Weglassen, Umdeuten und Erfinden:  Wie 'RT Deutsch' auf Facebook Politik macht
Eine Falschmeldung über Medien und die EU verbreitet sich auf Facebook bei RT Deutsch 14mal besser als eine wahre RT Deutsch-Meldung | Illustration von Julia Weber

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Weglassen, Umdeuten und Erfinden: Wie 'RT Deutsch' auf Facebook Politik macht

Und was 'RT' zu den Vorwürfen sagt.

Wie viel Halbwahrheit und Falsches kursieren auf Facebook? Und welche Rolle spielen große Nachrichtenmedien in Sachen Desinformation? Wir haben in einer Woche rund 2.000 Facebook-Posts von acht deutschsprachigen Medien in einer umfassenden Datenrecherche nachrecherchiert und auf ihre Faktentreue hin überprüft.

Hier schlüsseln wir alle Ergebnisse auf. Ein FAQ zu unserem Untersuchungs-Setup findet ihr hier.

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Bei der Analyse fiel uns nicht nur auf, dass der verbreitete Anteil an wahren, halbwahren und falschen Posts je nach Medium sehr unterschiedlich ausfiel, sondern auch, mit welchen verschiedenen Taktiken und Strategien die Medien Falsches auf Facebook verbreiten. Einen Überblick über die Posting-Strategien aller Medien findet ihr hier.

Folgt Motherboard auf Facebook, Instagram, Snapchat und Twitter

Die wohl ausgefeilteste Social-Media-Strategie aller sieben der von uns untersuchten Medien setzt RT Deutsch ein. Viele Artikel der deutschen Ausgabe von Russia Today folgen eindeutigen Narrativen; wie zum Beispiel der vom moralischen, politischen sowie kulturellen Zerfall des Westens. Aus Russland wiederum vermeldet RT gern Verlautbarungen aus dem Außenministerium oder markige Aussagen direkt von Präsident Putin – und zwar isoliert und kritiklos. Für RT sind das Statements mit einem für sich stehenden Nachrichtenwert, auch wenn sie innerhalb eines öffentlichen Austauschs wie eines Gipfels gefallen sind.

Reaktionen anderer Politiker oder Experten auf diese Äußerungen werden auch in den Artikeln hinter den Facebook-Posts nie verlinkt und nur in den seltensten Fällen überhaupt erwähnt. Ein Beispiel, bei dem diese Taktik deutlich wird, ist die folgende Überschrift: "Russland an USA: Wollen sie [sic!] nicht gegen IS und Al-Nusra kämpfen, dann stören Sie wenigstens nicht." Dass es sich hier um einen Schlagabtausch im Rahmen eines Gipfels gehandelt hat, wird anhand der Copy nicht deutlich.

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In eine ähnliche Kerbe schlägt eine andere RT-Taktik, die wir im Untersuchungszeitraum öfter beobachten dürfen: Es wird "vergessen", wenn eine Aussage eigentlich wörtliche Rede war, wenn es den Überzeugungen des Senders oder seines Herausgebers entspricht. So werden Aussagen von Einzelpersonen zu Fakten, indem man den eigentlich nötigen Konjunktiv ins Präsens verwandelt. Eine Facebook-Copy aus unserer Testwoche lautet: "Die Europäische Union ist in keiner Position, der #Türkei etwas zu diktieren, wenn es um den Kampf gegen #Terrorismus geht. Das sagte der türkische Präsident Recep Tayyip #Erdogan."

Auch ohne Quelle funktioniert diese Strategie. In diesem Post mit extrem tendenziöser Copy wird nicht mehr über Andrea Nahles berichtet, sondern ihre Handlungen subjektiv kommentiert ("Nahles erklärt Statusakrobatik und Altersarmut zur Zukunft der Arbeit") – allerdings ohne Kennzeichnung. Maßlos überzogene und verleumdende Einschätzungen und Kommentare wie "Die Zerschlagung des Sozialstaats geht weiter" stehen in diesem Post in der Copy, als seien es Fakten und geben die Stimmung der Leser vor:

Screenshot: Facebook

Auf ein bestimmtes Ereignis hatte sich RT im Untersuchungszeitraum geradezu eingeschossen: EineEU-Resolution über das Vorgehen gegen russische Desinformation. RT beackerte dieses Thema erschöpfend mit drei Livestreams und neun Posts in extrem scharfem Ton. Diese Posts wurden im Zeitraum unserer Untersuchung mit großem Abstand am meisten geteilt und zeigen eine weitere typische Strategie von RT: Eine im Vergleich zum sonstigen Geschehen der Woche wenig relevante Nachricht wird in viel mehr Artikeln und Posts verarbeitet, als ihr Nachrichtenwert eigentlich erwarten lässt.

