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Lebensmittelkennzeichnung

Trinken wir weniger, wenn wir wissen, wie viele Kalorien unsere alkoholischen Getränken haben?

Keiner bildet sich ein, Alkohol wäre ein Wellnessgetränk. Aber wenn dich das Etikett deines Himbeer-Alkopops bei jedem Schluck dran erinnert, dass du gerade 220 leere Kalorien in dich hineinkippst, überlegst du dir vielleicht zwei Mal, ob du nicht doch...
Photo via Flickr user Lotus Carroll

Vergangenen Monat verpflichtete sich der weltweit agierende Alkoholgigant Diageo freiwillig dazu, Nährwertangaben pro Portion auf die Etiketten seiner Produkte abzudrucken. Der Name Diageo sagt den meisten von uns wahrscheinlich nicht sehr viel, aber die Marken des Unternehmens dürften allen bekannt sein: Guinness, Johnnie Walker, Smirnoff, Captain Morgan, aber auch Talisker und Lagavulin.

Wenige Wochen nach der Bekanntgabe erklärte Brewers of Europe, ein Branchenverband, der 19 nationale Brauereiverbände und fast 4.000 Brauereien vertritt, dass seine Mitglieder sich ebenfalls freiwillig bereit erklären, Nährwertangaben auf ihren Produkten oder Websites zur Verfügung zu stellen.

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Möglicherweise ist es dir noch nicht aufgefallen, aber auf vielen Flaschen oder Dosen mit alkoholischem Inhalt befinden sich keine Angaben zu Nährwert oder Kaloriengehalt. Das liegt daran, dass die Kennzeichnung bei alkoholischen Getränken—anders als bei allen anderen Lebensmitteln—in den meisten Fällen freiwillig ist.

Wer beim Fußballmatch seinen Durst mit einem kalten Bier stillt oder einen Scotch vor dem Kaminfeuer genießt, denkt vermutlich nicht über den Nährwert des Getränks nach. Wieso auch? Keiner bildet sich ein, Alkohol wäre ein Wellnessgetränk. Aber wenn dich das Etikett deines Himbeer-Alkopops bei jedem Schluck dran erinnert, dass du gerade 220 leere Kalorien und massenhaft künstliche Aromen in dich hineinkippst, überlegst du dir vielleicht zwei Mal, ob du wirklich noch ein drittes Getränk bestellst oder nicht doch lieber ins Fitnessstudio gehst.

Wenn aber das Ziel ist, immer mehr zu verkaufen, wieso wollen Unternehmen freiwillig etwas aufs Etikett drucken, das den Appetit eben dieses Produkt verdirbt? Alkoholproduzenten behaupten, es sei eine Frage der Transparenz und eine Reaktion auf die Nachfrage seitens der Konsumenten. Schließlich leben wir in einer glutenfreien Welt des Biowahns. Möglich wäre aber, dass sich die Alkoholproduzenten unterordnen, um für den gesundheitsbewussten Teil der Bevölkerung attraktiver zu wirken, während sie sich aber durchaus bewusst sind, dass der Kaloriengehalt eines alkoholischen Getränks für den Großteil der Konsumenten keine besonders wichtige Rolle spielt.

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‚Wieso wird Bier anders gehandhabt als Limonade, Wasser, Saft oder alkoholfreies Bier? Was Zutaten und Nährwertangaben betrifft haben wir nichts zu verbergen.'

„Wir haben es hier mit einer Topdown-Entscheidung zu tun", erklärt Spiros Malandrakis, ein Analytiker alkoholischer Getränke bei Euromonitor International. „Ich glaube nicht, dass eine Bottom-up-Nachfrage nach solchen Kennzeichnungen da ist. Die Gen X und die Gen Y haben ein Interesse an solchen Dingen—das sehen wir bei abgepackten Lebensmitteln. Aber ich muss die Konzerne daran erinnern, dass unser Lebensmittelkonsumverhalten nicht unbedingt immer unserer Denkweise entspricht. Der Alkoholkonsum ist schon seit 5.000 Jahren eine hedonistische Aktivität und ich sehe nicht, dass die Leute dieses Verhalten in nächster Zeit aufgrund von Nährwerttabellen ändern."

Brewers of Europe erklärt, dass Marken ihre Produkte kennzeichnen wollen, um mit anderen Getränken auf dem Markt, die zu Nährwertangaben auf der Verpackung verpflichtet sind, auf gleicher Augenhöhe zu agieren. „Wir leben in einer Zeit, in der die Leute Transparenz seitens der Industrie im Hinblick auf die Produkte, die auf dem Markt sind, erwarten. Die Konsumenten haben Interesse an diesen Informationen und wir fühlen uns nicht wohl dabei, dass Bier anders als andere Produkte behandelt werden soll", sagte Simon Spillane, ein Sprecher von Brewers of Europe. „Wieso wird Bier anders gehandhabt als Limonade, Wasser, Saft oder alkoholfreies Bier? Was Zutaten und Nährwertangaben betrifft, haben wir nichts zu verbergen. Womit er natürlich recht hat: Bier besteht meistens nur aus Wasser, Stärke (in Form von Malz), Hefe und Hopfen.

