den Metalldetektor, Abtasten im Nebenzimmer. Sogar die Post wird hier geröntgt.

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„Die Regularien werden strenger. Die Anforderungen an die Sicherheitsfachkraft sind deutlich gestiegen", sagt Motzkus. Er ist ein Urgestein der Gorlebener Anlage, begann dort bereits 1990 als Werkschützer zu arbeiten. Schon seine Mutter war hier beschäftigt und auch seine Tochter arbeitet in der Anlage.

Als Werkschützer auf Dinge aufzupassen, die Jahrzehnte lang einfach nur so rumliegen, muss ein langweiliger Job sein, oder? „Das wäre schön, wenn man dieses Vorurteil mal ausräumen könnte", lächelt Motzkus und wir gehen los zu einem Rundgang über das Zwischenlager.

Eine ältere Luftaufnahme des Bundesamt für Strahlenschutz zeigt im Vordergrund den Salzstock und das Erkundungsbergwerk, in dem eines Tages Atommüll lagern könnte, und im Hintergrund das Gelände des Zwischenlagers. Bild: Bundesamt für Strahlenschutz

Eigentlich ist Motzkus gelernter Koch, aber das gute Einstiegsgehalt beim Werkschutz in Gorleben war verlockend. „Damals habe ich einfach eine Funke in die Hand bekommen und sollte aufpassen." Heute muss man für die Ausbildung in dem Beruf der geprüften Schutz- und Sicherheitsfachkraft eine Prüfung bei der IHK ablegen. Voraussetzung sind: Mindestalter 24 Jahre, eine abgeschlossene Ausbildung und Berufspraxis von mindestens zwei Jahren in der Sicherheitswirtschaft und die Teilnahme an einem Erste-Hilfe-Kurs, der nicht länger als zwei Jahre zurück liegen darf. Kai Motzkus ist mit seiner Bezahlung zufrieden. „Aber ein Mehr würde ich nicht ablehnen", sagt er. Trotzdem keine schlechten Umstände für eine Region, die eine Arbeitslosenquote von 8 Prozent hat und damit zwei Prozent über dem Landesdurchschnitt liegt.

Auf dem Schreibtisch liegt eine Risikomatrix, an der Wand hängt ein alter Sponti-Spruch: „Gestern standen wir noch vor einem Abgrund, heute sind wir schon einen großen Schritt weiter."

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Wir laufen weiter, Schäferhunde springen laut kläffend gegen die Gitterstäbe ihrer Zwinger und drehen sich aufgeregt im Kreis. „Die mögen mich nicht, die wissen, dass ich der Chef bin", scherzt Motzkus, als ob er den Witz nicht das erste Mal macht. Hinter den Zwingern der Hundestaffel, die nachts patrouillieren, stehen niedrige Barracken. In den Zimmern hängen karierte Gardinen und stehen Doppelstockbetten, acht Stück zählt der Sicherheitschef. Früher haben hier die Polizisten übernachtet, die im Einsatz waren, wenn der Castor rollte. Tausende musste man unterbringen. Heute lassen das die Bestimmungen nicht mehr zu.

Ein Blick in das Innere der riesigen Lagerhale, in der die Castor-Behälter aufbewahrt werden. Bild: GNS

1983 wurde das Gelände nahe der Grenze zur DDR fertig gestellt, nach längerem Tauziehen lagern hier seit 1995 radioaktive Materialien in High-Tech-Behältern mit spezieller luftdichter Hülle. Die Strahlung auf dem Betriebsgelände darf im Jahr maximal den gesetzlich vorgegebenen Strahlungsgrenzwert von 1 mSv betragen. Diese Werte sind so gering, dass niemand, den man hier sieht, die Schutzanzüge trägt, die wir aus den Fernsehbeiträgen von Atomunfällen kennen. Eines der ebenso bekannten gelbschwarzen Schilder warnt vor Strahlung im Innern der Abfalllagerhalle. Nur die Mitarbeiter in den Hallen müssen sich schützen.

Doch wie wirkt sich die Strahlung auf die umliegende Natur und Menschen aus? Der jüngste Jahresbericht der Betreibergesellschaft zeigte erneut, dass das Zwischenlager Gorleben „keinerlei radiologischen Auswirkungen" auf seine Umgebung habe. Vor einem Castor-Transport im Jahr 2011 stellten niedersächsische Kontrolleure leicht erhöhte Strahlung am Zaun fest, der hochgerechnet auf das Jahr eine knappe Überschreitung der Grenzwerte bedeutet hätte—das niedersächsische Umweltministerium maß nach und konnte in einer weiteren Messung allerdings keine gefährlich erhöhten Werte feststellen.

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Auch Motzkus findet, „man sollte bald ein geeignetes Endlager finden, wo auch immer dieses dann ist."

