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Was es mit dem 'Engelteilchen' auf sich hat, das Quantenforscher gerade entdeckt haben

80 Jahre lang suchten Forscher nach dem mysteriösen Teilchen, das gleichzeitig auch Antiteilchen ist. Nun könnte es eine wichtige Rolle in der Quantenphysik spielen.
Laser Worm
"Laser Worm" | Bild: Wayne England | Flickr | Lizenz:CC BY 2.0

1937 stellte der italienische Physiker Ettore Majorana eine These auf, die die Physik 80 Jahre lang in Atem halten sollte: Er sagte voraus, dass es Teilchen geben musste, die gleichzeitig auch ihre eigenen Antiteilchen sind. Eine gewagte Prognose, schließlich war das erste Antiteilchen gerade erst wenige Jahre zuvor durch einen Zufall entdeckt worden. Wissenschaftler auf der ganzen Welt verschrieben sich in den folgenden Jahrzehnten der Suche nach dem sogenannten Majorana-Fermion. Doch niemandem gelang es, die Existenz des Teilchens nachzuweisen – bis jetzt.

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Wie vergangene Woche in der Fachpublikation Science bekannt wurde, hat ein Forscherteam der UC Irvine, UCLA und Stanford erstmals aussagekräftige Nachweise für die Existenz des Teilchens in einer Studie erbracht. Die Forscher tauften ihre Entdeckung auf den Namen "Engelteilchen", in Anlehnung an Dan Browns Thriller Angels & Demons (auf Deutsch: Illuminati), in dem eine Bombe aus Antimaterie eine zentrale Rolle spielt. Ihr Fund könnte vor allem für die Entwicklung von widerstandsfähigeren Quantencomputern bahnbrechend sein.

Was ist überhaupt so besonders an dem "Engelteilchen"?

In der Physik werden Elementarteilchen in die beiden Klassen der Fermionen und Bosonen unterteilt, weil sie einen unterschiedlichen Eigendrehimpuls, oder "Spin", haben. Eines haben jedoch alle Elementarteilchen gemein: Sie haben einen bösen Zwilling. Das sogenannte Antiteilchen hat genau dieselbe Masse, Spin, und Lebensdauer wie das entsprechende Teilchen, besitzt jedoch genau die entgegengesetzte elektrische Ladung. Wenn ein Teilchen auf sein Antiteilchen trifft, heben die beiden sich gegenseitig auf und geben einen Energieschub ab.

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Majorana sagte vor 80 Jahren voraus, dass in der Klasse der Fermionen – zu der Protonen, Neutronen, Elektronen und Quarks gehören – auch ein Teilchen existieren müsste, dass sein eigenes Antiteilchen bildet. Dieses Majorana-Fermion dürfte keine Ladung haben, ähnlich wie ein Neutron oder Neutrino. 1956 entdeckten Physiker des Lawrence Berkeley National Laboratory jedoch das Antiteilchen für Neutronen. Somit blieben die Neutrinos als einziger brauchbarer Kandidat für das Majorana-Fermion übrig, und bis heute finden Experimente auf Grundlage dieser These statt.

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Weltweit werden momentan vier Experimente durchgeführt, die untersuchen, ob Neutrinos tatsächlich Majorana-Fermionen sind. Da diese großangelegten Versuche jedoch sehr kompliziert und kostenintensiv sind, werden eindeutige Ergebnisse frühestens in zehn Jahren erwartet.

Vor ein paar Jahren kamen Forscher der UC Irvine, UCLA und Stanford auf die Idee, das Experiment von einer anderen Seite aufzuziehen. Sie hatten entdeckt, dass man Majorana-Fermionen auch künstlich erschaffen kann, indem man bestimmte exotische Materialien wie Supraleiter manipuliert. Statt auf die Entdeckung des Majorana-Fermions zu warten, wollten sie es einfach selbst erschaffen.