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Spillane sagte, dass die wichtigsten Brauereien Europas dieses Versprechen unterstützen und ein Sprecher von Heineken—der größten Brauerei in Europa—schrieb in einer E-Mail, dass das Unternehmen Zutaten und Kaloriengehalt auf die Produkte seiner fast 200 Biermarken drucken und zusätzliche Informationen wie Zucker- oder Fettgehalt online zu Verfügung stellen werde. Auf den Websites einiger großer Alkoholproduzenten sind Nährwertinformationen bereits verfügbar, wie beispielsweise auf den Plattformen DrinkIQ von Diageo oder Tap Into Your Beer von Anheuser-Busch InBev. Sollte das Ziel aber wirklich darin liegen, den Konsumenten bestmöglich über den Nährwert eines Produkts zu informieren, ist ein Etikett auf der Flasche mit den entsprechenden Informationen wohl am einfachsten und effektivsten. Die Informationen online zugänglich zu machen, ist besonders für die absichtlich Ignoranten eine bequeme Lösung, aber auch für die Produzenten. Spillane erklärt, wenn Biere nicht direkt mit einem Etikett gekennzeichnet werden, soll die Verpackung einen deutlichen Hinweis darauf geben, wo der Kunde die Informationen abrufen kann. „Es geht nicht darum, Informationen auf Websites zu verstecken", sagte er.

Während Diageo die Nährwertkennzeichnung schon seit längerer Zeit unterstützt, haben andere Branchengruppen wie spiritsEUROPE, ein Vertreter von Spirituosenherstellern auf EU-Ebene, einige Zweifel an der diskutieren Regelung und befürchten, die detaillierte Kennzeichnung könnte beim Konsumenten Verwirrung stiften. Da Nährwertangaben laut der aktuellen Gesetzgebung derzeit pro 100 ml gemacht werden müssen, würden Spirituosen, die in geringeren Dosen konsumiert werden, im Vergleich zu Bier den Eindruck erwecken, praktisch giftig zu sein. Während ein doppelter Whiskey (ca. 40 ml) mit 40 Prozent Alkoholgehalt ungefähr 100 Kalorien hat, haben 500 ml Bier mit um die fünf Prozent Alkoholgehalt um die 220.

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Diageo und Brewers of Europe versuchen mit der Konkurrenz davonzuziehen, indem sie ihre Kunden als erste über die Inhaltsstoffe ihrer Getränke (neben einer Flut anderer Informationen) informieren. Darin erhoffen sich die Unternehmen möglicherweise auch einen wirtschaftlichen Vorteil. „Es gibt viele Gründe, warum sich Konsumenten für eine Marke und nicht die andere entscheiden", schrieb ein Sprecher von Diageo in einer E-Mail. „Wir wollen Informationen zugänglich machen, die unsere Konsumenten interessieren. Wenn diese Etiketten dafür sorgen, dass mehr Leute zu unseren Marken greifen, dann ist das großartig."

Malandrakis hingegen glaubt nicht daran, dass die Etiketten das Verhalten der Konsumenten verändern. „Die Regierungen können ihrer Wählerschaft erzählen, dass sie so den Konsum regulieren und das Bewusstsein der Kunden schärfen und die Konzerne können ihre soziale Verantwortung bei den Aktionären und Regierungen unter Beweis stellen", sagte er.

Wie multinationale Unternehmen die Produktkennzeichnung angehen, ist eine Sache und wenn Etiketten mit Nährwerten einmal auf dem Markt sind, könnte das tatsächlich zu einer erhöhten Nachfrage nach einer verbindlichen Kennzeichnung seitens der Konsumenten führen.

Für kleinere Craft-Alkoholproduzenten könnte eine verpflichtende Nährwertkennzeichnung jedoch andere Herausforderungen bergen. Craft-Brauereien experimentieren möglicherweise häufiger mit ihren Rezepten, was sich auf den Nährwert auswirkt. Und ständig neue Tests durchzuführen und neue Etiketten zu drucken, ist ein teueres Unterfangen.

Momentan befinden wir uns noch meilenweit entfernt von der verpflichtenden Angabe von Nährwertinformationen auf unseren alkoholischen Getränken. Aber auch wenn es dazu kommen sollte, werden die meisten von uns dem Ganzen wohl trotzdem nicht besonders viel Beachtung schenken. Wer aber auf den Gesundheitszug aufgesprungen ist, hat die relevanten Informationen sofort zur Hand.

Vielleicht wäre es also gar nicht so übel.