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Datenanalyse: Warum ARD und ZDF die AfD nicht ins Parlament getalkt haben

Trifft die Plasbergs und Illners eine Mitschuld am historischen Wahlergebnis der Rechtspopulisten? Unsere Talkshow-Analyse zeigt ein klares Ergebnis.

"Wenn Terror Alltag wird", "Wie umgehen mit kriminellen Zuwanderern?", "Schläger, Diebe Terroristen – wie wird Deutschland sicherer?" – Wer die Titel deutscher Polit-Talkshows der letzten Monate studiert, wundert sich kaum mehr über die 12,6 Prozent für die AfD bei der Bundestagswahl. Waren es nicht die Medien, die mit ihrer Jagd nach Quoten und ihren reißerischen Aufmachern den Rechtspopulisten nach dem Mund geredet und das Spiel mit der Angst befeuert, ja normalisiert haben?

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Der Vorwurf der medialen Schützenhilfe für den neuen deutschen Rechtsruck steht schon länger im Raum, mit dem Einzug der Rechtspopulisten ins Parlament erhält er nun neuen Auftrieb. So schreibt Georg Diez in seinem ansonsten klugen Kommentar auf Spiegel Online, "die Plasbergs dieser Welt" hätten den Einzug der AfD ins Parlament mitzuverantworten, weil sie den reaktionären Kräften schon früh eine Bühne geboten hätten. Diese "stimmungsprägenden Talkshows", so Diez, hätten die Ängste der Bevölkerung vor islamistischem Terror verstärkt und sich so von den Rechten die Themen aufdrücken lassen. Er vergleicht die Situation mit den USA, wo der Sender CNN dem damals noch chancenlosen Republikaner-Kandidat Donald Trump eine prominente Bühne bot und durch dessen Anfeindungen letztlich von höheren Quoten profitierte.

Analyse und Grafik: Motherboard.

Es ist keine unbeliebte These, insbesondere im linken Spektrum der Republik, wo derzeit händeringend nach greifbaren Erklärungen für das komplexe Problem Rechtspopulismus gesucht werden. Doch der Vergleich mit Amerika hinkt bei näherer Betrachtung. Wir haben uns die Bühnen der öffentlich-rechtlichen Sender angeschaut und festgestellt, dass es einen wichtigen Unterschied zu Deutschland gibt. Obwohl viele Medien zeitweise aus jedem Gauland-Furz eine Schlagzeile geformt hatten, sieht es im Jahr 2017 anders aus.

Zumindest wenn es um die vier großen Talkshows "Anne Will", "hart aber fair", "Maybritt Illner" und "maischberger" geht: Dort kam die AfD in diesem Jahr eher selten zum Zug. Von insgesamt 102 Sendungen bis zur Wahl wurden 2017 nur acht AfD-Politiker eingeladen, das entspricht einem Anteil von 7,8 Prozent der Sendungen. Nimmt man ihre Zustimmungswerte, die seit Jahresbeginn zwischen 7 und 12 Prozent pendelten, als Maßstab für ihre gesellschaftliche Basis, waren AfD-Politiker in diesem Jahr eher unterdurchschnittlich in Talkshows vertreten.

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Auch was die zweite Kritik betrifft – die AfD habe Medien ihre Themen aufgedrückt – gilt nur bedingt für die vier Talkshows, wie unsere Analyse zeigt. Von den insgesamt 6.815 Sendeminuten der vier Talkshows in diesem Jahr fallen nach Motherboard-Berechnungen rund 1.140 Minuten auf Themen, die zu "klassischem" AfD-Terrain gehören.

Was genau als AfD-besetztes Thema bezeichnet werden kann, ist natürlich nicht eindeutig und lässt sich diskutieren. Unseren Berechnungen legen wir jedoch die Themen zugrunde, mit denen die Partei in den Wahlkampf gezogen ist und aufgrund derer sie laut Befragungen von infratest-dimap-Wahlforschern maßgeblich gewählt wurde: Gefahr durch Flüchtlinge, Gefahr durch den Islam, Gefahr durch Terror, gescheiterte Integration, Fokus auf innere Sicherheit.

Analyse und Grafik: Motherboard.

Analyse und Grafik: Motherboard.

Analyse und Grafik: Motherboard.

Analyse und Grafik: Motherboard.

Analyse und Grafik: Motherboard.

Die Grafiken legen nahe, dass AfD-Themen mit 20,8 Prozent der Sendezeit am häufigsten bei "hart aber fair" bespielt werden, am seltensten bei "Anne Will" mit 8,3 Prozent. Der Durchschnittswert liegt bei 16,7 Prozent.

Alter Vorwurf, neue Zahlen

Die Debatte über eine zu hohe oder zu niedrige Repräsentation der Rechtspopulisten in den Talkshows ist nicht neu: Im vergangenen Jahr kritisierten Extremismus-Forscher um Ralf Melzer die Veredelung "menschenfeindlicher und antidemokratischer Botschaften" von rechts durch die "seriös erscheinende politische Debatte" in den Talkshows. Auch der Medienwissenschaftler Lutz Hachmeister warnte vor der Aufwertung der AfD durch die Polittalks, die dem Zuschauer suggerierten, es gebe eigentlich nur zwei Parteien: "den bürgerlichen Mainstream und die widerständige AfD".

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Berechnungen des Magazins ZAPP ergaben damals, dass von insgesamt 124 Sendungen der vier großen Talkshows, die zwischen Januar bis November 2016 ausgestrahlt wurden, 22 Mal ein Politiker der AfD saß. Das entspricht einem Anteil von 17,7 Prozent.

Dass die AfD-Politiker in diesem Jahr deutlich weniger zum Zug kamen und die Einladungsquote auf 7,8 Prozent geschrumpft ist, legt nahe, dass die Sender auf die Kritik reagiert haben. Auch die auf AfD-Themen verwendete Sendezeit lässt die Vermutung, die Talkshows ließen sich von den Rechtspopulisten ihre Agenda bestimmen, nur bedingt zu. So lässt sich der Durchschnittswert von 16,7 Prozent sich nicht einfach mit den 12,6 Prozent Wählerstimmen vergleichen, um im nächsten Schritt zu schlussfolgern, AfD-Diskurse hätten maximal 12,6 Prozent der Sendezeit einnehmen dürfen: Denn die Tatsache, dass eine Talkshow über Flüchtlinge oder Zuwanderung diskutiert, bedeutet nicht automatisch, dass sie sich von Rechtspopulisten die Agenda bestimmen lässt.

Diese Themen sind auch ohne die AfD zentrale politische Fragen, die einer breiten öffentlichen Debatte bedürfen. Vielleicht hätten Themen wie Flüchtlingskrise, Terroranschläge oder Zuwanderung ohne die Rechtspopulisten keine 16,7 Prozent der Sendezeit in diesem Jahr in Anspruch genommen. Doch erscheint es schwer vorstellbar, dass dieser Wert – angesichts der konkret existierenden Herausforderungen – dann deutlich geringer ausgefallen worden wäre.

Keine Frage: Wie der Einzug dieser Truppe in das höchste politische Gremium des Landes gelingen konnte, muss und wird noch lange diskutiert werden. So viel lässt sich aber schon mal sagen: Herbeigetalkt wurde er nicht – zumindest nicht in diesem Jahr.

Die Rohdaten unserer Analyse könnt ihr in diesem Google-Dokument als Excel-Tabelle (XLS) einsehen.