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Neue Gentherapie verspricht HIV-Heilung durch DNA-Umschreibung

Zum ersten Mal wurde eine Mutation, die gegen HIV immun macht, in menschliche Stammzellen geschleust. Damit steht der gentechnischen HIV-Therapie nichts mehr im Weg.
HI-Viren (grün dargestellt) wie sie einer weissen Blutzelle (blau) entschlüpfen. Bild: C. Goldsmith Content Providers: CDC/ C / Wikipedia | Lizenz: Public Domain

Im Februar 2009 veröffentlichte der Berliner Hämatologe Gero Hütter im New England Journal of Medicine einen kurzen Bericht über einen ungewöhnlichen Fall: Nach einer Stammzellen-Transplantation war sein Blutkrebs-Patient, der Amerikaner Timothy Ray Brown, nicht nur von seiner Leukämie geheilt, sondern auch vom HI-Virus, mit dem er infiziert war. Die Nachahmung dieses außergewöhnlichen Erfolgs bei anderen HIV-Infizierten mit gentherapeutischen Mitteln ist jetzt, dank einer neuen Studie, in greifbare Nähe gerückt.

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Der HI-Virus greift vornehmlich die weißen Blutzellen an und zerstört so die Immunantwort des Körpers auf andere Infektion. Schon in den Jahren vor seiner Zulassung 1987 wurde das erste Medikament, Zidovudine, von HIV-infizierten als illegale lebensverlängernde Maßnahme genutzt.

Mit diesem Ansatz können wir in Zukunft eine vollständige Heilung von HIV-Infektionen ermöglichen.

Seither leben und sterben (heute fast ausschließlich leben) die meisten HIV-infizierten mit einem Medikamenten-Cocktail, in dessen Entwicklung es darum geht auf immer mehr Prozesse im HIV-Lebenszyklus anzugreifen, den die Grafik unten zeigt.

Zu den Angriffszielen gehören verschiedene Proteine, die das HI-Virus nutzt um sich an Zellen anzudocken (Protein CCR5), den eigenen genetischen Code mit der Wirtszelle kompatibel zu machen (Reverse Transkriptase), den dann kompatiblen Code in die DNA der Zelle einzubauen (Integrase) und um die Virenbausteine, die die umprogrammierte Zelle dann herstellt, richtig zu neuen Viren zusammenzusetzen (Protease). HIV-Medikamente hemmen (inhibieren) an diesen Stellen.

Die Angriffsziele moderne HIV-Behandlung (rot). Bild: Thomas Splettstoesser / Wikipedia | Lizenz: CC BY 3.0 (modifiziert vom Autor)

Brown, seither Berliner Patient genannt, hatte Immun-Stammzellen von einem Spender mit einer Mutation erhalten, die den Andock-Rezeptor CCR-5 (den tragen alle Körperzellen) so verformt, dass HIV nicht mehr andocken kann. Mit dieser Mutation war der Spender, und nach der Transplantation auch der Empfänger, komplett gegen HIV resistent. Und Brown konnte seine HIV-Medikamente absetzen, bis heute.

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Leider ist die Transplantation fremder Körperzellen, wie im Fall des Berliner Patienten, selbst mit sehr hohen Risiken verbunden. Zum Beispiel droht die Abstoßung der Spender-Immunzellen durch das Immunsystem des Empfägers. So ist es bei Blutkrebs oft nötig, das Immunsystem des Patienten selbst erstmal komplett abzutöten bevor Spender-Zellen verplanzt werden können. Das Immunsystem zu schwächen ist an sich schon lebensgefährlich, und ist obendrein das eigentliche Problem bei AIDS. Zusätzlich müssen natürlich geeignete Spender mit passender Mutation gefunden werden, doch die sind selten.

In den fünf Jahren seit der Heilung Timothy Ray Browns wurde deshalb versucht, die heilbringende Mutation gentechnisch in patienteneigene Immunstammzellen zu bringen (ironischerweise unter anderem mit Hilfe anderer Viren), die dann dem Patienten wieder gespritzt werden, in der Hoffnung, dass diese resistenten Immunstammzellen auf Dauer das Immunsystem übernehmen. Auf diese Art bräuchte es keinen Spender, und es gäbe auch kein Riskiko der Abstossung.

Eine Übernahme des Immunsystems mit freundlicher Unterstützung der Genmedizin

Doch „die Effekte dieser Ansätze könnten kurzfristig bleiben, weil modifizierte Immunzellen möglicherweise weiter vom nicht-resistenten Immunsystem dominiert werden." argumentiert Lin Ye, leitender Autor einer Studie, die vergangene Woche online im Journal PNAS erschien. In ihrer Studie nutzten die Autoren statt normaler Immunstammzellen solche, die gentechnisch dazu angeregt wurden in ihr Babystadium, zur sogenannten Pluripotenz zurückzufallen.

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Vom Babystadium aus wiederum kann eine pluripotente Stammzelle dazu angeregt werden sich unendlich oft zu teilen oder sich in eine beliebige Köperzellart zu differenzieren, auch in das ganze Arsenal möglicher Immunzellen und Immunstammzellen. Eine Übernahme des Immunsystems mit freundlicher Unterstützung der Genmedizin.

Die Forscher versahen die Babystammzellen mit der CCR5-delta32-Mutation und konnten sie dann in die wichtigen weißen Blutzellen umgewandelt. Das Ergebnis: 100% der so gewonnen Vorläufer- und Immunzellen (Monozyten und Macrophagen) waren gegen den HI-Virus resistent. „Induzierte pluripotente Stammzellen (iPSCs) könnten zu einer reichhaltigen Quelle patientenspezifischer Stammzellen werden, die genetisch in verschiedenste Zell-Linien modifizierbar sind." erklärt der Artikel.

„Theoretisch", so erklärte mir Ye in einer E-Mail „treffen sowohl Immunstammzellen und iPSCs nach der Transplantation auf das Problem, dass sie mit unmodifizierten Zellen um Dominanz kämpfen. Aber weil sich iPSCs unendlich teilen können, kann man mit ihnen auch endlos Immunstammzellen mit Mutation herstellen. So sind dann beliebig viele Transplantationen möglich." Beim Berliner Patienten waren zwei Transplantationen nötig, um das Immunsystem des Empfängers mit mutierten Zellen zu übernehmen.

Ye's Artikel schliesst mit einer Ansage von der noch vor 10 Jahren niemand zu träumen wagte: „Dieser Ansatz kann in Zukunft angewendet werden, um eine vollständige Heilung von HIV-Infektionen zu ermöglichen."

Danke, Gentechnik!