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Obwohl tatsächlich nur eine strategische Kommunikations-Task Force verstärkt wurde, die russische Desinformation in den Medien identifizieren und später in einem wöchentlichen Newsletter analysieren sollte, gelang es RT, enorme Reichweite zu erzielen, indem das Team das ganz große Presse- und Meinungsfreiheits-Fass aufmachte. Ganz so, als sei man selbst akut bedroht. Die Geschichte wurde so gedreht, als ob russische Medien in der EU verboten würden: "Kommt als nächstes die Bücherverbrennung?", sorgt sich RT in einem Post und verkündet gleich danach: "Moskau droht mit Vergeltungsmaßnahmen."

Untermauert wird diese Mischung aus Bericht und Meinung von stets empörten Kommentatoren, deren schärfste Aussagen zur Facebook-Nachricht werden. Gäste, die der eigenen Linie des Europa-Bashings folgen, attestieren direkt nach Kreml-Sprecherin Maria Sacharowas Kritik an der Resolution bereitwillig: "Die EU ist ein psychisch schwer kranker Mann" – auch, wenn sich das Interview eigentlich um eine andere Resolution drehte. So wird auch durch die Nachrichten-Reihenfolge in der Timeline mehr oder weniger subtil Stimmung gemacht. Und um sich ein weiteres Mal am Thema Resolution abzuarbeiten, darf ausgerechnet ein Mitglied des rechtsextremen Front National als Studiogast über die hohe Tugend der Pressefreiheit referieren.

RT Deutsch schafft es nicht, zwischen Fiktion und Realität zu unterscheiden

Genau wie allen anderen untersuchten Medien haben wir Malte Daniljuk, dem amtierenden Chef vom Dienst von RT Deutsch unser Rechercheergebnis im Vorfeld zugeschickt. Wir haben ihm auch eine Auswahl von vier Posts seines Mediums zukommen lassen, die wir in die Kategorien "falsch" und "irreführend" einsortiert haben, um ihm Gelegenheit zur Reaktion zu geben.

Daniljuk weist die Kritik an RT Deutsch und das Ergebnis zurück. "Da sie offensichtlich Probleme mit einer aussagekräftigen Auswahl haben", schreib uns Daniljuk per Mail, "muss ich Sie darauf hinweisen, dass Sie aus dieser E-Mail bitte nur vollständige Sätze zitieren."

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Dieser Bitte kommen wir gerne nach. Im Folgenden also die ungekürzte Antwort von RT Deutsch sowie unsere Nachfragen dazu (eingerückt), die Daniljuk leider bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht mehr beantwortet hat. Damit sich jeder ein eigenes Bild über die Freuden der Kommunikation RT-Medienmachern machen kann, verlinken wir dazu die vier Beispielposts, um die es in dem E-Mail-Austausch ging:

"Liebe Theresa Locker,

Der von Vice Deutschland erarbeitete Index entbehrt jeder sachlichen und fachlichen Grundlage. Schon die vier von Vice als „falsch" oder "irreführend" deklarierten Beispiele RT-Meldungen halten in Wahrheit jeder sachlichen und journalistischen Prüfung stand.

1) Europa verabschiedet sich von der Pressefreiheit
In Straßburg wurde in dieser Woche im EU-Parlament über eine Resolution abgestimmt, die Maßnahmen gegen die angebliche russische Propaganda vorsieht. Der namentlich gekennzeichnete Meinungsbeitrag, auf den der betreffende Post verweist, kommentiert diesen Vorgang.

Im Facebook-Post, der ja Gegenstand unserer Untersuchung war, deutet nichts darauf hin, dass es sich um einen Meinungsbeitrag handelt. Warum haben Sie das nicht gekennzeichnet, wenn es nicht wie ein berichteter Fakt erscheinen soll?

2) "Nach #Überwachung der #Kommunikation nahmen wir uns physische #Infrastruktur vor" Was an einem Original-Zitat von Edward Snowden „falsch" sein soll, ist komplett unverständlich. Edward Snowden äußerte sich, wie von uns zitiert.

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Können Sie mir die Quelle nennen? Ich fürchte, Sie verwechseln leider die Filmfigur mit dem echten Edward Snowden. Das angegebene Zitat stammt aus Oliver Stones fiktionaler Kinoadaption der Snowden-Geschichte; ich habe diesen Satz im Drehbuch gefunden. Der Link hinter "Edward Snowden bei RT" führt nicht etwa auf ein Interview Ihres Senders mit Snowden, bei dem dieses Zitat gefallen wäre, sondern auf die RT-Suchfunktion.

