Hund Silke mit ihren sprechenden Knöpfen. In dem Artikel geht es um Tiere, die komunizieren können.
Hündin Silke. Alle Fotos von Karlijn Koning.
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Können Haustiere sprechen lernen?

TikTok ist voll mit Hunden, die Knöpfe drücken, um nach Essen, Spaziergängen und sogar dem Sinn des Lebens zu fragen. Aber können Tiere wirklich sprechen? Die Forschung ist an der Sache dran.

"Draußen!", "Jetzt!". Die Hündin Silke hat genug von der Unterhaltung zwischen ihrer Besitzerin Karlijn Koning und mir. Sie tritt auf die Knöpfe auf dem Boden, die den Wörtern entsprechen, legt einen Frisbee vor Koning ab und schaut sie mit herausgestreckter Zunge und wedelndem Schwanz erwartungsvoll an.

"Bald, draußen, Silke!", antwortet die 31-jährige aus Rosmalen im Süden der Niederlande. Ihre Hündin Silke ist eine Kreuzung aus Kroatischem Schäferhund und kurzhaarigem Border Collie. Koning lacht über meinen überraschten Gesichtsausdruck. "Diese Unterhaltung führen wir fast jeden Tag", sagt sie. Wir sitzen auf der Couch in ihrem Wohnzimmer, auf dem Boden liegen bunte Schaumstoffmatten mit etwa 30 sprechenden Knöpfen. Jeder Knopf produziert ein bestimmtes Wort.

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Vielleicht seid ihr auf Social Media schon mal über ähnliche Videosequenzen gestolpert: Süße Hunde (und sogar Katzen!) fordern ihre Menschen auf, sie zu kraulen oder mit ihnen an den Strand zu gehen. Die Sheepadoodle-Hündin Bunny ist mit ihren über 90 Knöpfen zum Internetliebling avanciert. Dort wird sie auch als Philosophin gefeiert, etwa wenn sie nach einem Blick in den Spiegel in eine Existenzkrise zu geraten scheint: "Was?", "Bunny", "Warum?".

Das ganze Phänomen fing jedoch mit einer anderen Hündin an, nämlich mit Australian Cattle Dog- und Catahoula-Mischling Stella und ihrer Besitzerin Christina Hunger, einer Sprachtherapeutin. "Als ich Stella 2018 als Welpe bei mir aufgenommen habe, bemerkte ich bei ihr viele der prälinguistischen Kommunikationsfähigkeiten von Kleinkindern, kurz bevor sie mit dem Sprechen anfangen", schreibt Hunger auf ihrer Webseite.

Das brachte sie auf eine Idee: In ihrer Praxis arbeitet sie unter anderem mit Kindern mit Sprachentwicklungsverzögerungen. Dabei setzt sie Hilfsmittel für Unterstützte Kommunikation (UK) ein, mit denen Menschen kommunizieren können, ohne zu sprechen oder zu schreiben. "Könnte Stella ein UK-Gerät benutzen, um sich auf dieselbe Weise zu verständigen?" fragte sich Hunger.

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Fünf Jahre nach Beginn ihres Trainings kenne Stella 45 Wörter und könne bis zu fünf davon zu einem Satz zusammensetzen, sagt Hunger. 2021 veröffentlichte Hunger ein Buch über ihre Erfahrungen, das ein Jahr später auch auf Deutsch erschienen ist: Wie ich meinem Hund das Sprechen beibrachte.

Dieses neu beobachtete Tierverhalten weckte auch das Interesse eines Forschungsteams, das im März 2020 die bis dato größte Studie zur Tierkommunikation startete. Forschende der Universität von Kalifornien in San Diego schlossen sich mit der Firma FluentPet zusammen, die die Sprachknöpfe für Tiere produziert. Das Team analysiert Videomaterial zu Tausenden Haustieren, die mit ihren Menschen kommunizieren, das von Kameras in Wohnzimmern auf der ganzen Welt aufgenommen wird. 

Dadurch will man herausfinden, ob Hunde und Katzen tatsächlich mit Worten mit Menschen kommunizieren können, ob sie wirklich verstehen, was die Knöpfe bedeuten und ob sie sie gezielt drücken. Wenn dem so ist, könnte diese Forschung ein neues Verständnis von tierischer Intelligenz und eine ganz neue Welt der Interaktion zwischen Mensch und Tier einleiten.

