10 Fragen an einen Callcenter-Mitarbeiter, die du dich niemals trauen würdest zu stellen
Alle Fotos: Hakki Topcu

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10 Fragen

10 Fragen an einen Callcenter-Mitarbeiter, die du dich niemals trauen würdest zu stellen

Wie oft lügst du, um etwas zu verkaufen? Gibt es einen Trick, wie man den besten Deal bekommt? Wie rächst du dich an unfreundlichen Kunden?

Wenn Milan* anruft, freuen sich viele Leute in etwa so sehr, wie wenn sich eine Wespe genau in dem Moment auf ihr Käsebrötchen setzt, in dem sie es sich in den Mund schieben wollen. Er ist Callcenter-Agent – einer dieser Menschen, die dich nach einer durchgesoffenen Nacht um acht Uhr morgens anrufen, um dir einzureden, dass 100 Freiminuten und 1 GB für 40 Euro der Deal deines Lebens seien.

Seit einem halben Jahr ruft Milan für einen großen Mobilfunkanbieter die Kunden an, die eigentlich keinen Bock mehr auf ihren Vertrag haben. Laut Verdi arbeiten in Deutschland etwa 520.000 Menschen in Callcentern. Milan, der Ende zwanzig ist, sagt, der Job mache einen Menschen auf Dauer kaputt. Er habe das Gefühl, in den letzten sechs Monaten total verblödet zu sein. Und das für einen Bruttolohn von 1.600 Euro inklusive Provision. Für den studierten Audio Engineer soll der Job deshalb nur eine Übergangslösung sein, bis er etwas in seinem Fachbereich gefunden hat.

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Bis dahin nervt er weiter seine Mitmenschen mit Telefonanrufen, lügt, um Geld zu machen, und lässt sich beleidigen.

Wir haben Fragen.

VICE: Wie oft lügst du, um etwas zu verkaufen?
Milan: Jeden Tag. Wir tun am Telefon immer so, als gäbe es bestimmte Angebote nur heute. Das ist Quatsch. Einmal habe ich einem Mann auch was verkauft, was gar nicht in seinem Vertrag mit drin war, um mir die Provision einzusacken. Ich habe gesagt, er würde 4GB Datenvolumen, eine Telefon-Flatrate und eine SMS-Flatrate bekommen. In Wirklichkeit hat er nur 100 Freiminuten und 250 MB gekriegt. Ich habe behauptet, dass ich ihm die Vertragsunterlagen per Post schicken würde. Bei uns im System habe ich aber eingetragen, dass ich sie per E-Mail schicke. Die Adresse hatte ich aber gar nicht. Also habe ich mir eine ausgedacht und die Auftragsbestätigung dahin geschickt. Er hat also gar keine Dokumente von mir bekommen und konnte deshalb nicht sehen, was tatsächlich Teil seines Tarifs war. Unsere Kunden haben nur zwei Wochen Zeit, um von ihrem Widerrufsrecht Gebrauch zu machen. Danach behaupten wir meistens, die Bandaufnahmen wären nicht mehr da. Selbst wenn sowas rauskommt, würden unsere Teamleiter uns schützen. Gefeuert wirst du für sowas nicht. Meistens lüge ich aber nur, weil die Person ein Arschloch war und mich abgefuckt hat. Das tut mir dann auch nicht leid. Was mir allgemein leid tut, ist, dass man nur einmal Google benutzen müsste, um einen besseren Deal als bei uns zu finden.

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Verkaufst du am Telefon wirklich die besten Deals oder zockst du die Leute ab?
Das hängt von dem Kunden ab. Bevor ich einen Kunden verliere, bekommt er von mir den bestmöglichen Deal. Wenn jemand aber sehr entscheidungsfreudig ist, und direkt Ja sagt, bekommt er von mir die geringste Gutschrift und die schlechtesten Konditionen. Das ist nicht mein Problem, wenn er sich damit zufrieden gibt. Meine beste Quote habe ich bei Frauen zwischen 38 und 60.

Gibt es einen Trick, wie man den besten Deal bekommt?
Viele Leute denken, es sei schlauer zu warten und ein Angebot nicht gleich beim ersten Anruf anzunehmen. Das ist aber falsch. Es ist viel wichtiger, freundlich zu dem Callcenter-Agenten zu sein und nach besonderen Aktionen und Gutschriften zu fragen. Man kann auch darum bitten, dass wir beim Chef nachfragen. Ich drück dann zwar immer auf die Stummtaste und tue nur so, als würde ich mit meinem Chef sprechen, aber nach zwei Minuten gebe ich tatsächlich einen besseren Deal. Letztens hatte ich eine Frau am Telefon, die mir von ihrem Sohn erzählt hat. Die fand ich so in Ordnung, dass ich ihr sogar eine höhere Gutschrift gegeben habe, als ich gedurft hätte. Den Stress mit meinem Teamleiter habe ich dafür in Kauf genommen. Wenn der Auftrag einmal durch ist, dürfen die den eh nicht mehr stornieren.

