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Vom Spitzel-Jäger zum Deserteur: Mutmaßlicher IS-Geheimpolizist packt aus

In Düsseldorf steht ein 25-Jähriger vor Gericht, der offenbar für die Spezialeinheit des „IS-Sturmtrupps“ gedient hat. Schon der Auftakt zeigt, dass der Prozess seltene Einblicke in die Arbeit der „Gestapo des IS“ bieten wird.
Vermummte IS-Kämpfer in Syrien: Bild: imago/Zuma Press

In seinem Kampf für den sogenannten Islamischen Staat ist Nils D. höher aufgestiegen als viele andere westliche Rekruten: Er arbeitete mehrere Monate für den selbsternannten „Sturmtrupp" des IS, eine Art Geheimdienst der Terror-Organisation, und soll dabei unter anderem Deserteure im Gebiet des Kalifats ausfindig gemacht haben.

Mittlerweile ist Nils D. selbst zum Deserteur geworden und zurück in Deutschland—noch kurz vor seiner Festnahme brüstete er sich in abgehörten Gesprächen, „direkt für den Emir" tätig gewesen zu sein. Damals, im Januar 2015, schien er nicht zu ahnen, dass die Ermittler sein Auto verwanzt hatten und ihm auf der Spur waren.

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Heute beginnt im Hochsicherheitstrakt des Düsseldorfer Oberlandesgericht der Prozess gegen den 25-Jährigen—und schon der Auftakt macht klar, warum es sich um einen besonderen Prozess eines Syrienrückkehrers handelt: Nils D. packt ausführlich aus. Damit dürfte das Gerichtsverfahren einen seltenen Einblick in den Aufbau und die Arbeit jenes speziellen IS-Dienstes bieten, der in Ermittlerkreisen auch als „Gestapo des Islamischen Staats" bezeichnet wird.

„Ich wollte ja nicht mein Leben lang in Syrien verbringen"

Auf die Rückfrage der Richterin Barbara Havliza, ob er aussagen möchte, antwortete D. mit einem knappen „Ja" und begann mit einem umfassenden Geständnis. In seiner Aussage, die bereits mehrere Stunden in Anspruch nahm und aktuell noch andauert, ging es am ersten Prozesstag zunächst um seine Jugend und Biografie. Der 25-Jährige, der bereits als Jugendlicher straffällig geworden war, machte im Prozess einen ruhigen Eindruck, berief sich jedoch gelegentlich auf Lücken im Erinnerungsvermögen, woraufhin die Richterin versuchte, so viele Details wie möglich in Erfahrung zu bringen.

Vor seiner Ausreise gehörte Nils D. zur sogenannten Lohberger Brigade —einer Gruppe von dreizehn jungen Männern aus dem Raum Dinslaken-Lohberg, die ausreisten, um sich dem Islamischen Staat anzuschließen.

Die Generalbundesanwaltschaft beschuldigt D., zwischen Oktober 2013 bis November 2014 Mitglied des IS gewesen zu sein. In dieser Zeit soll er zunächst auf Kampfhandlungen vorbereitet worden sein. In der Spezialeinheit des IS soll Nils D. dann etwa ein halbes Jahr gearbeitet haben. Er soll in die Festnahme von Deserteuren und die Verwaltung von IS-Gefängnissen eingebunden gewesen sein. Bei einem Verhör eines Gefangenen soll er als Dolmetscher fungiert haben.

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Die Dokumentation in den VICE-Reports: Wie junge Syrienrückkehrer wieder deradikalisiert werden sollen

Laut Anklage hat der IS Nils D. auf Kampfhandlungen vorbereitet, selbst daran teilgenommen zu haben, bestreitet er jedoch. Allerdings soll ein Foto auf seinem Handy Nils D. dabei zeigen, wie er eine Waffe an den Hinterkopf eines Mannes hält.

Während andere Syrien-Rückkehrer berichteten, das selbsternannte Kalifat habe für sie gesorgt, erklärte Nils D. gegenüber Ermittlern zuvor, für seinen Unterhalt selbst aufgekommen zu sein. Laut Generalbundesanwalt soll Nils D. bis zu 9.000 Euro vor allem für seinen Lebensunterhalt in Syrien verwendet haben. Eigentlich gehen Beobachter davon aus, dass Mitglieder der IS-Spezialeinheit einen höheren Sold als andere Kämpfer erhalten und auch einen speziellen Ausweis bekommen. Laut dem Dschihadisten-Fachblog Ojihad habe Nils D. als Teil seiner Tätigkeit ein eigenes Auto, ein AK-47-Sturmgewehr und ein M-16-Sturmgewehr erhalten. Über den Wahrheitsgehalt dieser Berichte und wie die Mitglieder des „IS-Sturmtrupps" tatsächlich organisiert und ausgestattet sind, könnte der Prozess nun weitere Auskunft liefern. Der erste Prozesstag zeigt, dass das Geständnis von Nils D. wohl auch diese Aspekte seiner Dschihadisten-Laufbahn behandeln dürfte.

Das mutmaßliche #ISIS-Mitglied: #Nils D. wurde Samstagabend vom #SEK in #Dinslaken festgenommen. pic.twitter.com/OdiDloMg5j
— RTL WEST (@RTLWEST) January 12, 2015

Laut der ermittelnden Generalbundesanwaltschaft könnte der Angeklagte außerdem Kontakt zu den Attentätern der Pariser-Anschläge gehabt haben. Die Terroristen stammten zum Teil aus Belgien und sollen in Syrien gemeinsam mit deutschen Islamisten in einem Haus gewohnt haben.

Das Geständnis von Nils D., der bereits in anderen Prozessen ausgesagt hatte, könnte möglicherweise mehrere Tage dauern. Das Düsseldorfer Verfahren, in dem bisher neun Verhandlungstermine angesetzt sind, findet auch deshalb unter extrem hohen Sicherheitsauflagen statt, weil D.s Aussage unmittelbar Auskunft über die internen Strukturen einer für den IS äußerst sensiblen und bedeutsamen Einheit liefern könnte.

Warum der 25-Jährige überhaupt nach Deutschland zurückgekehrt ist, ist noch nicht abschließend geklärt. Bei Prozessbeginn sagte er dazu zunächst nur lakonisch: „Ich wollte ja nicht mein Leben lang in Syrien verbringen."

Motherboard wird weiterhin über den Prozess gegen Nils D. berichten.