Politik

Tierschützer berichten von ihren heftigsten Undercover-Einsätzen

"Wenn ich nicht geblieben wäre, wäre alles umsonst gewesen. Dank der Bilder wurde der Zuchtbetrieb geschlossen." – Marco
Ein Mann mit Tarnhose steht vor einer Wand voller Hühnerkäfige, neben ihm flattert ein Hahn in der Luft. Diese und andere Aufnahmen haben Tierrechtsaktivisten heimlich gemacht, die hier von ihren Undercover-Einsätzen berichten.
Heimliche Aufnahmen aus einem Legebetrieb | Alle Bilder mit freundlicher Genehmigung von Essere Animali

Dieser Artikel ist ursprünglich als Teil einer Kooperation zwischen VICE Italy und der italienischen Tierrechtsorganisation Essere Animali entstanden, in der auch die Autorinnen Maria Mansuco und Martina Scalini Mitglied sind.

Warnung: Der folgende Artikel enthält Bilder und Berichte, die manche Menschen verstören könnten. 

Auf der ganzen Welt arbeiten Tierrechtsaktivistinnen und -aktivisten immer wieder verdeckt, um die Zustände in der Fleischindustrie öffentlich zu machen. Auch die Mitglieder der italienischen Organisation Esseri Animali setzen auf Undercover-Einsätze. Sie beobachten die Fleisch- und Fischindustrie in Italien und den benachbarten Ländern und kämpfen dafür, die Betriebe zu schließen, die den Tierschutz verletzen. Unter falschem Namen arbeiten die Aktivisten in Schlachthäusern und Zuchtbetrieben, um die Zustände dort zu dokumentieren. 

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Wir haben mit vier von ihnen darüber gesprochen, was sie bei ihrer verdeckten Arbeit erlebt haben.

Ein Mann in einem Blaumann und mit Gummistiefeln tritt gegen den Kopf eines Schweins

Misshandlungen in einem Schweinezuchtbetrieb

Marco*, 28, hat in mehreren Schweinezuchtbetrieben gearbeitet

VICE: Du hast schon sehr jung mit dieser Arbeit begonnen. Was hat dich dazu motiviert?
Marco:
Die falsche Darstellung in der Werbung. Eines Abends habe ich mir Videos auf YouTube angeschaut und bin über ein paar Ermittlungen von Tierrechtsaktivisten gestolpert. Davor wusste ich noch nichts über das Thema. Ich habe mich danach sofort entschieden, vegan zu leben, und Essere Animali kontaktiert. Ich wollte mich nützlich machen.

Was ist deine schlimmste Erinnerung an die Undercover-Arbeit?
An einem Samstag mussten meine Kollegen eine Sau töten, weil sie krank war und keine Ferkel mehr gebären konnte. Aber die Person, die normalerweise für die Erschießung der Tiere zuständig ist, war nicht da. 

Einer meiner Kollegen entschied sich also dazu, sie mit dem zu töten, was gerade zur Hand war: einem Knüppel. Während er auf sie einschlug, schrie die Sau und schaute uns an. Es dauerte 30 Minuten, bis sie starb. Mein Kollege meinte noch zu mir, dass ich nicht dableiben muss, aber ich wollte Beweise sammeln. Wenn ich nicht geblieben wäre, wäre alles umsonst gewesen. Dank der Bilder wurde der Zuchtbetrieb geschlossen. 

Bereust du etwas, das du während deiner Undercover-Arbeit getan hast?
Ja, rückblickend bereue ich vor allem einen Vorfall. Bei einem Zuchtbetrieb wurde ich von meinem Arbeitgeber darum gebeten, ein Ferkel zu kastrieren, obwohl ich erst sechs Tage dort arbeitete und nicht dafür ausgebildet war. Ich konnte mich aber auch nicht weigern. Eigentlich braucht man dafür einen Spezialisten, aber in den Betrieben, in denen ich verdeckt gearbeitet habe, wurde das einfach oft von dem gemacht, wer auch immer gerade verfügbar war. 

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Mir brach kalter Schweiß aus, die Minuten fühlten sich wie Stunden an. Ich konnte auch durch den Gehörschutz die Schreie des Ferkels deutlich hören. In den Tagen danach habe ich immer heimlich nach ihm gesehen. Ich habe versucht ihn zu füttern, weil er krank wurde, aber er ist bald darauf gestorben. Ich habe wirklich lange wegen dem Kleinen gelitten – ich habe sogar einmal von ihm geträumt.


Auch bei VICE: Alle Gründe, warum die deutsche Fleischindustrie so kaputt ist


Ambra*, 36, arbeitete verdeckt in einem Brutbetrieb 

VICE: Was ist das Schlimmste, was du im Brutbetrieb gesehen hast?
Ambra:
Am härtesten sind die Dinge, die du ständig siehst – nicht so sehr einzelne Ereignisse. Ich werde nie die Gerüche vergessen, den Fabriklärm oder das Leiden der nur wenige Tage alten Küken, die lebendig geschreddert werden, wenn sie krank oder verletzt sind. Ich musste sie hochnehmen, werfen und als Produkt verarbeiten, während ich so tat, als ob mir das alles egal sei. 