Laut Koning scheint Silke voll und ganz zu verstehen, wofür die Knöpfe stehen. "Ihre Lieblingsknöpfe sind 'Essen', 'Wasser' und 'Kacke'", sagt sie. "Wenn das Bedürfnis sehr groß ist, drückt sie den Knopf immer wieder." Koning findet die Knöpfe praktisch: "Sonst müsste sie an der Tür stehen, wenn sie etwas braucht. Das ignoriert man eher."

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Silke und Karlijn bei den Gesprächsknöpfen.

Karlijn Koning mit ihrer Hündin Silke

Silke und Karlijn mit ihren sprechenden Knöpfen.

Koning meint sogar, dass Silke gelernt habe, sie mit den Knöpfen zu manipulieren: "Manchmal benutzt sie 'Kacke' als Ausrede, wenn sie spazieren gehen möchte, weil sie weiß, dass ich dann schneller mit ihr rausgehe."

Silke könne sogar neue Worte erfinden: "Letzten Sommer ist etwas Faszinierendes passiert", erzählt Koning über ein Video, das sie auf Instagram teilte. "Sie hatte einen entzündeten Zahn und hat deshalb oft einen Eiswürfel von mir bekommen, gegen die Schmerzen. Irgendwann hat sie dann 'Knochen' und 'Wasser' gedrückt. 'Wasserknochen? Was ist das?', haben wir uns gefragt. Und dann machte es plötzlich klick: Sie meinte Eis!"

Nicht alle Knöpfe sind mit einem bestimmten Zweck verbunden, manche drücken Emotionen aus: wütend, glücklich, beschäftigt, ruhig. "Bei 'beschäftigt' bin ich mir nicht sicher, ob sie meint, dass der Trubel sie stört, oder ob sie den Knopf drückt, weil sie selbst beschäftigt ist", sagt Koning. "Manchmal habe ich den Eindruck, dass sie Worte benutzt, um zu beschreiben, was sie sieht oder erlebt. Aber natürlich kann man nur raten."

Und das ist tatsächlich einer der größten Kritikpunkte gegen diese Theorie. Wie viel der Kommunikation der Tiere ist real und wie viel nur die Projektion der Menschen? Schließlich hat das Forschungsgebiet der Kommunikation zwischen Mensch und Tier eine düstere Vorgeschichte aus fehlgeschlagenen Experimenten, Unverantwortlichkeit und Fehlverhalten.

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Die goldene Ära der Forschung zur Mensch-Tier-Kommunikation war von den 1950ern- bis in die 70er-Jahre. In der linguistischen Gemeinschaft entstanden zwei Denkrichtungen: Strukturalisten wie Charles Hockett glaubten, sie könnten beweisen, dass Tiere die menschliche Sprache lernen können. Generativisten wie Noam Chomsky verstanden Sprache dagegen als menschliches Phänomen. Tiere könnten durchaus Tricks lernen, hätten jedoch nicht die mentale Kapazität, um unsere komplexen Kommunikationssysteme zu verstehen.

Das Thema führte zu hitzigen Debatten und Fehden zwischen den beiden Lagern. 1973 startete der Strukturalist Herbert Terrace schließlich ein wegweisendes Experiment, das das Forschungsfeld noch Jahre bestimmen würde: Er holte einen Babyschimpansen aus einem Labor und ließ ihn bei einer menschlichen Familie in der New Yorker Upper West Side wohnen. Er taufte ihn spöttisch Nim Chimpsky. Nim wurde außerdem von Terraces Team an der Columbia University die amerikanische Zeichensprache ASL beigebracht. Dort ist Terrace bis heute Professor für Psychologie und Psychiatrie. 

In den nächsten vier Jahren entwickelte sich das Projekt Nim zu einem absoluten Desaster. Der Schimpanse lernte zwar über 120 Zeichen, er nutzte sie jedoch nur, um Belohnungen zu erhalten. Terrace konnte also nicht beweisen, dass Nim das Konzept der Zeichensprache verstand. Seine Teammitglieder wurden außerdem beschuldigt, im Umgang mit dem Tier Grenzen überschritten zu haben, unter anderem weil sie mit ihm Gras rauchten. Auch wurde Nim gegenüber seiner Gastfamilie aggressiv und schließlich von einer Pflegeperson zur nächsten gereicht. 