3) Deutsche Steuerzahler finanzieren Clinton: GIZ überwies 2,4 Millionen Euro an private Stiftung
Der Vorgang ist durch die die abgebildeten Unterlagen der Clinton-Foundation gut dokumentiert.

Nein. Mit einem gemeinsamen Entwicklungshilfeprojekt in Malawi finanzieren Steuerzahler nicht Clintons Wahlkampf, sondern das Klimaschutzprojekt. Sie finden weitere Informationen hier:
https://www.giz.de/de/mediathek/41608.html http://www.spiegel.de/politik/deutschland/clinton-stiftung-keine-deutschen-gelder-fuer-den-us-wahlkampf-a-1123745.html

4) #Pizzagate hält das Netz in Atem: Mutmaßungen über Washingtoner Pädophilenring im Clinton-Umfeld
Der Beitrag berichtet über eine Debatte in den USA. Die zitierten Wortmeldungen sind sorgfältig belegt, Spekulationen durch Dritte als solche gekennzeichnet.

Tatsächlich nähren Sie die Spekulationen sorgfältig, obwohl zu diesem Zeitpunkt längst klar war, dass die ganze Sache völlig hanebüchen und erlogen ist (Ihr Artikel erschien immerhin mehrere Wochen nach der US-Präsidentschaftswahl). Wie geht das mit Ihrem Verständnis von verantwortungsvollem Journalismus zusammen?

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Dass sämtliche von Ihnen als „falsch" oder „irreführend" bezeichneten Meldungen jeder journalistischen Prüfung standhalten, wirft ein äußerst schlechtes Licht auf ihren Index.
Die Vice-Redaktion braucht dringend einen Grundkurs in „Methoden der Inhaltsanalyse": a) Aus einer zufälligen und repräsentativen Stichprobe können kaum 100 Prozent „richtig" sein, was Vice etwa Spiegel-Online attestiert. Versuchen Sie es wie die SED mit 98 Prozent, das wirkt glaubwürdiger.

Danke für den interessanten Tipp, aber wir fälschen keine Statistiken. Die Spiegel Online-Stichprobe fiel uns tatsächlich als einwandfrei auf. Etwas, das man von RT Deutsch leider nicht mal im Ansatz behaupten kann. Das alles können Sie den Rohdaten entnehmen, die wir ebenfalls veröffentlichen.

b) Sollten Sie ernsthaft vorhaben, diesen Index zu veröffentlichen, sollten Sie ihren Lesern erklären, wie die Stichprobe und die Wertung zustande kam: Da es sich nicht um eine randomisierte Auswahl handelt, ist das einzig „irreführende" an diesem Index sein fragwürdiges Ergebnis.

Selbstverständlich tun wir das. Statt einer randomisierten Auswahl haben wir jeden Post aller acht Medien innerhalb von sechs Tagen untersucht, so dass eine Vergleichbarkeit der Nachrichtenlage herzustellen ist.

c) Äußerst peinlich ist es, wenn Vice-Deutschland sich mit seinem Index selbst bescheinigt, fast immer korrekt zu berichten.

Peinlich für RT Deutsch ist das schon ein wenig, da haben Sie Recht. Aber wir glauben, man kann ja immer noch dazulernen, wie saubere Social Media-Arbeit geht. Auch der Austausch darüber ist ein Ziel unserer Veröffentlichung.

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Da sie offensichtlich Probleme mit einer aussagekräftigen Auswahl haben, muss ich Sie darauf hinweisen, dass Sie aus dieser E-Mail bitte nur vollständige Sätze zitieren. mit Besten Grüßen, Malte Daniljuk"

*****

Zahlen und Fakten zu RT Deutsch

Motto: "Mehr fragen"

Facebook-Fans: 308.306
Reichweite der Website: 4,68 Mio. Visits pro Monat
Anzahl der untersuchten Posts: 253

Die fünf am meisten geteilten Posts im Untersuchungszeitraum:

Platz 1:
"Europa verabschiedet sich von der Pressefreiheit"
(1.049 Shares, Kategorie C)

Platz 2:

"EU-Parlament stimmt für Resolution, die zum Kampf gegen "russische Propaganda" aufruft"
(989 Shares, Kategorie A)

Platz 3:
Video: "Es sind die echten News, die überprüft werden müssen"
(992 Shares, Kategorie C)

Platz 4:
"Nach Überwachung der #Kommunikation nahmen wir uns die #Infrastruktur vor"
(900 Shares, Kategorie B)

Platz 5:
"Deutsche Steuerzahler finanzieren Clinton"
(704 Shares, Kategorie C)