DoctorX ist der zuverlässigste Drogenberater des Darknets
Dr. Caudevilla in seiner Praxis in Madrid. Alle Bilder: privat

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DoctorX ist der zuverlässigste Drogenberater des Darknets

Dr. Caudevilla aus Madrid ist ein Familienarzt, der nach Feierabend digitale Drogenberatungen anbietet und so in Deepweb-Foren zu einer Legende geworden ist.

Vertrauen ist eines der wertvollsten Güter unserer modernen Warenwelt. Marken und Händler bemühen sich längst nicht mehr nur um den reinen Abverkauf, sondern flankieren ihre Geschäfte auch mit Informationen und Aufklärung—wobei der Wahrheitsgehalt dieser Bemühungen erheblich schwanken kann.

Besondere Stilblüten solcher vertrauensbildender Maßnahmen (aka. Marketing) finden sich nur allzu oft im Drogenhandel. Das Verhältnis zwischen fantastischen Versprechungen, geschäftlicher Transparenz und realer Wirkung fällt bei Dealern gerne mal besonders ungünstig aus. Ironischerweise könnte gerade der unpersönliche Handel auf ​Deepweb-Schwarzmärkten hier Abhilfe schaffen. Und das liegt nicht nur an den Bewertungssystemen im eBay-Stil, die Käufern verraten, bei welchen Darknet-Powersellern sie eine sichere Lieferung erwarten können—sondern auch an engagierten Freiwilligen wie DoctorX, dem Deepweb-Doktor des Vertrauens.

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Ich mache das alles ehrenamtlich. ich akzeptiere aber Bitcoin-Spenden.

Der ​rechtsfreie Raum des Darknets hat dabei auch die Entstehung einer fragilen, aber durchaus auch offenere und transparente Konsumentenkultur befördert, die es in der von strengen Drogengesetzen regulierten analogen Verkaufswelt so kaum geben kann. Während auch in Deutschland Fixerstuben durch staatliche Willkür immer wieder verboten oder geschlossen werden und Verkaufspunkte im öffentlichen Raum unter dem Druck der Illegalität operieren, floriert eine wilde und zugleich höflichere und kundenfreundlichere Welt des Drogenhandels im Deepweb.

Seit knapp zwei Jahren ist Dr. Fernando Caudevilla aus Madrid nun schon als DoctorX im Darknet unterwegs. In den Foren von Silk Road 1, Silk Road 2 und auch The Hub hat er nach seinem Feierabend als normaler Familienarzt schon mehr als tausend Nutzerfragen beantwortet, und wird als „eine der größten Stützen dieser Community" verehrt.

Während Caudevilla auch in der traditionelleren Drogenberatung auf Festivals tätig ist, teilt er sein Wissen—mit einem Fokus auf dem Deepweb—auch ​auf seinem Blog. Er glaubt damit, nicht nur mehr Nutzer erreichen zu können, sondern sieht in den liberalen Deepweb-Schwarzmärkten auch eine realistischere Kultur des Drogenkonsums von Morgen heraufziehen.

Fernando ist nämlich—wenig überraschend—auch ein Befürworter der vollständligen Legalisierung aller Drogen. Er fordert lediglich eine strengere Regulierung des Verkaufs, damit nur mündige Erwachsene in den Genuß der Drogen kommen. Wir haben mit ihm über Drogen und das Darknet ein längeres E-Mail-Interview geführt—so konnte er seine Erfahrung und sein Wissen mit uns teilen, ohne dass seine analogen Geschäfte der regulären Hausarztbehandlungen darunter litten.

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Hallo Fernando, wie viel Zeit nimmt deine Ratgeberarbeit jeden Tag in Anspruch?

Ich arbeite täglich ungefähr zwei Stunden in Deepweb-Foren. Ich mache das wirklich sehr gern. Ich hätte zwar lieber noch mehr Zeit dafür, aber mein Hauptjob als Familienarzt lässt das nicht zu.

Wieviele Menschen hast du schon beraten?

Ich habe in knapp zwei Jahren über 1.000 Fragen über Drogen in den Foren von Silk Road 1 und Silk Road 2 beantwortet. Dazu kommen noch Fragen auf The Hub, die ich nicht zähle. Ich habe jetzt momentan meine Arbeit unterbrochen, weil auch das Forum von Silk Road 2 durch Operation Onymous geschlossen wurde, aber ich glaube, ich werde bald an anderer Stelle meine Arbeit wieder aufnehmen.

Welche Art von Fragen werden dir im Deepweb am häufigsten gestellt?

Ich beantworte meist Fragen über Drogen und Gesundheit, von einer am Konsumenten orientierten Risiko- und Schädlichkeitsperspektive aus gesehen. Ab und an bekomme ich auch Fragen gestellt, bei denen es um Selbstmord geht. Also: Wie bringe ich mich am Besten um? Es ist nicht immer leicht zu unterschieden, worauf die User mit ihren Fragen eigentlich hinaus wollen. Ich bin jedoch der Auffassung, dass die Fragen trotzdem gestellt werden dürfen, und dass es einen Raum dafür geben muss.

