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SVP

Die Fehltritte der Jungen SVP zeigen, wie verzweifelt die Rechtspartei ist

Die Junge SVP muss immer radikaler werden, um noch gehört zu werden. Doch irgendwann ist eine Grenze erreicht.
Foto links: jsvp.ch | Foto rechts: Wikimedia

Urban Dictionary beschreibt "Thirsty" als "zu eifrig versuchen, etwas Bestimmtes zu bekommen" und als "verzweifelt". Influencer etwa, die mit Reichweite ihr Geld verdienen, sind besonders thirsty nach Klicks und Likes. Aber eigentlich passt der Begriff nicht nur zu aufmerksamkeitsgeilen Influencern, sondern auch zu aufmerksamkeitsgeilen Parteien. Denn nicht nur Influencer, sondern auch Parteien sorgten in der Vergangenheit vermehrt dafür, dass wir die Augen verdrehen mussten. Allen voran: die Junge SVP.

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Jüngstes Beispiel: Die JSVP Bern, die all denen das Wahlrecht absprechen wollten, die Wahlplakate im Kanton Bern bemalten. Im Netz sorgte diese Idee für Unverständnis. Eine Facebook-Userin kommentierte: "Ich bin auch für drakonische Massnahmen. Ich möchte zum Beispiel, dass Leute, gegen die wegen Rassismus ermittelt wird, nicht für ein politisches Amt kandidieren dürfen." Die Berner Fraktion der Jungen SVP sorgte bereits Mitte März für rote Köpfe. Wegen einer Getränkekarte, die auf der 100-Jahr-Feier der SVP ausgelegt war und im Netz die Runde machte.

Darauf waren geschmacklose Namensalternativen für die dort erhältlichen Schnäpse und Drinks aufgeführt – einen Zuger Kirschschnaps etwa, konnte man sich unter dem Namen "K.O.-Tropfen" bestellen. Ein Seitenhieb an die ehemalige Zuger Kantonsrätin Jolanda Spiess-Hegglin. Die ehemalige Politikerin erhob im Dezember 2012 sexuelle Missbrauchsvorwürfe gegen den SVP-Mann Markus Hürlimann. Dabei war auch der Verdacht auf die Verwendung von K.O.-Tropfen aufgekommen. Für einen anderen glorreichen Streich der Berner JSVP, worauf auch der erwähnte Facebook-Kommentar anspielte, hat die Berner Jungpartei nun eine Anklage wegen Verletzung der Rassismus-Strafnorm am Hals. Auslöser war ein Plakat, das einen Schweizer in Sennentracht vor einem Abfallberg mit Wohnwagen zeigt und auffordert "Transitplätze für Zigeuner" zu verhindern.

Über solche Aktionen kann man sich aufregen oder man kann sie als das sehen, was sie sind: Ein Versuch, um Aufmerksamkeit zu ringen. Benjamin Fischer, Präsident der Jungen SVP findet auf Anfrage von VICE zum Plakat: "Das Plakat spricht ein wichtiges Thema an und wäre es weniger provokativ gewesen, hätte niemand darüber berichtet." Das Plakat wurde auch auf der Facebook-Seite der Jungen SVP Schweiz geteilt, deren Account anschliessend vorübergehend gesperrt wurde.

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Während ein bisschen aufmerksamkeitsgeil zu sein in der Social-Media-Scheinwelt der schönen Influencer nicht nur OK, sondern sogar erwünscht ist, ist dies bei Parteien manchmal so deplaziert wie ein Veganer an der Metzgete. Je mehr Menschen auf Posts von Influencern aufmerksam werden, desto mehr Lohn bekommen sie. Wenn Parteien aber alleine darauf hinarbeiten, anstatt konstruktive politische Beiträge zu bringen, nur noch der Aufmerksamkeit willen zu provozieren, ist das problematisch.

Die Junge SVP ist mit denselben Problemen konfrontiert wie die restlichen Parteien in der Schweiz: Wie generiere ich Reichweite und verschaffe mir im heutigen Politik- und Mediensystem Gehör. "Der Konkurrenzkampf um die Aufmerksamkeit der Leute ist noch heftiger geworden. Die Wahlbeteiligung in Bern war mies – trotz all den Plakaten und Werbungen", so Fischer zur jüngsten Wahl in der Hauptstadt. In den vergangenen Jahren hat die Jungpartei es geschafft, die Leute zur Urne zu bringen. Erfahrungsgemäss nütze eine hohe Wahlbeteiligung meist der SVP. "Dieses Mal haben wir es nicht geschafft, zu den Leuten durchzudringen." Zum einen spüre er im Volk eine gewisse Resignation, zum anderen sei aber ein Grossteil der Wähler auch zufrieden mit der jetzigen Situation.

Die Leute zum Wählen zu bringen war in den vergangenen Jahren tatsächlich eine besondere Stärke der SVP – da geben ihnen die Stimmen an der Urne recht. Noch vor drei Jahren sicherten sie sich mit ihrer Angstmache beim Thema Migration auf nationaler Ebene fast 30 Prozent aller Stimmen. Die Junge SVP schreibt zu ihrer Rolle, die sie für die Mutterpartei einnehmen, selbst auf ihrer Website: "Die JSVP vertritt ihre Positionen pointiert und stellt die Speerspitze und die Jugendorganisation der SVP Schweiz dar,…." So beteiligte sich auch die Jungpartei an der Distribution eines Videos mit dem Titel "Die Fachkräfte kommen". Das Filmchen zeigte Szenen von überfüllten Zügen mit Flüchtlingen, etwa in Ungarn. Doch wenn die Speerspitze der SVP – wenn auch regional – ihr Ziel mittlerweile so radikal verfolgen, dass daraus eine Anklage gegen die Rassismusstrafnorm wird, ist der Thirst einfach zu gross.

