FYI.

This story is over 5 years old.

Tech

Dieses Spiel soll dich gegen Fake News "impfen" – und macht fast alles falsch

Forscher der Uni Cambridge wollen mit einem Online-Spiel über Fake News aufklären. Aber sie haben ein absurdes Bild davon, wie soziale Medien funktionieren.
Bild: Screenshot, getbadnews.com

Wie schafft man es vom bedeutungslosen Troll zum Meister der Fake News? Laut Forschern der Universität Cambridge läuft das wohl so: Du erstellst einen Twitter-Account mit dem Bild des US-Präsidenten und verfasst eine Kriegserklärung an Nordkorea. Zackfertig, 50 Follower gewonnen.

Mit diesem unrealistisch verkürztem Szenario beginnt das Online-Spiel "Bad News", das unter anderem von den Cambridge-Forschern entwickelt wurde. Das Konzept: Der Spieler schlüpft in die Rolle eines Fake-News-Produzenten, postet vorgefertigte Beiträge in sozialen Netzwerken und soll so viel Chaos wie möglich anrichten. Nach Auffassung der Forscher wirke das Spiel wie ein "Impfstoff" gegen Fake News, indem es "Propaganda-Taktiken simuliert".

Anzeige

Folgt Motherboard auf Facebook, Instagram, Snapchat und Twitter

Was das Spiel simuliert ist aber weniger die Realität als eine verfälschte Online-Welt. Der Spieler steigt im Zeitraffer vom Nachwuchstroll zur einflussreichen Fake-News-Schleuder auf. Eine Kriegserklärung an Nordkorea ist gerade mal der zweite Tweet, den er in seiner Karriere absetzt. Kein Follower in der Simulation bezweifelt die Nachricht. Nach nur einem weiteren Tweet folgen schon 218 Menschen dem Hetzer. Wenn das mit der Reichweite auf Twitter nur so einfach wäre.

Mit diesem gefälschten Trump-Tweet soll der Spieler als Fake-News-Autor durchstarten | Bild: Screenshot, getbadnews.com

So leichtgläubig sind nicht mal Verschwörungstheoretiker

Wenig später setzt der Spieler eine Falschmeldung über einen Chemieunfall ab: Ein Bild zeigt gelbe Fässer auf einem Feldweg, darunter steht: "Und die Regierung so: Ist alles in Ordnung." Wieder regnet es Follower – und wieder bezweifelt keiner die Falschmeldung. Im Gegenteil: Die Fans scheinen dem Nachwuchs-Propagandisten blind zu glauben, pflichten sogar den Antworten schlecht getarnter Social Bots bei. Zu allem Überfluss tragen die Bots im Spiel alberne Namen wie "Joe Roe-Bot". So leichtgläubig sind wohl nicht mal Verschwörungstheoretiker.

Wer glaubt, dass Propaganda so leicht funktioniert, könnte das Vertrauen in die Menschheit verlieren. Die fiktiven Nutzer in der Simulation schlucken selbst fadenscheinige Lügen und lassen sich kinderleicht manipulieren. Für erfolgreiche Fake News braucht es nur einen Tweet.

Anzeige

Wer's glaubt: Bilder wie diese postet der Nutzer im Spiel "Bad News" | Bild: Screenshot, getbadnews.com

In der realen Welt kann es hingegen Tage oder gar Monate dauern, bis eine Fake News groß wird. Wie so etwas ablaufen kann, hat der Datenjournalist Michael Kreil bei seinem Vortrag auf dem Chaos Communication Congress 2017 in Leipzig gezeigt. Der Journalist hat darin den Weg einer einzelnen Fake News durch Twitter-Deutschland nachgezeichnet.

Fake News können sich über Monate entwickeln

Vorgeknöpft hatte sich sich Kreil eine virale Meldung vom März 2017. Darin ging es um eine vermeintliche Reisewarnung nach Schweden wegen islamistischer Terrorgefahr. Das Auswärtige Amt hatte das schnell als Fake entlarvt. Den ersten Hinweis auf die Falschmeldung fand Kreil aber schon im September 2016. Zahlreiche Tweets zu dem Thema blieben wochenlang unbeachtet. Erst im März wurde die Meldung massenhaft geteilt.

"Das interessante ist, dass eine Fake News nicht veröffentlicht wird und dann total einschlägt und alle sind empört", folgert Michael Kreil. Stattdessen werde herumexperimentiert, bis das Netzwerk eine Resonanz hervorrufe.

Analysen wie diese zeigen, wie irreführend die Simulation im Spiel "Bad News" ist. Die Wirkung von Fake News wird radikal überschätzt, genauso wie die Leichtgläubigkeit von Nutzern. Das Spiel legt nahe, dass vor allem einzelne Online-Hetzer das Problem sind. Andere Nutzer scheinen ihnen hilflos ausgeliefert. Eine Sichtweise, die unangenehme politische Folgen haben könnte: Wenn man den Blick vor allem auf die Hetzer richtet, lassen sich strengere Kontrollen und Überwachung im Netz leicht begründen. Ausgeblendet werden dabei Dinge wie struktureller Fremdenhass oder tief verwurzelte Ängste, ohne die Fake News wohl nicht funktionieren würden.

Anzeige

Der politische Einfluss von Fake News ist umstritten

Irreführend ist auch das Ende des Spiels. Mit einem simplen Tweet erzwingt der Spieler den Rücktritt eines Regierungsbeamten. Der Beamte hat den Vorsitz in einem Ausschuss, der Flugzeugabstürze aufklären soll. "Der Vorsitzende muss jetzt zurücktreten", twittert der Spieler – und seine Worte werden Wirklichkeit. Einen auf diese Weise erzwungenen Rücktritt hat es in dieser Form noch nicht gegeben.

Im Spiel lassen sich sogar Rücktritte herbei twittern | Screenshot, getbadnews.com

Tatsächlich ist unter Forschern umstritten, welchen politischen Einfluss Fake News überhaupt haben. So ergab etwa eine eine Datenanalyse der Universitäten von Princeton, Dartmouth und Exeter: Fake News waren für die breite Masse der US-Nutzer beim Wahlkampf 2016 kaum ein Thema. Die meisten Fake News habe nur eine kleine Gruppe gelesen, etwa ein Zehntel der Nutzer. Hinzu kommt, nicht jeder Leser von Fake News ändert sofort seine politische Haltung.

Auch zur Bundestagswahl in Deutschland ist eine politische Krise durch Fake News ausgeblieben. Geplante Online-Kampagnen von Trollen und AfD-Fans hatten nur einen geringen Einfluss.


Auf Motherboard: Das vielleicht seltsamste Videospiel der Welt


Zumindest eines muss man dem Spiel der Cambridge-Forscher zugute halten: Ein paar Tricks von Online-Propaganda führt es anschaulich vor Augen. An einer Stelle soll der Spieler etwa über die Schlagzeile eines Artikels entscheiden. Soll er dabei differenziert bleiben oder übertreiben? Schreibt er lieber: "Leichter Anstieg von Chemieunfällen" oder: "Die Regierung tötet ihre Bürger"? Übungen wie diese machen "Bad News" zu einem kleinen Tutorial in Medienkompetenz. Ein "Impfstoff" gegen Fake News ist das Spiel aber nicht.

Folgt Sebastian auf Twitter