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Das Experiment wurde 1977 aufgegeben – und mit ihm der Schimpanse. Nim begann Symptome einer Depression zu zeigen. Man brachte ihn in eine medizinische Einrichtung, wo er 2000 starb.

Nim war kein Einzelfall, sondern gliedert sich in eine Reihe von fehlgeschlagenen Experimenten mit Affen und ASL ein. Ein anderes prominentes Beispiel ist die Gorilladame Koko. Forschende wurden beschuldigt, nur Daten vorzustellen, die ihre These unterstützten, aktiven Einfluss auf das Verhalten ihrer Objekte zu nehmen und Ergebnisse überzuinterpretieren. Die skeptischen Generativisten schienen recht zu behalten; die Forschung auf dem Gebiet kam zum Erliegen.

Bis zum Jahr 2020, als der vergleichende Psychologe Federico Rossano das Forschungsprojekt startete, bei dem auch Koning und Silke mitmachen: They can Talk. Der 43-Jährige hat einen Doktor in Linguistik und untersucht unter anderem Verhalten und mentale Prozesse von Kindern, Affen, Ziegen und Wölfen.

Rossano wurde durch Bekannte aus dem gleichen Forschungsfeld auf die ersten viralen Videos von Christine Hunger aufmerksam. Zuerst war er skeptisch, doch dann bekam er eine Nachricht von Leo Trottier, einem Absolventen seiner Fakultät und CEO von FluentPet. "Leo sagte mir: 'Schau mal, es haben schon 1.000 Leute Knöpfe bestellt. Mindestens die Hälfte hat angegeben, dass sie an einer Studie teilnehmen würden. Warum machen wir das nicht?'", erzählt Rossano.

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Das war zu Anfang der Pandemie, als Rossano seine reguläre Arbeit mit Kindern und Affen unterbrechen musste. Die Studie durchzuführen war riskant, denn das Thema sorgt in der Linguistik-Gemeinschaft bis heute für Zündstoff. Für Rossano war es dennoch aufregend, und der Umfang des Projekts war für ihn das Zünglein an der Waage. "Die Leute würden das benutzen, möglicherweise millionenfach", sagt er. "Es war eine Gelegenheit, mitten in einer Pandemie Citizen Science zu betreiben."

Mittlerweile wurden über 10.000 Haustiere in der Datenbank der Studie registriert, ungefähr 2.000 aus 27 Ländern nehmen momentan aktiv teil. Dabei handelt es sich vor allem um Hunde, da Katzen deutlich schwerer zu trainieren sind. Das Projekt verbindet Live-Aufnahmen mit Hausbesuchen, Umfragen, Interviews, Software zur Datenauswertung und Experimenten. Die erste Veröffentlichung zu Ergebnissen befindet sich seit ein paar Monaten in der Prüfungsphase. "Darüber darf ich nichts erzählen", sagt Rossano augenzwinkernd. 

"Wir möchten mit sehr grundlegenden Fragen anfangen", sagt er. "Können wir argumentieren, dass sie tatsächlich etwas lernen, oder ist es völlig zufällig? Ist es Imitation? Oder etwas anderes? Um das beantworten zu können, muss man sehr viele Daten auswerten." Glücklicherweise zeigen viele Leute aus der Wissenschaft Interesse an dem Projekt – sogar die skeptischen. 

Zu den Grundannahmen, anhand derer das Team das Phänomen untersucht und einordnet, gehören die 13 Differenzkriterien zwischen menschlicher Sprache und tierischer Kommunikation, die der Strukturalist Hocket entwickelt hat.

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Produktivität beispielsweise beschreibt die menschliche Fähigkeit, neue Worte zu erfinden. Das macht man zum Beispiel, indem man zwei Wörter verbindet. Kleine Kinder können das, bei Tieren wurde es (noch) nicht eindeutig festgestellt. Als Beispiel nennt Rossano einen Hund, der jedes Mal, wenn er einen Krankenwagen hört, die Knöpfe "quietschig" und "Auto" drückt. Silkes "Wasserknochen" könnte ebenfalls ein Zeichen für Produktivität sein.