Was ich allerdings keinesfalls beantworte, sind Fragen, die darauf abzielen, wie man einer anderen Person Schaden zufügt—Fragen nach der besten Droge für Date-Rape oder, mit welchen Substanzen man eine andere Person ausknockt. Wenn ich das Gefühl habe, dass die Fragen auf so etwas abzielen, dann spreche ich mich ganz klar dagegen aus. Wenn Nutzer solche Ideen haben, dann muss das kritisiert werden.

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Was hältst du von der momentanen Drogengesetzgebung in Europa?

DIe europäische Drogengesetzgebung ist noch relativ zivilisiert, wenn man es mit anderen Ländern wie Singapur vergleicht, wo du für den Schmuggel kleinster Mengen zum Tode verurteilt wirst. Oder denk an Thailand, wo du für den Besitz von 5 mg Kokain für 15 Jahre im Gefängnis landen kannst. Immerhin ist in manchen Ländern der Konsum von Drogen nicht mehr strafbar. Ich finde aber dennoch, dass die verhältnismäßig liberalen Gesetze nicht weit genug gehen. Drogen sollten eine Frage der persönlichen Freiheit sein. Diese muss soweit reichen dürfen, bis keine andere Person geschädigt oder gefährdet wird.

Glaubst du, dass das Darknet irgendwann einmal die Gesetzgeber beeinflusst und dazu führt, dass die Drogengesetzgebung gelockert wird?

Im Vergleich zum weltweiten Drogenhandel ist das gehandelte Gesamtvolumen im Deepweb noch immer sehr klein. Aber ich glaube, das Deepweb wird uns erhalten bleiben. Es wird in den nächsten Jahren sogar noch wesentlich weiter wachsen. Ich glaube, dass das auch eine Rückwirkung auf die ineffizente Drogengesetzgebung haben wird, unter der wir heute leiden, und dass es eine Legalisierung unterstützen kann.

Fühlst du dich manchmal in deiner Offenheit und Verfügbarkeit ausgenutzt von den Fragenstellern?

Ich mache das eigentlich alles umsonst und ehrenamtlich. Aber ich nehme durchaus Spenden per Bitcoin-Überweisung im Austausch für meine Arbeit entgegen. Manche meiner Kunden waren da auch schon sehr großzügig.

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Siehst du das Deepweb eher als eine nützliche oder eine gefährliche Technologie?

Das Deepweb und das Internet generell ist ein Werkzeug, das man für gute und für schlechte Dinge benutzen kann. Darknet-Märkte bieten einige Vorteile gegenüber dem traditionellen Drogenhandel, wie zum Beispiel die relative Qualitätskontrolle, aber auch die Verminderung von physischer Gewalt im Zusammenhang mit dem Drogenhandel.

Der Krieg gegen die Drogen hat versagt.

Ich glaube, dass es einen riesigen Unterschied gibt zwischen dem Verkauf von Gütern für den persönlichen Gebrauch und dem Verkauf von Schrotflinten oder Kinderpornografie. Ich glaube, dass die Polizei ihre Energie auf letzteres konzentrieren sollte—Aktivitäten, die für andere Menschen oder die Gesellschaft im Allgemeinen objektiv gefährlich sind.

Was denkst du über den ​​„War on Drugs"?

Der Krieg gegen Drogen hat viel mehr Probleme verursacht als gelöst. Sowohl auf sozialer und wirtschaftlicher Ebene, als auch in Bezug auf die Qualität der Drogen und die hygienischen Bedingungen unter denen sie konsumiert werden. Denk nur an die gegenwärtigen Schwierigkeiten mit der ausufernden Gang-Kriminalität, aber auch an die medizinische Folgen durch den Handel mit unreinen, verschnittene Drogen, an die Schattenwirtschaft der Dealer oder an all die Menschen, die an Infektionskrankheiten sterben. Statt von Staaten oder Unternehmen kontrolliert zu werden, sind die Drogen in den Händen von Kriminellen, die damit Milliarden verdienen.

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Egal, aus welcher Perspektive man es betrachtet: Der Krieg gegen die Drogen hat versagt, er ist ein totaler Reinfall. Es wird Zeit, dass wir andere Maßnahmen und Gesetzgebungen ausprobieren, die respektvoller mit Menschenrechten und den Rechten von Drogenkonsumenten umgehen. Ich finde, das sind wir auch den Opfern der Verfehlungen der vergangenen 100 Jahre schuldig.

Ich sehe mich persönlich nicht als Psychonaut. Ich will einfach mein Fachwissen teilen—ohne moralische Einordnung.