Welche Geheimnisse vertrauen dir Kundinnen und Kunden am Telefon an?
Wirklich alle. Die Hemmschwelle ist über das Telefon viel niedriger als face to face. Einmal hatte ich eine Frau am Hörer, die kurz davor war, Suizid zu begehen. Wir haben sie dann in der Leitung gehalten und von einem anderen Telefon die Polizei verständigt. Das war heftig. Oft ist es aber eher lustig. Ein Mann hat mir mal erzählt, dass seine Frau total prüde sei und er es im Bett gerne härter hätte. Solche Gespräche entwickeln sich, weil ich natürlich versuche, dem Kunden zu gefallen. Wenn ich merke, der Typ ist ein totaler Macho, dann werden meine Witze auch dreckiger. Am Ende landest du dann bei solchen Gesprächsthemen und verkaufst deinen Vertrag.

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"Ein guter Verkäufer muss flirten", sagt Milan

Mit welchen Tricks drehst du Leuten Sachen an, die sie eigentlich nicht brauchen?
Wir schenken den Leuten oft Gratismonate für Streamingdienste. Ich erzähle denen, wie toll es ist, einen Monat umsonst Filme und Serien zu gucken. Ich bin nur dazu verpflichtet zu sagen, dass der Streamingdienst monatlich kündbar ist. Ich sag den Leuten aber nicht, dass sie selber kündigen müssen. Ein anderer Trick ist das Verkaufen von Sicherheitspaketen. Besonders ältere Menschen sind sehr ängstlich. Also erklären wir ihnen, wie einfach es ist, an ihre Daten zu kommen. Das stimmt auch. Was sie nicht wissen, ist, dass sie sich dieses Programm auch kostenlos im Internet runterladen könnten, statt monatlich 2,99 Euro zu zahlen.

Hat dich ein Anrufer schon einmal richtig zum Ausrasten gebracht?
Einmal habe ich durch den ganzen Laden geschrien und mein Headset gegen den Bildschirm geschmissen. Danach bin ich wutentbrannt gegangen. Die Leute verstehen einfach nicht, dass man im Leben nichts geschenkt bekommt. Die wollen ein iPhone X für einen Euro. Das geht natürlich nicht, deshalb fangen sie an, dich zu beleidigen. Solche Leute hast du täglich zehn- bis zwanzigmal am Hörer. Wir sind im Büro 50 Leute, davon flippen mindestens Fünf am Tag aus.

Wie rächst du dich an unfreundlichen Kundinnen und Kunden?
Wenn jemand unfreundlich war und einfach aufgelegt hat, geht er in der Regel nicht mehr dran, wenn ich nochmal anrufe. Also gehe ich zu meinen Kollegen und rufe von deren Rufnummern nochmal an. Dann frage ich, wieso er einfach aufgelegt hat, was so ein Verhalten soll und ob er kein Benehmen hätte. Das mache ich an dem Tag zehnmal und auch noch am Tag darauf.

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Wie viele Menschen wollten dich schon persönlich kennenlernen?
Einige. Ich habe mal mit einem Typen aus Hamburg telefoniert, der mir total viel aus seinem Leben erzählt hat. Ich glaube, dem ging es nicht so gut und er brauchte einfach jemanden zum Quatschen. Wir hatten eine gute Verbindung. Ich hatte mein Ziel für den Monat sowieso schon erreicht und konnte entspannt ein Pläuschchen halten. Am Ende hat er gesagt, ich solle ihn mal anrufen, wenn ich in Hamburg bin, damit wir ein Bier trinken gehen. Das habe ich aber nie gemacht. Ein Kollege von mir macht sich am Telefon immer Frauen klar. Wenn eine aus dem Umkreis kommt und sie sich am Telefon sympathisch sind, checken sie gegenseitig ihr WhatsApp-Bild und treffen sich dann auf eine Nummer im Hotel.

"Wenn Ossis sich am Telefon aufregen, schalten wir immer auf Lautsprecher und lachen", erzählt Milan

Was machst du nebenbei, wenn du telefonierst?
Alles. Ich surfe am Handy, gucke bei Facebook oder googel irgendwas. Ich koche Tee, esse eine Banane, spiele mit einem Ball oder creme mit dir Hände ein. Manchmal stelle ich die Leute auch auf stumm, weil sie nur Scheiße reden, und quatsche mit meinem Kollegen.

Wenn mir langweilig ist, mache ich manchmal Dialekte nach. [Mit ostdeutschem Akzent] Dann tue ich am Hörer so, als sei ich der Toni aus dem Osten, und erzähle den Leuten spannende Geschichten aus meinem Leben.

Versucht ihr, Leuten Verträge am Telefon anzudrehen, weil sie dann das Kleingedruckte nicht lesen können?
Alles, was im Kleingedruckten steht, müssen wir auch am Telefon erwähnen – außer ob der Vertrag LTE hat. Letztens hatte ich einen Kunden, der hatte einen Vertrag mit LTE. Ich habe ihm einen Vertrag für die Hälfte verkauft, allerdings ohne LTE. Gerade in ländlichen Gebieten ist das aber sehr wichtig. Das ist mir in dem Moment aber egal. Die Kunden können den Vertrag ja innerhalb von 14 Tagen stornieren. Also verkaufe ich ihn erstmal und hoffe, dass die Person dort, wo sie lebt, Empfang hat.

Ich bin selbst Kunde bei dem Mobilfunkanbieter, für den ich arbeite, und habe mir dort selber ein Werbeverbot eingerichtet. Ich darf von denen weder Anrufe noch SMS, MMS oder Briefe bekommen. Wenn sie es doch tun, kann ich sie verklagen.

*Name geändert

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