Ist Žižeks Aussage, dass er Donald Trump wählen würde, nur eine Provokation?

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Ist Žižeks Aussage, dass er Donald Trump wählen würde, nur eine Provokation?

Der marxistische Starphilosoph Slavoj Žižek würde Trump wählen, wenn er könnte. Das behauptet er zumindest in einem Interview. Aber was genau will er uns damit sagen?

Es ist wieder passiert. Slavoj Žižek hat wieder provoziert. Dieses Mal sorgte der slowenische Philosoph und bekennende Kommunist sowohl bei seinen Anhängern, als auch bei seinen Kritikern mit der Aussage für Verwirrung, er würde bei der Präsidentschaftswahl in den USA für Donald Trump stimmen.

Was für viele auf den ersten Blick wie der nihilistische Wunsch nach dem "freien Fall ins Chaos" klingen mag, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung aber als dialektischer Gedanke zur Rettung der westlichen Demokratie—und damit auch jenem Europa, das laut Žižek vor allem für emanzipatorische Werte, soziale Sicherheit, Gleichheit und Frauenrechte steht. Also dem Europa, das wir laut Žižek "alle kennen und hoffentlich lieben".

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Žižek ist kein Fan des Chaos. Das ist spätestens klar, seitdem er sich Anfang 2016 in die Flüchtlingsdebatte eingemischt hat und unter anderem gefordert hat, das Militär zur Bewältigung der sogenannten Flüchtlingskrise einzusetzen: "Dabei soll Europa auch mit dem Militär helfen, wie es etwa bei Naturkatastrophen geschieht. Die allermeisten Flüchtlinge sind keine Bedrohung für Europa, aber das Flüchtlingschaos ist es", sagte der Philosoph in einem Interview mit der Welt.

Wie aber passt Žižeks Positionierung gegenüber Trump mit diesen Gedanken zusammen, wo der republikanische Präsidentschaftskandidat doch gerade beim Flüchtlingsthema eine völlig konträre Haltung hat und Flüchtende mehrmals pauschal als Terroristen bezeichnet hat?

Slavoj Žižek würde für Donald Trump stimmen, wenn er könnte.

Natürlich ist auch für Žižek die "Figur Trump ein Exzess an Irrwitz, ein vulgärer Ausbeuter unserer schlimmsten rassistischen und sexistischen Vorurteile", wie er in einem Gastbeitrag für die Zeit schreibt.

Žižek fürchtet sich vor den Folgen, die eine mögliche Präsidentschaft Trumps nach sich ziehen könnte. Er weiß Bescheid über die Gefahr von "White Supremacy Groups" und kennt Trumps Pläne, den Supreme Court mit rechten Richtern zu besetzen.

Dennoch geht für Žižek—unter der Überzeugung, dass auch Trump die USA nicht in einen faschistischen Staat umwandeln wird—die tatsächliche Gefahr eben nicht von dem exzentrischen Politiker aus, sondern von dem, was er den "demokratischen Wohlfühl-Konsens" von Hillary Clinton nennt, mit dem auch Obamas "Yes We Can" eine neue Bedeutung zukommt. Für Žižek ist "Yes We Can" heute vor allem eines: Die Erfüllung all unserer kulturellen Forderungen—zum Beispiel nach Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben—, ohne die globale Marktwirtschaft zu gefährden.

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Für Žižek besteht der politische Konsens in einer Art gefährlichen Opposition zu Trump, der es vor allem um die Aufrechterhaltung des Kapitalismus geht.

Für Žižek besteht der politische Konsens rund um Clinton aus Vertretern von Wall Street, Großkonzernen und dem republikanischen Establishment, über Anhänger von Bernie Sanders und den Überresten der Occupy-Bewegung, bis hin zu Gewerkschaften, Armeeveteranen, LGBTIQ- und Umwelt-Aktivisten und Feministinnen. Diese Allianz bildet für den Philosophen eine Art gefährliche Opposition zu Trump, der es unter dem Deckmantel sozialer Progression und Political Correctness vor allem um die Aufrechterhaltung eines ausbeuterischen kapitalistischen Systems geht.

Žižek verdeutlicht seine These anhand der ehemaligen US-Außenministerin Madeleine Albright, die heute zum Unterstützungskomitee von Clinton gehört. In der CBS-Sendung 60 Minutes vom 12. Mai 1996 antwortete Albright auf die Frage, ob die Sanktionen gegen den Irak den damit in Zusammenhang stehenden Tod von einer halben Million Kinder Wert sei: "Ich glaube, das ist eine sehr harte Entscheidung, aber der Preis, glauben wir, ist es wert." Für Žižek ist Albrights Aussage wesentlich obszöner und gefährlicher als sämtliche "sexistischen Banalitäten" Trumps, die seiner Meinung nach ohnehin vorhersehbar waren: "Fast so, als würde man Hitler zum Essen einladen und sich über antisemitische Sprüche wundern."

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Žižek kritisiert anhand eines weiteren Beispiels die Scheinheiligkeit des demokratischen Konsens. Er wirft dem Apple-Chef und LGBTIQ-Aktivisten Tim Cook vor, sich einerseits für die Rechte von Schwulen, Lesben und Transsexuellen einzusetzen, gleichzeitig aber seine Produkte unter sklavenähnlichen Bedingungen in China produzieren zu lassen. "Wie so oft stehen die Großunternehmen stolz vereint mit der politisch korrekten Theorie", erklärt Žižek in der Zeit.