Eine Studie fand mal heraus, dass rund um Gorleben mehr Jungen geboren werden als Mädchen, warum das so ist, weiß man bis heute nicht. Und, hat Kai Motzkus Angst vor der unsichtbaren Strahlung?—„Nein." Piloten und Flugbegleiter seien höheren Werten ausgesetzt, gibt er die Infos aus der Sicherheitsbroschüre der GNS wieder. Klar ist: Wohl kein anderer Ort in Deutschland wird so regelmäßig auf seine Strahlenbelastung überprüft.

Auf dem höchsten Turm auf dem Gelände ist die Kamera installiert, die von der Polizei aktiviert werden kann, wenn es zu einer Straftat in dem Zwischenlager kommen sollte. Bild: Carolin Saage

Bezahlt werden die Dienste von Motzkus und seinen Kollegen von den vier großen Energiekonzernen Vattenfall, EnBW, RWE und E.On. Sie sind die Eigentümer der GNS, der Gesellschaft für Nuklear-Service, die die Anlage in Gorleben betreibt. Seit über 40 Jahren kümmert sich die GNS um die Entsorgung von hochradioaktiven Abfällen. Sie hat auch den Castor-Behälter entwickelt. Laut ihren Angaben machen sie mit mehr als 650 Mitarbeitern einen Jahresumsatz von über 300 Millionen Euro.

Wir kommen am Verwaltungsgebäude vorbei, davor sind kleine Gärten angelegt. Tulpen blühen rot. Ein bisschen Leben an einem funktionalen Ort. Die Rasenflächen neben der Halle in der der Atommüll lagert ist ordentlich gestutzt, das ganze Gelände ist gepflegt. Es kommen ja auch oft Besucher vorbei. „Kaum einer will uns haben, aber viele wollen uns besichtigen", sagt Motzkus. Alle Lagerhallen sind in Naturfarben—beige, blassgrün—gestrichen und fallen in mitten des Nadelwalds, in den sie gebaut wurden, trotzdem auf.

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Das sensibelste Gebäude auf dem Gelände ist auch das auffälligste: Eine 182 Meter lange und 38 Meter breite Halle in der sich das Transportbehälterlager, hier nur TBL genannt, befindet. Hier werden auf 7000 Quadratmetern die hochradioaktiven Brennelemente aus deutschen Kernkraftwerken und aus dem französischen La Hague für einige Jahrzehnte zur notwendigen Abkühlung zwischengelagert.

„Ob man auf einen Angreifer wirklich schießen kann, lässt sich erst in dem Moment sagen."

Neben der TBL befinden sich andere Hallen: Im Abfalllager werden auf 4.500 Quadratmeter weniger stark belastete Abfälle aus Forschung oder Medizin aufbewahrt, und in der Pilot-Konditionierungshalle werden Verpackungsverfahren für die Endlagerung entwickelt. In Laufweite—auf einem seperaten Grundstück—befindet sich übrigens auch das Erkundungsbergwerk, der Salzstock Gorleben.

Ob im Gorlebener Salzstock unter der Erde jemals wirklich Atommüll eingelagert wird, ist nicht abzusehen. Längst diskutiert die Politik auch, ob nicht andere Endlagerstandorte in Deutschland sicherer sein könnten und geprüft werden sollen. Was denkt jemand, der täglich hier arbeitet, über die Endlagerdebatte? Kai Motzkus hat eine klare Meinung: Er findet, „wir dürfen die Entsorgungspolitik nicht unseren Kindern und Enkelkindern überlassen. Man sollte bald ein geeignetes Endlager finden, wo auch immer dieses dann ist."

Im Jahr 2000 ist Motzkus zum Objektleiter der Sicherheitsfirma aufgestiegen. Gerade ist es die Firma Securitas, die für den Werkschutz auf dem weiträumig umzäunten Gelände zuständig ist. Motzkus hat schon vier private Unternehmen erlebt, die hier tätig waren. „Bei den alltäglichen Aufgaben ändert das allerdings nicht viel außer die Arbeitskleidung", sagt er. Wir laufen weiter an doppelten Zäunen entlang, auf denen in regelmäßigen Abständen Kameras hängen—genau wie auch auf den Hallen. Einen extra Turm gibt es für eine Polizeikamera.

