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GAMES

Wie Videospiele unsere tiefsten Bedürfnisse ansprechen

Jeder will Erfolgserlebnisse, sich klug fühlen und Superman mal eine reinhauen. Was macht Gaming so befriedigend – sogar furchtbare Spiele wie 'Wiz Khalifa's Weed Farm'?

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Warum mag ich Games? Gute Frage eigentlich, weil oft hasse ich sie. Oft denke ich, womit vergeude ich hier eigentlich meine scheiß Zeit und was bringt es einem, tausende Stunden lang, in Minecraft Papageien zu vergiften oder in japanischen Anime-Simulatoren ein mordendes Schulmädchen zu spielen. Frust, Rage-Quits und viel zu schwere Puzzles sind ein essentieller Teil im Gaming. Aber Videospiele schenken auch Erfolgserlebnisse und bedienen tief gehende menschliche Wünsche und Bedürfnisse. Hier sind nun einige davon:

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Ich will besser sein – als Batman

Ein "Spiel" definiert sich in der ursprünglichen Bedeutung bereits durch Auseinandersetzung, durch Gewinnen und Verlieren. Wenn man als Kind der Oma, die mich auch immer schummeln lassen hat, bei Mensch ärgere dich das Figürchen umhaut, fühlt man sich unbesiegbar. Ein Wertesystem, in dem ich mein Können über das einer anderen Person stellen kann, wird immer ein befriedigendes Gefühl auslösen. Genau danach jagen letztlich die Leute in Arena- und Kampfspielen wie Tekken und Starcraft.

Screengrab vom Autor 'Injustice 2' (c) NetherRealms

Bei Injustice 2 bekommt man sogar noch eins draufgesetzt. Es ist so schon ein grandioser Moment, Helden wie Superman eine reinzuhauen. Wenn man dann aber auch noch weiß, dass es sich im Multiplayer Mode nicht keinen Computer-Gegner handelt, den man gerade durch die Luft geprügelt hat, sondern um eine tatsächliche Person von irgendwo auf der Welt oder neben dir auf der Couch, ist ein fieses Grinsen im Gesicht fast unvermeidlich.

Dieses 1 gegen 1-Kampfspiel ist wirklich sehr cool geworden, obwohl aufgrund meiner "Comic Helden"-Ermüdung erst noch Gähnen in mir hervorgerufen hat. Es ist aber als Ganzes extrem gut designt und die Mimik oder das Kaugummikauen von Harley Quinn zum Beispiel, sind schon fast zu gut animiert. Mit Fotorealismus um die Ecke könnte das bald zusätzlichen Einfluss auf das allgemeine Spielerlebnis haben. Natürlich besonders bei Games, in denen es um Gewalt geht, wird das nicht nur positive Folgen haben.

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Ich will das Richtige tun – und recyceln

Moralische Entscheidungen und die Illusion von aktivem Einfluss auf das Schicksal deiner Spielfigur oder das der anderen Charaktere, sind seit Jahren in Games etabliert. Das ist wahrscheinlich der "kleine" Gottkomplex, der in meinem Hirn gekitzelt wird, wenn ich bei Dishonored, Bioshock oder einem Far Cry-Teil über Leben und Tod einer Figur entscheiden muss, oder besser gesagt, darf.

In Immersive Simulation Games finden sich solche Elemente meistens zur Genüge. Man will die optimale Entscheidungskette formen, die sich dann im schnelleren und optimierten Spielfortschritt ausdrückt. Auch ein Grundbedürfnis, alles zu perfektionieren. Ob meine Entscheidungen nun Eigenschaften der Spielfigur, allgemeine Kampfsysteme oder die Narrative beeinflussen, ist eigentlich egal, ich will letztlich IMMER das Richtige tun.

Das ist wahrscheinlich der "kleine" Gottkomplex, der in meinem Hirn gekitzelt wird, wenn ich bei Dishonored, Bioshock oder einem Far Cry-Teil über Leben und Tod einer Figur entscheiden muss.