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Dabei funktionierte die Junge SVP wie die Propaganda-Dampflok und Recruitment-Agentur der Mutterpartei. So war der jetzige Stadt-, -Gross- und -Nationalrat Erich Hess bereits Präsident der Jungen SVP Bern und auch Lukas Reimann war Teil der SVP-Nachwuchsschmiede. Ob aber Reimann, dem auf Wikipedia ein eigener Abschnitt mit dem Titel "Rassismusvorwürfe" gewidmet wird, der richtige ist Nachwuchspolitiker für Diskussionen zu schulen, wie er das im Januar machte, sei dahingestellt.

Bereits der Name der Schweizerischen Volkspartei – sowie auch der Jungpartei – suggeriert, dass sie das Volk repräsentieren. Doch auch das Volk scheint die Verzweiflung hinter den immer gleichen Parolen allmählich zu riechen. Aus Angst, es könnte nicht wahr werden, möchte man es fast nicht laut sagen. Aber es sieht so aus, als sei der politische Aufschwung der SVP vorerst vorbei. Bei den Grossratswahlen in Bern vom 25. März hat die Rechtspartei drei Sitze verloren. In den Gemeinderatswahlen vom 4. März in Zürich verlor die SVP sechs Mandate. Der Trend, der in den Kantonen verzeichnet wird, passt auch ins nationale Bild. Wie das SRF aufzeigt, hat die Partei seit den Nationalratswahlen 2015 auf kantonaler Ebene sieben Sitze verloren. Für Fischer kein Grund zur Sorge: "Wir sind nach wie vor die mit Abstand grösste Partei und auf dem absoluten Höhepunkt." Und diesen könne man nicht immer halten."Mit dem Erfolg werden einige Mitglieder und Behördenvertreter bequem" Aber er räumt ein: "Zürich war schon ein Weckruf."

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Der Rechtspopulismus ist zwar in Europa nach wie vor im Vormarsch. Doch in der Schweiz scheint man diesen alten Zopf langsam satt zu haben. Nimmt man das CS-Sorgenbarometer ins Visier, das die aktuellen Bedenken und Ängste der Schweizer Bevölkerung aufzeigt, so sind Themen wie "Migration", oder "Ausländer", die Rechtspopulismus-Dauerbrenner, in der Prioritätenliste des Volkes nach unten gerutscht. Was heute beschäftigt sind in erster Linie Arbeitslosigkeit (auch Jugendarbeitslosigkeit) sowie die AHV. Ein anderes Rezept als "Zuwanderung begrenzen" präsentiert die SVP – und auch die Jungpartei – gegen diese Probleme kaum.

Dabei ist gegen die Einwanderung zu wettern, ein Kampf, der nicht gekämpft werden muss

In der Jungen SVP ist man sich nach dem "Nein" zur AHV-Reform vom September 2017 einig, dass eine nachhaltige Finanzierung der AHV sichergestellt werden muss. Zwar hat Fischer auch darauf eine Antwort parat: "Wir sind für eine Flexibilisierung der AHV und eine stetige Erhöhung des Rentenalters, was auch die Anpassung des Rentenalters der Frauen beinhaltet." Dennoch finden die Themen in der SVP-Wahlpropaganda keinen Platz. In der Idee, Parteizeitung der JSVP und im neuesten SVP Extrablatt finden sich fast ausschliesslich Kampfparolen gegen das geplante EU-Rahmenabkommen sowie gegen die Einwanderung.

Dabei ist gegen die Einwanderung zu wettern, ein Kampf, der nicht gekämpft werden muss: "Seit vier Jahren ist die Einwanderung der Ausländerinnen und Ausländer in die Schweiz rückläufig", schreibt das Staatssekretariat für Migration zur Ausländerstatistik 2017. Dennoch verfolgt die SVP ihren Kurs weiterhin konsequent. "Zuwanderung ist nach wie vor ein wichtiges Thema. Die Schweiz wird im Jahr 2034 10 Millionen Einwohner haben. Wie man damit umgehen will, darauf hat niemand eine Antwort", sagt Fischer. Die Lösung der SVP scheint aber zu sein: Weiterhin die Zuwanderung begrenzen! Dabei ist sie auch gewillt, die bilateralen Verträge der Schweiz aufs Spiel zu setzen, wie das etwa mit einer Annahme ihrer Begrenzungsinitiative drohen würde.

Fischer findet: "Das wichtigste Thema in diesem und nächsten Jahr wird die Eigenständigkeit und Selbstbestimmung der Schweiz sein." Und er ist sich sicher: "Da sind wir nicht weg von den Leuten, sondern mittendrin." Seit mehr als fünf Jahren nimmt die Zuwanderung in der Schweiz allerdings stetig ab. Während der Wanderungssaldo im Jahr 2013 noch bei einem Plus von 81.084 Personen war, war er im vergangenen Jahr bei 53.221. Ein Blick auf die aktuellen Einwanderungszahlen gibt einen Hinweis darauf, dass dieser Trend anhält: Im Februar vor einem Jahr war der Wanderungssaldo bei 10.276, im Februar 2018 bedeutend tiefer bei 9.127.

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