Wie ist das Arbeitsklima in diesen Betrieben?
Für die meisten Menschen ist diese Arbeit der letzte Ausweg. Ich habe dort viele nette Menschen kennengelernt, die meinten: "Du bist Italienerin, was machst du hier?" In italienischen Fleischverarbeitungsbetrieben arbeiten überwiegend Menschen aus dem Ausland. Ich habe dort fast ausschließlich mit Frauen zusammengearbeitet. Sie arbeiten häufig mehr als zehn Stunden pro Tag.

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Wir standen unter enormem Druck. Wir konnten nicht aus der Reihe tanzen oder nachlassen. Die Fließbänder waren vollgestopft mit Küken. Manche fielen runter, andere blieben stecken und erstickten. In nur einer Minute wurden um die 100 Küken verarbeitet und geimpft.

Ein Lieferband voller Fische, das in einem schaumig-blutigen Becken endet

Eine Fischfarm in Griechenland

Andrea*, 42, arbeitete verdeckt auf Fischfarmen 

VICE: Warum hast du mit der Undercover-Arbeit angefangen?
Andrea:
Ich bin seit 20 Jahren Tierrechtsaktivist. Ich habe demonstriert und Streiks unterstützt. Inspiriert von dem, was ich aus dem Ausland mitbekommen habe, habe ich mich entschieden, die großen Fischfarmen in meiner Nähe zu kartieren und sie zu infiltrieren. Der nächste Schritt war, das durch eine Organisation zu tun. Ich war eine der ersten in Italien, die das getan haben. 

Gab es einen Vorfall, der dir besonders in Erinnerung geblieben ist?
Als ich in Griechenland war, habe ich Unterwasserkäfige voller Fische gesehen. Manche der Tiere waren bis zu zwei Kilo schwer und lebten seit sechs Jahre dort drin. Das ist eine lange Zeit, insbesondere wenn du bedenkst, dass die zwischen dreckigen Netzen herumschwimmen, ständig ineinander stoßen und Nahrung bekommen, die wie Katzenfutter aussieht.

Hattest du Angst, bei deinen Recherchen erwischt zu werden?
Verglichen mit anderen Zuchtbetrieben sind die Betreiber von Fischfarmen weniger argwöhnisch, weil sich nur wenige für das Leid von Fischen interessieren. Uns berührt es in der Regel nicht, wenn sie vor unseren Augen geschlachtet werden. Außerdem sind Ermittlungen bei Fischfarmen viel seltener als in der Fleischindustrie. Niemand erwartet, bei der Arbeit gefilmt zu werden.

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Davide*, 30, infiltrierte eine Reihe von Schafschlachtereien auf Sardinien

VICE. Wie hast du dich auf deine erste Recherche vorbereitet?
Davide:
Ich habe ein technisches Training durchlaufen und mir viele Videos angeschaut, um mich auf das vorzubereiten, was ich in den Betrieben sehen werde. Das war schockierend, aber ich hatte währenddessen auch psychologische Unterstützung. 

Hattest du Angst, erwischt zu werden?
Die Angst ist immer da, aber ich habe aus meinen Fehlern gelernt. Einmal habe ich mit so einer versteckten Brillenkamera die Tötung von Lämmern gefilmt, als der Tierarzt reinkam. Der hatte etwas an sich, dass ich mir sofort dachte, dass der mich durchschaut. Er fing dann auch prompt an, mit der Managerin zu flüstern und dabei zu mir rüber zu schauen.

Etwas später wurde ich in das Büro der Chefin gerufen. Sie wollten meinen Ausweis sehen. Ich gab ihnen meinen Führerschein, machte dann aber eine Szene und ging. Die Spionagebrille nahm ich mit. Bei meinem Auto angekommen merkte ich, dass ich meinen Führerschein nicht dabei hatte. Ich bin also wieder rein, aber die Chefin wollte ihn mir nur geben, wenn ich die Filmaufnahmen rausrücke. Das habe ich dann gemacht, weil ich gleichzeitig alles mit einer zweiten versteckten Kamera gefilmt hatte. 

Was ist das Schlimmste, was dir bei der Undercover-Arbeit passieren kann?
Dass die Aufnahmen nicht vernünftig werden. Du kommst nach deiner Schicht nach Hause, bist müde, weil du seit Tagen nicht geschlafen hast, du bist fertig von allem, was du gesehen hast, und dann schaust du dir die Aufnahmen an und merkst, dass alles sinnlos war, weil man nichts erkennt.

*Namen geändert.

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