Prey ist ein Spiel, das mich bereits in große ethische Zwickmühlen gebracht hat. Und nein, nicht im Bezug auf Recyceln, was in diesem Spiel mit den unbrauchbaren Inventar-Items möglich und extrem praktisch ist – natürlich mach ich das. Ich musste mich entscheiden, ob ich die tödlichen, sich in Alltagsgegenstände verwandelnden und durch Dimensionen gleitenden Gegner auf einen Häftling hetze, der dem ersten Eindruck nach unschuldig in einer Glaskammer steht.

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Mir würde seine Opferung einiges an Equipment und Rohstoffe verschaffen, außerdem klingt der Typ ziemlich unsympathisch. Ich könnte ihn aber auch einfach freilassen, was moralisch wohl die richtige Entscheidung wäre.

Screengrab vom Autor 'Prey' (c) Arcane Studios

Kurz bevor ich mich von einer simulierten Spielethik erweichen lassen, finde ich aber seine Kriminalakte, leicht versteckt auf einem Computer-Desktop. Ich lese also, dass der Arsch Menschenhandel betrieben und Minderjährige zur Prostitution angeboten hat. Ich musste kein zweites Mal blinzeln und schon hatten die nebulösen schwarzen Spinnenviecher, die ich in seine Zelle strömen ließ, ihn ausgesaugt wie eine Marlboro Light.

Ob DAS nun richtig war, weiß ich aber auch nicht. Ich denke einfach: "Es ist ja nur ein Spiel und der hat es ja verdient, der Arsch." Aber es fühlt sich nicht wie ein 100 Prozent-Score bei Super Mario an – alle Goldmünzen gefunden –, sondern mehr ambivalent. Das ist es auch, was den Reiz und einen gewissen Realismus in Prey und solchen Spielen ausmachen. Mich würde interessieren, welche Gut und Böse-Richtlinien der Ex-Polizist hat, der GTA Online aufräumen will.

Ich will klug sein – und Wildschweine austricksen

Das Bedürfnis, Rätsel zu knacken, ist ein menschlicher, kindlicher Urtrieb. In einem Artikel zu The Witness habe ich schon mal die Frage aufgeworfen, ob Videospiele mein Denken fördern oder das alles sowieso nur Spieldramaturgie ist.

Habe ich zurecht dieses Gefühl, ein verdammtes Genie zu sein, nachdem ich ein komplexes Labyrinth oder Raum-Puzzles gelöst habe, oder folge ich doch einfach nur korrekt der vorgegebenen Lernkurve, die die Spiel-Designer vorgesehen haben. Egal, was es ist, Problemlösung, die Regeln einer Spielwelt zu verstehen und richtig anzuwenden, löst tiefstes Wohlbefinden und Freudenschreie aus.

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Screengrab vom Autor 'Rime' (c) Grey Box Games

Rime sieht auf den ersten Blick ein bisschen wie das neue Zelda aus und fühlt sich im Rätsel-Gameplay sogar an wie The Witness. Man löst mithilfe eines Fuchs, der Umwelt – einer Insel mit verschiedenster Flora und Fauna – und der richtigen Perspektive diverse Raum-, Form- und Geometrie-Rätsel. Alles leuchtet sanft und bunt. Die vielen Puzzles in dieser Welt warten nur darauf von mir zerlegt zu werden.

Als ich ganz am Anfang von Rime entdeckt habe, dass die Wildschweine auf Äpfel stehen, war klar, dass ich diese verwenden muss, um die eine Mamasau wegzulocken, die mir meinen Pfad versperrt. Das ist ein eher simples Beispiel und es folgen viel kompliziertere Denkaufgaben, aber grundsätzlich funktioniert so das befriedigende Erfolgsmoment in Spielen. Es ist ein bisschen wie Radfahren, Bierflaschen mit dem Feuerzeug aufmachen oder der allererste Steuerausgleich. Davor ist es unvorstellbar, kurz nachdem man es gemeistert hat, das größte Glücksgefühl der Welt, und wenig später fragt man sich, wie man nur immer so ein Idiot gewesen sein konnte.

Ich will Geschichten – wenn es sein muss auch über Albträume

Es ist sicherlich eine Tatsache, dass der Mensch Fantastisches hören und sehen will, ob dass nun Geschichten am Lagerfeuer sind, Blockbuster-Kino oder die Tante, die einem Asterix vorlesen. Unser Bedürfnis nach Fiktion ist relativ abstrakt, aber natürlich sprechen Videospiele auch das an. Manchmal besser, manchmal schlechter.