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Wie viele Leute in seinem Team arbeiten darf er aus Sicherheitsgründen nicht sagen, auch nicht auf welchen Positionen. Während unserer Tour sehen wir mehrere Mitarbeiter, die am Zaun auf- und abschreiten, zu zweit mit einem Mercedes-Jeep über den Platz fahren oder uns in einem Golf-Car entgegen kommen. „Mahlzeit", grüßen sie freundlich den Chef und seine Besucherin. Wachschutz-Mitarbeiter in Berliner Kaufhäusern sind wahrlich schlechter gelaunt. Acht Stunden dauert eine Schicht für die Kollegen, in der Woche durchläuft man verschiedene Stationen, so dass der Einsatz nicht zur Routine wird. Denn Routine ist bekanntlich gefährlich. Bei Sonne, bei Regen, bei Frost laufen sie hier lang. Ihr Chef arbeitet 40-50 Stunden in der Woche, nicht am Wochenende. Nicht mehr. Viel Papierkram habe er zu erledigen, sagt er, alles muss protokolliert, Dienstpläne müssen geschrieben werden. Von seinem Team spricht Motzkus herzlich. Zu Weihnachten gibt es betriebsinterne Feiern, nur leider kann nicht jeder kommen. Irgendjemand muss ja aufpassen.

Natürlich sind längst nicht alle Mitarbeiter Verfechter der Kernkraft, weiß der Chef. Und das scheint auch keine Voraussetzung für den Job zu sein. Aber hat er ein gelbes X im Garten stehen? „Nein", lächelt er. Und seine Nachbarn, wie finden die es, dass er in der Anlage arbeitet, gegen die hier viele Leute kämpfen? „Mein Nachbar ist gegen Atomkraft, aber wir gehen trotzdem zusammen Tennis spielen." Grabenkämpfe gäbe es nicht, auch keine Berührungsängste.

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Das Stopschild an der Ausfahrt des Zwischenlagers in Gorleben haben Atomkraft-Gegner zum Protest genutzt. Bild: Carolin Saage

„Es gibt heute auch viel weniger Demos als früher", sagt er. „Nur zu den Castortransporten, da ist die Stimmung stets distanzierter gewesen." Doch seit 2011 gab es keinen Transport mehr, heute müssen die deutschen Kernkraftwerke ihre neu entstandenen Abfälle in eigenen Lagern direkt an den jeweiligen Standorten aufbewahren. Doch Atomkraftgegner fürchten, dass aus der Aufbereitungsanlage in Sellafield wieder welche kommen könnten.

Bis Ende 2034 ist die Betriebsgenehmigung für das Lager in Gorleben erteilt. Motzkus glaubt, dass sie danach verlängert wird. Seit 40 Jahren wird nun ein Endlager gesucht, bis 2031 soll eine Kommission es gefunden haben. Mit einer Fertigstellung wird nicht vor 2050 gerechnet. Es bleibt also Skepsis. So lange liegen die Behälter erst mal im oberirdischen Zwischenlager. Und Kai Motzkus hat deswegen einen der sichersten Jobs im Land. In gewisser Weise.

Auf der anderen Seite: Kritiker beanstanden, dass die TBL-Halle trotz ihrer 50 Zentimeter dicken Betonwände nicht sicher genug ist gegen Terroranschläge und Gefahren aus der Luft. Motzkus sagt, die Hallen würden auch Angriffe mit Handgranaten überstehen. Aber fühlt er sich durch möglichen Terror bedroht? „Ja", sagt er ohne zu zögern. Erst vor einigen Monaten wurde bekannt, dass sich die Attentäter von Brüssel auch für belgische Atomforscher interessierten und wohl auch eine belgische Nuklearforschungseinrichtung auskundschafteten. Die Kernenergie ist damit längst nicht nur ein Thema in umweltpolitischen Debatten, sondern auch ein Fall für die Terror-Abwehr. Nicht zuletzt deshalb gab es auch mehrere die Sicherheitsverschärfungen in den vergangenen Jahren: Seit 2008 sind Motzkus und sein Team bewaffnet.

Den Eingang zum Zwischenlager weist ein großes Schild. Im Rückspiegel der Zaun zum Gelände. Bild: Carolin Saage

Zum Ende unseres Rundgangs sitzen wir in Motzkus Büro. Leere Colaflaschen auf dem Schrank. Zertifikate und Kinderfotos an den Wänden. „Gestern standen wir noch vor einem Abgrund, heute sind wir schon einen großen Schritt weiter", ein alter Sponti-Spruch, hängt an der Wand. Auf dem Tisch liegt eine Risikomatrix, die Tabelle, die zur systematischen Abschätzung und Bewertung von Risiken genutzt wird.

Wir sprechen noch über die Gefahren von terroristischen Angriffen aus der Luft. Was passiert, wenn sich jemand auf das Gelände abseilt? Er und sein Team sollen mögliche Angreifer abwehren. Wenn der Angreifer eine Waffe trägt, wäre auch der Werkschutz in der Situation, zu entscheiden, ob die Waffe gezogen wird. „Die meisten aus meinem Team würden das auch tun. Ob man das wirklich kann, lässt sich aber erst in dem Moment sagen."