Ich muss auch dazu sagen, dass ich auf keinen Fall gegen Erstaufklärung oder Präventionsarbeit im klassischen Sinn bin, also die Art der Arbeit, die darauf abzielt, Menschen von Drogen fernzuhalten. Ich arbeite einfach nur auf einem anderen Gebiet: Präventionsarbeit für Drogenkonsumenten.

Was hältst du von Anti-Suchtmitteln, wie zum Beispiel Baclofen, die im Darknet teilweise auch als Lösung gelten und dort gehandelt werden?

Es gibt einige klinische Testreihen, die die Effizienz von Baclofen oder anderer vergleichbarer Substanzen in der Suchttherapie bestätigen. Mit Baclofen und Co kann man Abhängigkeiten durchaus behandeln, aber es ist wichtig zu bedenken, dass Suchtstörungen nicht nur eine Frage der Substanzen und der Pharmakologie sind. Für eine erfolgreiche Bahandlung muss man auch psychologische und persönliche Faktoren, sowie den sozialen Kontext berücksichtigen.

Was denkst du über Psychonauten wie die ​LSD Avengers? Angeblich sind die ja unter einem neuen Namen zurück und wieder unterwegs. Welche Rolle spielen diese freiwilligen Drogentester, die ihre eigenen Erfahrungen als Tripberichte genau aufschreiben und teilen für die Community?

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Jedes bisschen Information, das sich mit Risikominimierung beschäftigt, halte ich für positiv. In diesem Sinn denke ich, dass die Arbeit der LSD Avengers ebenfalls wahnsinnig wichtig ist.

Aber meines Wissens nach ist die beste, professionelle Ressource für Drogentests immer noch die NGO ​Energy Control, für die ich auch arbeite. Jeder kann dort Drogen einschicken und wir testen sie im Labor auf ihre Inhaltsstoffe. Auf Festivals haben wir einen Stand, an dem wir dir mit einem Schnelltest sagen können, ob du Kokain gekauft hast oder nur Backpulver mit Rattengift. Auch so können wir die Risiken für Konsumenten minimieren.

Wir nehmen inzwischen Proben aus der ganzen Welt entgegen, die wir für 50 Euro analysieren und ganz exakt nach Inhaltsstoffen aufschlüsseln. Das geht per Vorkasse, und wenn die Pillen im Zoll hängen bleiben und wir sie nicht bekommen, schicken wir das Geld zurück. Jeder kann uns etwas schicken. Ich sehe mich persönlich aber nicht als Psychonaut. Ich will einfach mein Fachwissen teilen und weitergeben, ohne moralische Einordnung.

Würdest du auch in Erwägung ziehen, im Surface-Web Rat zu geben, beispielsweise ​auf Seiten wie Shiny Flakes?

Natürlich! Ich genieße die Zeit und die Kommunikation im Netz und lerne eine Menge dadurch. Ich würde meine Arbeit gerne ausdehnen. Aber das Problem ist, wie schon erwähnt, dass ich nicht so viel Zeit habe, um diesen Service anzubieten.

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Stimmt es, dass du mal ​ein Leben gerettet hast? Ich hab von einem Mädchen mit einer Überdosis gelesen, die du gerettet hast, weil ihr Freund deine Anweisungen befolgt hat. Was genau hast du getan, um sie zu retten?

An die Geschichte kann ich mich inzwischen gar nicht mehr genau erinnern, obwohl ich sie in den Silk Road-Foren auch immer wieder gelesen habe. Ich hab ja mittlerweile über 1000 Fragen beantwortet, da ist es schwierig, mich an jeden Fall zu erinnern. Man muss dazu sagen, dass die Effektivität der Informationen, die ich online zur Verfügung stelle, natürlich auch bestimmte Grenzen hat. Meine Online-Beratung kann nie so spezifisch zugeschnitten sein, wie bei einem Face-to-Face Interview. Trotzdem kann ich sagen, dass ich von einigen Situationen weiß, in denen meine Informationen schon sehr nützlich gewesen sind.

Was hältst du von Kryptografie?

Im 21. Jahrhundert sind Orwell'sche Alpträume wahrgeworden: Wikileaks, die Snowden-Enthüllungen und das PRISM-Projekt. Geheimdienste und Staaten schöpfen unsere persönlichen Daten ab, ohne Erlaubnis oder Wissen der Bürger. Kryptographie könnte diese Probleme minimieren. Auch hier würde ich sagen, dass Technik nie per se gut oder böse ist—es kommt auf unseren Gebrauch an.

Glaubst du, dass das Darknet einen sichereren Ort zum Drogenkauf bietet als der traditionelle Straßenhandel?

Die Deepweb-Märkte erlauben ein relatives Maß an Kontrolle. Sie sind nicht perfekt, aber sie unterbinden den direkten Kontakt zwischen dem User und kriminellen Kreisen. Aus meiner Erfahrung ist das letztlich ein sehr positive Aspekt.

Bei unseren Kollegen von Vice könnt ihr noch mehr über die Arbeit von Caudeville als Drogenprüfer ​lesen.