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Warum hörte unser genetischer Code irgendwann auf sich weiterzuentwickeln?

Vor circa drei Milliarden Jahren stagnierte auf einmal die Entwicklung des genetischen Codes, der alles Leben auf der Erde bestimmt. Doch weshalb? Das haben spanische Wissenschaftler jetzt herausgefunden.
Die Familie von Laokoon, umflochten von Spiralen aus DNA. Scraperboard von Bill Sanderson, 1990 | Foto: Wellcome Library, London

Alle Lebensformen auf diesem Planeten existieren dank eines universellen genetischen Codes. Dieses biologische Regelwerk erklärt unseren Zellen, wie die DNA in wichtige Proteine übersetzt wird, die wir zum Überleben brauchen.

Der genetische Code befiehlt eine schier unermessliche Anzahl von Organismen und ist damit sozusagen der gemeinsame Vorfahre aller Organismen des Planeten—eine Art Lingua Franca des Lebens.

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Und trotz seiner vielfältigen und essentiellen Fähigkeiten, verändert sich dieser Code nicht— zumindest nicht mehr: Aus Wissenschaftlern bisher unbekannten Gründen hörte der Codes des Lebens vor ungefähr drei Milliarden Jahren einfach auf, sich weiterzuentwickeln.

„Die auf dem genetischen Code basierende Proteinbiosynthese ist die entscheidende Funktion biologischer Systeme. Nur mit ihrer Hilfe kann die Information richtig übersetzt werden."

Anstatt sich zu erweitern und neue Kombinationen von Aminosäuren zu entwickeln, wodurch möglicherweise neue Lebensformen entstanden wären, stagnierte der Code. Er ist in seiner Art und Funktion so geblieben, wie wir ihn heute kennen. Einer neuen Studie zufolge, die in Science Advances veröffentlicht wurde, gibt es jetzt allerdings endlich eine Erklärung für den Evolutionsstopp des genetischen Codes.

Genetiker des Institute for Research in Biomedicine und des Centre for Genomic Regulation in Barcelona haben herausgefunden, dass der genetische Code vor ein paar Milliarden Jahren sozusagen vor einer Entscheidung stand: Entweder er würde sich weiterentwickeln und damit Mutationen der Bausteine des Lebens riskieren, die durch ihn überhaupt erst entstanden sind, oder aber er würde sich nicht weiterentwickeln, dafür aber mit Sicherheit funktionieren.

„Die auf dem genetischen Code basierende Proteinbiosynthese ist die entscheidende Funktion biologischer Systeme. Nur mit ihrer Hilfe kann die Information richtig übersetzt werden", so der leitende Autor der Studie, Lluís Ribas de Pouplana.

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Schon lange bevor Lebewesen in die drei Domänen Bakterien, Eukaryoten und Archaeen eingeteilt wurden, gab es den genetischen Code. Erst in den 1960er Jahren schafften es Wissenschaftler, ihn zu entschlüsseln. Aber obwohl im genetischen Code so viel Potenzial für neue Lebensformen steckte, blieb er relativ unkreativ.

Über Jahrtausende hinweg hat sich der genetische Code so entwickelt, dass er Codons enthält. Codons sind Basentripletts, also eine spezifische Abfolge von Nukleobasen, welche von Transfer-RNAs (tRNA) in 20 verschiedene Aminosäuren übersetzt werden, aus denen dann die grundlegenden Proteine entstehen. Allerdings gelangte die tRNA ab einem gewissen Punkt an ihr Limit, was das erfolgreiche Übersetzen der Aminosäuren in Proteine anging, so das Ergebnis der Studie. Und das war genau dieser Moment, als der genetische Code und damit auch die Komplexität des organischen Lebens zum Stillstand kamen.

Bei mehr als 20 Aminosäuren läuft die Maschinerie der Genexpression einfach nicht mehr rund; es kommt zu Fehlübersetzungen und in der Folge zu Mutationen „mit katastrophalen Konsequenzen", so Lluís Ribas.

Je weiter sich der genetische Code entwickelte, desto mehr neue tRNA konnten erschaffen werden, doch die besondere Form der Bindungsstellen im Ribosom—dem Teil der Zelle, wo Proteine aufgebaut werden—erlaubte nur wenig Veränderung. Wären dagegen die tRNA-Moleküle nicht richtig an die Ribosome angepasst, würde die Proteinbiosynthese nicht einwandfrei funktionieren—eine fatale Fehlfunktion für das Leben.

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CRISPR kann sogar den Menschen genetisch rapide verändern—aber ist das gut?

„Die Natur kam irgendwann an einen Punkt, wo sie keine neuen tRNAs erschaffen konnte, die sich so sehr von den bereits bestehenden unterscheiden, ohne dass es dabei zu Problemen bei der Identifikation der richtigen Aminosäure gekommen wäre. Und das war genau dann, als 20 Aminosäuren erreicht waren", erklärt Lluís Ribas.

Die Autoren der Studie hoffen nun, dass ihre Ergebnisse in der synthetischen Biologie Anwendung finden und auch im Bereich der Gentechnik zu neuen Erkenntnissen beitragen können.

Derzeit ist das neue CRISPR/Cas9-System auf dem Vormarsch, mit dem man auch menschliche DNA punktuell verändern kann—und das wesentlich einfacher und präziser als mit anderen bisher bekannten Verfahren. Die Erkenntnisse zur Entwicklung des genetischen Codes und seinen Grenzen könnten Biologen helfen, einzigartige Proteine mit ganz neuen Funktionen herzustellen.

Ein Blick in die Vergangenheit zu den Ursprüngen unseres Lebens wie auch in die Zukunft der Gentechnik kann die Tür zu spannenden neuen Erkenntnissen und Innovationen in der Genetik öffnen. Die Erfolge und Misserfolge der Evolution erzählen uns mehr über unsere Spezies als jedes Science-Fiction-Werk. Vor allem aber müssen wir den Blick in die Vergangenheit wagen, um zu erkennen, wie weit wir schon gekommen sind.