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Forscher lässt Paper von iPhone schreiben und entdeckt Abgründe der Wissenschaft

Der falsche Physiker ließ seinen Nonsens-Aufsatz komplett von der Autocomplete-Funktion seines Handys schreiben—und wurde damit drei Stunden später auf eine Nuklearphysik-Konferenz eingeladen.
Titelbild: Screenshot aus YouTube Video „Using iOS's auto-complete to write scientific paper“

Wissenschaftliche Traktate kommen immer mal wieder als aufgeblähte Begriffsungetüme daher, deren verklausulierter Stil oft die innere Leere verschleiern soll. Christoph Bartneck von der University of Canterbury in Neuseeland sah darin nicht ein Problem, sondern eine Gelegenheit. Mit einem absolut sinnfreien Aufsatz, den er komplett von der Autocomplete-Funktion seines iPhones schreiben ließ, bewarb sich der Informatiker als Referent bei der International Conference on Atomic and Nuclear Physics—und wurde genommen.

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„Da ich absolut keine Ahnung von Nuklearphysik habe, griff ich auf die Autocomplete-Funktion meines Iphones zurück", schreibt Bartneck auf seinem Blog. „Ich begann einen Satz mit ‚Atomar' oder ‚Nuklear' und drückte dann wahllos auf die vom System vorgeschlagenen Worte", so Bartneck weiter. „Der Text ergab wirklich überhaupt keinen Sinn."

Die Autocomplete-Funktion gibt es seit der iOS 8-Version und macht Wortvorschläge basierend auf Stil oder Inhalt des bisher Geschriebenen. Apple pries die Tipptechnologie bei Einführung mit den Worten: „Unsere Tastatur war nie intelligenter."

Wie wenig intelligent jedoch die Funktion beim Verfassen von Bartnecks Konferenzpapier vorging, merken auch Physiknullen auf den ersten Blick: „Nichtsdestotrotz muss ich zurück nach Hause zur Atomkraft gehen, zu dem vereinten Weg, sie soll die erste Frau sein, die vereint auf sich allein gestellt arbeitet," lautet etwa eine von Bartnecks nuklearwissenschaftlichen Perlen.

Das Papier schickte Bartneck unter falschem Namen ein: Autorin ist eine gewisse Iris Pear, die laut mitgeschicktem Lebenslauf die Erfahrung rasch wechselnder Geschlechtsidentitäten („Sie hat seinen Doktor mit 29 gemacht") und eine Lehrtätigkeit an einer nicht-existierenden Uni in Kalifornien (Adresse: „Unendlichkeitsschleife Nr. 11") mitbringt. Zur Illustration seiner wissenschaftlichen Integrität packte er ein das erste Bild der Wikipedia-Seite über Nuklearphysik auf seine Einreichung. Drei Stunden später erhielt Bartneck alias Iris Pear die Zusage, eine „mündliche Präsentation" auf der Physik-Konferenz halten zu dürfen.

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„Ich wusste bereits, dass iOS eine ziemlich gute Software ist, aber eine wissenschaftliche Anstellung zu bekommen war nie einfacher", so der Informatiker auf seinem Blog.

Doch da die Organisatoren ihn baten, 1.099 Dollar (zahlbar auch in Euro oder Pfund) für die Teilnahme zu überweisen, musste er leider absagen, wie er dem Guardian erzählte. „Meine Uni hätte sicherlich etwas dagegen, mein Geld auf diese Weise zu verschwenden", begründete Bartneck seine Absage. „Das ist eine Konferenz, die nur Geld scheffeln will, ohne wissenschaftlichen Anspruch."

Mit seinem sinnfreien Abstract scheint sich Bartneck beziehungsweise sein atomwissenschaftliches Alter Ego Iris Pear bei der International Conference on Atomic and Nuclear Physics in bester Gesellschaft zu befinden. Bereits der „Call for Abstracts" ist ein seltsames Amalgam aus wissenschaftlichen Fachbegriffen und schlichtem Unsinn: „Nukleares und subatomares Material Wissenschaft es die Untersuchung der Eigenschaften, des Flusses und des Zusammenwirkens der essentiellen (jedoch nicht hauptsächlichen) Bausteinen von Materie," lautet etwa ein Satz aus dem offiziellen Call.

Auch das Antwortschreiben, das Bartneck erhielt, lässt die Konferenz fragwürdig erscheinen: Es ist gespickt mit Rechtschreibfehlern und wiederholten Fehlern bei Groß- und Kleinschreibung. Der offizielle Internetauftritt der Konferenz mit wahllos wechselnden bunten Schriftfarben, in nerviger Permanenz blinkenden Buttons sowie erstaunlich vielen Aufrufen an Firmen, doch bitte als Sponsoren aufzutreten, lassen weitere Zweifel an der Seriösität der Organisatoren aufkommen. Eine Anfrage des Guardian an die Verantwortlichen blieb unbeantwortet.

Ob die Konferenz tatsächlich stattfinden wird (angeblich in Atlanta im US-Bundesstaats Georgia) oder ob es sich um eine neue Betrugsmasche handelt, wird sich am 17. und 18. November zeigen, dem offiziellen Veranstaltungsdatum. Solcherlei Scams, die versuchen Geld von Wissenschaftlern zu erschwindeln, sind in der Wissenschaftswelt tatsächlich ein Problem, das immer mal wieder auftritt. In der Kommentarspalte zu Bartnecks Post schreibt ein Nutzer etwa, die Konferenz sei keine „echte Nuklearphysik-Konferenz", sondern Teil einer „Serie von Betrugs-Konferenzen, die darauf ausgelegt sind, hohe Teilnahmesummen abzugreifen."

Zumindest Bartneck—der eigentlich gar kein Physiker ist, sondern über den Einfluss künstlicher Intelligenz auf den Menschen forscht—dürfte bei dem Vorgang einiges gelernt haben. Und um auch dem akademischen Nachwuchs seine Erkenntnisse über beschleunigte Karrieren im Wissenschaftsbetrieb zur Verfügung zu stellen, hat er ein Video gemacht, in dem er zeigt, wie leicht sich mit der Autocomplete-Funktion der wissenschaftliche Alltag bewältigen lässt.