Rainer Sigl hat für den Standard über das Erzählen in Videospielen geschrieben, wie gut sie das können oder wie scheiße. Persona, Warcraft, Final Fantasy und wie sie alle heißen, bieten ausgeklügelte Erzählwelten, in denen man sich für immer verlieren kann. Und manche wollen das auch.

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Screengrab vom Autor 'Little Nightmares' (c) Bandai Namco Entertainment

Bei dem Sidescroll-Platformer Little Nightmares ist mir als Erstes der esoterisch gemütliche Soundtrack aufgefallen, sogar die Horror-Synths klingen ein bisschen nach Mediationsraum. Das ist sicher schon ein guter Schritt in einnehmendes Erzählen, für ein Videospiel. Der Rest hat mir leider nicht wirklich gefallen, da ich das Spiel nicht als zugänglich empfand und ein bisschen zu sehr in den eigenen Style verliebt. Ein kleines Figürchen mit Regenmantel wandert durch Levels, die Angstzustände und Kindheitstrauma repräsentieren.

Andere Leute, die es gespielt haben, loben die einnehmende Symbolik und die gruselige Weltenbildung. Auch wenn ich kurz nach dem erhängten Typen – oh, wie spooky, wir haben Tim Burton-Filme geschaut – mit Little Nightmares aufgehört habe, beschreibt das Spiel perfekt, wie Videospiele narrativ funktionieren können und den Sinn für Geschichten stimulieren.

Ich will sinnbefreite Sofortbefriedigung – am besten in kleinen Weed-Portionen

Man nehme Musou-Spiele oder Shoot'em Ups wie Tempest, oder all die anderen dauerfeuernden, Sinne überreizenden und im Sekundentakt Bazillionen Punkte sammelnden Games: Sie bedeuten einen Mini-Dopamin-Ausstoß im Hirn, quasi auf Knopfdruck. Ob man Asteroiden zerstört oder einfach nur den Zahlen beim nach oben Gehen zusieht, es ist die kleinste mögliche Form von Erfolgserlebnis und an sich das ursprünglichste Fundament von Videospielen.

Incremental Clicker-Spielen sind die moderne Reinform dieses Bedürfnisses nach Sofortbefriedigung. Ja, wie der Name schon erahnen lässt, sind es Spiele – meistens auch für das Handy konzipiert –, bei denen man einfach nur auf etwas klickt. Das ist alles. Entweder sammelt man Kekse, bunte Früchte oder, im Fall von Wiz Khalifa's Weed Farm, die Grasernte – unbedingt den dämlichen Trailer dazu anschauen. Hauptsache ist jedenfalls, die Punkteanzahl geht schön exponentiell nach oben.

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Screengrab vom Autor 'Wiz Khalifa's Weed Farm'

Die Systeme dieser Klicker funktionieren außerdem auch auf der Basis, dass man mit der Zeit alles automatisieren kann und nicht einmal noch selber klicken muss. Sprich, man spielt, um nicht spielen zu müssen. Workaholics und Leute mit Konzentrationsschwächen – wie ich zum Beispiel – lieben dieses Genre. Alleine der Mini-Animation bei Wiz Khalifa's Weed Farm zuzusehen, wenn man auf eine der buschigen Pflanzen klickt, Skywalker OG oder auch Gorilla Glue, und die harzigen Knospen runterfallen, ist die reinste Wonne. Ich hab mich schnell auf Level "Schwag Chef" hochgeklickt beziehungsweise geklickt.

Hier wird mit dem Mindestaufwand eine extrem kleine Lustbefriedigung generiert. In Summe kann das natürlich dann schon wieder sehr befriedigend sein. Das Pendant im echten Leben wären wohl so kurze neurotische Aktionen, wie Falten aus der Kleidung zu streifen, in der Nase zu bohren oder Poppfolie zu poppen. Weed Farm ist als Game extrem furchtbar, trotzdem macht es sich nichts vor und ich freue mich schon sehr darauf, ohne tatsächliche spielerische Herausforderung, meine nächste neue Grassorte freizuspielen. Games are crazy.

Josef auf Twitter: @theZeffo

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