Das alles ließe sich so oder so ähnlich argumentativ natürlich auch gegen Trump auslegen—mit einem bedeutenden Unterschied: Žižeks Parteiergreifung für Trump wurzelt nicht in der kruden Weltanschauung des Kandidaten, sondern in der "verzweifelten Hoffnung", dass ein Sieg des Republikaners ein "großes Erwachen" und "neue politische Prozesse" auslösen würde. "Wenn Trump gewinnt, müssten sich beide großen Parteien, Republikaner und Demokraten, auf das Wesentliche besinnen, sich selbst überdenken", hofft Žižek.

In diesem dialektischen Gedanken, dass das Böse also auch etwas Gutes sein könne, ist der slowenische Philosoph nicht allein. Auch der griechische Ex-Finanzminister und marxistische Theoretiker Yanis Varoufakis schrieb in einer Mail an Žižek: "Trump ist es gelungen, zum ersten Mal seit Nixon die Kulturpolitik der Republikaner zu verändern. Durch die Wahl einer krassen, frauenfeindlichen, rassistischen Sprache hat er es geschafft, die Republikanische Partei aus ihrer fundamentalistischen, homophoben und abtreibungsfeindlichen ideologischen Zwangsjacke zu befreien. Das ist ein bemerkenswerter Widerspruch, den nur ein Hegelianer begreifen kann!"

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Auch die grüne Kandidatin Jill Stein scheint mit der möglichen Wahl Clintons zur ersten amerikanischen Präsidentin ein massives Problem zu haben, wenn sie kritisiert, dass damit der Kreislauf des "immer und immer wieder für das geringere Übel zu wählen" nicht durchbrochen würde. Was man jedoch hinzufügen muss, ist, dass sowohl Varoufakis, als auch Stein von einer Stimme für Donald Trump klar abstand nehmen. So sieht Varoufakis zwar in der Wut der Trump-Wähler auf das Establishment grundsätzlich etwas Positives, verweist aber darauf, dass sich diese Wut schnell zum Negativen entwickeln kann. Während Žižek im Falle der Wahl Clintons zur Präsidentin eine "proto-faschistische, autoritäre, kapitalistische Alternative" wie etwa in China oder Russland befürchtet, liegt diese Gefahr für Varoufakis und Stein wohl eher bei Trump.

In der Diskussion über Žižeks Äußerungen dürfen wir einen weiteren Punkt nicht vergessen: Wenn Žižek etwa meint, man müsse auch einmal die klugen Dinge beachten, die Trump zum Beispiel zum Nahostkonflikt oder dem Umgang mit Russland gesagt habe, so fordert Žižek dies nicht als Politiker, sondern als politischer Provokateur. Seine Äußerungen zu Trump im Speziellen, aber auch zum politischen Weltgeschehen im Allgemeinen, haben noch eine nicht-inhaltliche Komponente.

Žižeks Äußerungen sind Äußerungen in einem philosophisch-politischem Vakuum. Waren es in der Antike Philosophen wie Sokrates und Platon, die den öffentlichen, nicht-akademischen Diskurs suchten, oder in der jüngeren Vergangenheit zum Beispiel Hannah Arendt und Jean-Paul Sartre, äußern sich Philosophen heute kaum zu aktuellen nicht-akademischen politischen Debatten, wie etwa Olivia Goldhill schreibt—und wenn doch, dann meist völlig verklausuliert und ohne jegliche Positionierung.

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Bei Žižek ist das anders. Žižek bezieht Stellung, auch, wenn das manchmal schmerzhaft ist. "Wir müssen wieder lernen, hart zu argumentieren—auf die Gefahr hin, Menschen weh zu tun. Ihre Betroffenheit, ihr Schmerz ist kein Maßstab für die Wahrheit", sagt der Philosoph im Interview mit René Scheu.

Vielleicht sieht Žižek Trump als eine Art postfaktische Reinkarnation von Jean-Jacques Rousseau.

Trump ist für Žižek nichts weiter als Mittel zum Zweck, das Werkzeug, dass die Gesellschaft wieder in Bewegung setzen soll. Trump ist der Trumpf gegen die Diktatur der vermeintlich vernünftigen Elite, der liberalen Arroganz, die alles als lächerlich oder barbarisch abtut, was nicht innerhalb des eigenen Konsens liegt. So macht etwa der amerikanische Journalist Nicholas Kristof deutlich, dass auch die Teilhaber am demokratischen Konsens zur Polarisierung beitragen, wenn er schreibt: "Wir haben nichts gegen Menschen, die nicht aussehen wie wir, solange sie denken wie wir."

Vielleicht sieht Žižek ähnlich wie Pankaj Mishra Trump als eine Art postfaktische Reinkarnation von Jean-Jacques Rousseau—wenn auch eine wesentlich derbere, imbezilere. Trump ist prinzipienlos und wird auf politischem Wege keine historische Veränderung herbeibringen. Sollte er Präsident werden, ist er aber selbst die Veränderung. Eine mit Potential, wenn man Žižek glaubt. Eine mit katastrophalen Folgen, wenn man sich zum "demokratischen Wohlfühlkonsens" zählt.

Am Ende würde aber auch Žižek Trump nicht wirklich wählen. Zum einen, weil Žižek gar nicht wählen würde. Zum anderen, weil Trump auch ohne eine gewonnene Wahl erreicht hat, was Žižek eigentlich will: Das Aufbrechen eines bröckelnden Systems, das nicht nur große Gefahren mit sich bringt, sondern eben auch die Möglichkeit zu grundlegenden politischen Veränderungen.

Paul auf Twitter: @gewitterland


Titelfoto: Wikimedia Commons | CC BY 2.0