Eine weitere Eigenschaft, die als ausschließlich menschlich gilt, ist der Transfer, also die Fähigkeit, Dinge zu beschreiben, die nicht in der Nähe sind. So eine Leistung könnte zum Beispiel in einem Video der Katze Billi zu finden sein. Darin scheint Billi ihren Besitzer zu vermissen, der "Dad" genannt wird. Ihre "Mom" schenkt ihr Aufmerksamkeit, aber Billi scheint untröstlich und drückt wiederholt die Tasten "Dad", "wollen" und "wütend". Aber bedeutet das wirklich, dass Billy "Dad" vermisst und deswegen aufgebracht ist? "Wir können sehen, dass die Tiere die Knöpfe drücken, als gäbe es eine Reihenfolge", sagt Rossano. "Die Frage ist: Ist sie zufällig oder bestimmt?"

Ein großer Kritikpunkt an Rossanos Projekt ist, dass die Tiere möglicherweise nur die Verhaltensweisen ihrer Bezugspersonen nachmachen, ohne wirklich zu verstehen, was sie tun. "Es ist in Ordnung, skeptisch zu sein", sagt Rossano. "Als wissenschaftlicher Mensch muss man zuerst Daten sehen." Aber dennoch: "Keiner der Leute, die das kritisieren, hat die Daten gesehen. Vielleicht würden sie etwas anderes erkennen, wenn sie ein paar Jahre lang 10.000 Hunde beobachten."

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Was Rossano mittlerweile mit ziemlicher Sicherheit sagen kann, ist, dass die Tiere versuchen, mit ihren Menschen zu kommunizieren. Wie ausgereift diese Kommunikation ist, ist jedoch noch umstritten. In einem Video, das er gesehen hat, drückt ein Hund den "Hilfe"-Knopf, als sein Artgenosse unter der Couch eingeklemmt ist. In einem anderen drückt ein Hund auf "Magen" und "Aua" und übergibt sich zehn Minuten später.

"Das fasziniert uns", sagt Rossano. "Die Hunde und Katzen registrieren, was um sie herum passiert, sie können es kommunizieren, und sie sind fürsorglich."

Natürlich interessieren sich nicht alle Tiere für die Knöpfe, selbst wenn sie im selben Haushalt leben, zu ähnlichen Rassen gehören und auf dieselbe Weise trainiert wurden. Aber diese individuellen Unterschiede sind laut Rossano zu erwarten, bei Menschen treten sie ebenfalls auf. "Wir wollen herausfinden, bis zu welchem Grad das mit dem Temperament und dem Alter zusammenhängt, in dem sie anfangen", sagt er.

Wenn die Ergebnisse standhalten, könnte diese Studie erhebliche Auswirkungen haben. Man könnte mehr über die Gedanken und Bedürfnisse von Haustieren erfahren, ob zu Hause oder beim Tierarzt. Es könnte auch den Tierschutz revolutionieren: Wären wir mit der industriellen Landwirtschaft einverstanden, wenn die Schweine uns sagen könnten, wie sie sich fühlen?

Im Grunde sind die Menschen schon immer vom Mysterium des tierischen Geistes und der Idee, mit Tieren sprechen zu können, fasziniert. Von Fiktionen wie Dr. Dolittle bis zu realen Forschungen wie Jane Goodalls Arbeit mit Affen oder das CETI-Projekt, bei dem die Sprache der Wale entschlüsselt werden soll: Wir haben viel Zeit und Geld in diese Vorstellung investiert. Aber unsere Leidenschaft für dieses Thema ist ein zweischneidiges Schwert. Vielleicht wollen wir ein bisschen zu sehr an diese Möglichkeit glauben.

Koning jedenfalls ist überzeugt, dass ihr Hund wirklich mit ihr redet. Sie leidet an Depressionen, und einige Studien weisen darauf hin, dass Hunde das spüren können und sogar dabei unterstützen möchten. Wenn es ihr schlecht gehe, habe Koning den Eindruck, Silke wolle sie mit den Knöpfen aufheitern.

In einem Video auf ihrem Instagram-Profil sieht man, wie Silke schnell hintereinander die Knöpfe "will", "Gut gemacht!" und "Karlijn" drückt, wobei Koning "Gut gemacht!" meistens benutzt, wenn sie sich freut. Eine Interpretation: Die Hündin will, dass ihre Besitzerin gute Laune hat. Danach wedelt Silke mit dem Schwanz und legt ihrer Besitzerin eine Pfote auf die Schulter. "Das hat mir die Welt bedeutet", schreibt Koning dazu.

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Silke mit ihren sprechenden Knöpfen
Silke mit ihren sprechenden Knöpfen