Wie die Forscher künstliche Majorana-Fermionen erzeugten

Bei ihrem Experiment suchten die Forscher nach sogenannten "Quasiteilchen". Diese Einheiten entstehen durch das kollektive Verhalten vieler Teilchen und können dieselben Eigenschaften wie ein normales Teilchen aufweisen, wie beispielsweise Masse, Impuls, Energie, Wellenlänge und Spin. Um das Ganze zu veranschaulichen, stellt euch am besten ein Bläschen in einem Bierglas vor. Diese Blase ist kein eigenständiges Ding, denn sie entsteht, weil das Bier durch Kohlensäure verdrängt wird. Trotzdem kann man diesem Bläschen bestimmte Eigenschaften zuschreiben, während es im Glas aufsteigt.

Bei der Suche nach den Majorana-Fermion Quasiteilchen nutzten die Forscher supraleitende Stoffe, die Elektrizität ohne Energieverlust weitergeben, und einen magnetischen topologischen Isolator, der elektrische Bewegungen nur auf seiner Oberfläche zulässt.

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Nachdem sie zwei dünne Lagen des supraleitenden Materials und des topologischen Isolators aufeinander geschichtet hatten, platzierten sie dieses physikalische Sandwich in einer gekühlten Vakuumkammer. Fügten die Forscher nun Elektrizität hinzu, glitten die Elektronen in entgegengesetzter Richtung an den beiden Kanten der Isolatoren-Oberfläche entlang.

Als nächstes führten die Physiker einen Magneten über das Material. Dadurch wurden die Elektronen langsamer, hielten an und wechselten dann ihre Richtung. Dieser Prozess fand phasenweise statt und konnte im Versuch gut beobachtet werden. Unter dem Einfluss des Magneten bildeten sich auch Paare von Majorana-Quasiteilchen auf dem supraleitenden Film, die sich nun ebenfalls am Rand des topologischen Isolatoren entlang bewegten.

Genau wie die Elektronen reagierten auch die Majorana-Quasiteilchen auf den Magneten: sie wurden langsamer, hielten an und änderten ihre Richtung – allerdings liefen diese Schritte nur halb so schnell wie bei den Elektronen ab. Genau durch diese halbe Geschwindigkeit, wussten die Forscher, dass hier Majorana-Quasiteilchen entstanden waren.

"Unser Team hatte genau vorhergesagt, wo die Majorana-Fermionen auftreten würden und woran wir sie erkennen würden", erklärt Shoucheng Zhang, Physikprofessor in Stanford, in einem Statement. "Diese Entdeckung beendet eine der intensivsten Suchen aller Zeiten in der Teilchenphysik, die sich genau über 80 Jahre erstreckt hat."

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Laut Zhang und seinen Kollegen könnte ihre Entdeckung dabei helfen, robustere Quantencomputer zu entwickeln. Doch auch mit diesem Durchbruch verlieren die laufenden Experimente, wie das EXO-200, nicht an Bedeutung – denn sie forschen nach echten Majorana-Teilchen, nicht nur Quasiteilchen.

"Die Quasiteilchen, die in diesem Experiment beobachtet wurden, entstammen im Grunde einem Material, das sich wie ein Majorana-Teilchen verhält", erklärt der Physikprofessor Giorgio Gratta, der nicht an dem Versuch beteiligt war, in einem Statement. "Doch es handelt sich hier nicht um echte Elementarteilchen. Die Quasiteilchen wurden auf künstliche Weise in einem sehr speziell präparierten Umfeld geschaffen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass sie so im Universum auftauchen – aber was wissen wir schon?"

Nichtsdestotrotz ist die Entdeckung des "Engelteilchens" ein wissenschaftlicher Durchbruch. Denn es ist der erste handfeste Beweis dafür, dass Majorana-Fermione tatsächlich existieren können. "Diese Studie ist der Höhepunkt einer jahrelangen Suche nach den Majorana-Fermionen", erklärt auch Tom Devereaux, Leiter des Stanford Instituts für Material- und Energieforschung. "Es ist ein Meilenstein für das Forschungsfeld."