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Psychologie

Im „Wutraum" kann man seinen Aggressionen freien Lauf lassen

Angesichts der weltweit drohenden politischen Apokalypse verlassen sich immer mehr Menschen auf die therapeutische Wirkung der Zerstörung. In sogenannten Wuträumen kann man seiner Wut freien Lauf lassen und nach Lust und Laune Gläser, Flaschen und...
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Paarweise kommen die mit Overalls bekleideten Männer und Frauen in den kleinen Raum mit den betonierten Wänden irgendwo in Buenos Aires. Jeder von ihnen hat eine Metallstange oder einen Holzschläger in der Hand. Sie haben eine halbe Stunde Zeit, um fröhlich Champagnerflaschen, einen Computer und eine Tastatur zu zertrümmern.

Im Break Club in Buenos Aires zahlen Kunden dafür, verschiedene zerbrechliche Gegenstände zu zerstören. Die Idee hinter den sogenannten Wuträumen ist es, den Besuchern eine Möglichkeit zu bieten, sich auf die etwas andere Art von all der alltäglichen Frustration zu befreien. Der weltweit erste Wutraum wurde 2008 in Japan eröffnet, doch schon nach kurzer Zeit wurde aus dem Konzept ein globales Phänomen, das es mittlerweile auch in Deutschland, Australien, Italien, oder den USA gibt.

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Evelyn Botto, 25, die den Break Club gemeinsam mit einem guten Freund besucht, bezeichnet die Erfahrung als „äußerst angenehm", als sie nach ihrer Sitzung wieder rauskommt. Als Begleitmusik hat sie sich Metallica ausgesucht. „Dir ist egal, was mit der Gesellschaft ist oder der Flasche und die Musik hilft auch", sagt sie beschwingt.

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Die Gründe dafür, dass Botto sich im Break Club mal so richtig ausleben wollte, kennt vermutlich jeder von uns: Drama im Freundeskreis, Stress bei der Arbeit und Probleme in der Familie. Ein ganz neuer Stressfaktor, der die Leute in die Wuträume bringt, ist die aktuelle weltpolitische Lage—sagen die Inhaber der Wuträume. Vielen Menschen bereitet das Wahlergebnis von den Präsidentschaftswahlen in den USA Sorgen. Diese Form von Stress hat mittlerweile sogar einen Namen: Wahlstress-Störung.

„In diesem Jahr dreht sich einfach alles um Politik. Das Stresslevel scheint deswegen ziemlich hoch zu sein", sagt Russell Chastain, Besitzer des Smash Shack in Jacksonville im US-Bundesstaat North Carolina. Seine Kunden kommen aus ganz North Carolina zu ihm—unter anderem auch von einem nahegelegenen Militärstützpunkt. Kurz vor den Wahlen hat Chastain seinen Kunden Trump- und Clinton-Aufkleber zur Verfügung gestellt, die sie auf die Teller und Flaschen kleben konnten, um ihre Wut zu kanalisieren.

Selbst in Buenos Aires—8.000 Kilometer von Washington D.C. entfernt—gibt es Menschen, die Trump als Ursache für ihren Stress bezeichnen. Auch Botto meint lachend, dass sie ihre Wut vielleicht besser kanalisieren hätte können, wenn das Gesicht des angehenden US-Präsidenten die Champagner-Flaschen geschmückt hätte. (In Argentinien ist Trumps Beliebtheitsgrad noch geringer als in den USA. Einer Umfrage zufolge hätten lediglich sechs Prozent der Argentinier für Trump gestimmt. Botto nennt ihn eine „weltweit gehasste Figur.")

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Der Venting Place in Japan entstand in Reaktion auf die landesweite Rezession, die vor allem die japanischen Arbeiter getroffen hat. In den argentinischen Break Club kommen die meisten, um ihren Prüfungsstress abzureagieren oder weil sie gerade eine Trennung hinter sich haben, so der Besitzer Guido Dodero. Andere kommen einfach nur zum Spaß hierher, wieder andere zu Dates oder Firmenausflügen.

Studien haben gezeigt, dass Männer und Frauen mit Stress unterschiedlich umgehen, so die American Psychological Association. Männer betätigen sich eher körperlich um Stress abzubauen, während Frauen Stress durch zwischenmenschliche Beziehungen kompensieren. Dennoch, so die Betreiber verschiedener Wuträume, ist der Großteil ihrer Kundschaft weiblich. Chastain, der Besitzer des Smash Shack, hat seine ganz eigene Theorie, warum Frauen eher das Bedürfnis haben, sich mal so richtig gehen zu lassen: Die Männer in Jacksonville—besonders die vom Militärstützpunkt—fühlen sich wohler dabei, beim Kampfsport oder auf irgendeine andere Art und Weise aggressiv Dampf abzulassen. „Ihre Freundinnen und Ehefrauen haben dagegen kein solches Ventil", meint er.

Es könnte aber noch tiefergehende Gründe haben, warum Wuträume eine besonders befreiende Wirkung auf Frauen haben. Wie eine aktuelle Studie zeigt, werden Frauen von der Gesellschaft eher dafür abgestraft, wenn sie ihre Wut zum Ausdruck bringen. Wuträume sind dagegen ein gesellschaftlich anerkannter und in gewisser Weise auch unbeschwerter Raum um aggressiv Dampf abzulassen, was womöglich verstärkt Frauen anzieht, die das Gefühl haben, dass sie ihre Wut sonst nicht ausleben können.

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Über den wahren Nutzen von Wuträumen lässt sich allerdings streiten. Die Psychologin Sandra Thomas, die die Wut von Frauen untersucht hat, sagt, dass es eigentlich noch wütender macht, wenn man schreit und Sachen zerschlägt und so seine Wut aggressiv abreagiert. Körperliche Betätigungen oder Entspannungsübungen sind eine gesündere Methode, um Stress zu reduzieren, erklärt sie mir in einer E-Mail. Allerdings meinte der Experte Ramani Durvasala gegenüber How Stuff Works, dass Wuträume ein positives Ventil für Menschen sein können, die ihre Emotionen generell sehr gut unter Kontrolle haben. Der Besitzer des Break Clubs, Guido Dodero, meinte, dass einige Kunden tatsächlich von Psychiatern als Teil ihrer Therapie zu ihnen geschickt werden.

Eine Sitzung im Break Club dauert zwischen 20 und 30 Minuten, es gibt allerdings keinen Punkt, an dem die Kunden dazu gedrängt werden, endlich den Raum zu verlassen. Die Zeit im Inneren ist zum Experimentieren und Ausrasten da und du kannst gehen, wenn du das Gefühl hast, dass du all deine Aggressionen losgeworden bist.

Bei Botto dauerte ein paar Minuten, bis sie sich wohlgefühlt hat, aber dann konnte sie sich voll und ganz darauf einlassen. „Ich habe noch nie zuvor eine Flasche zerbrochen. Ich habe zwar schon mal eine Flasche oder ein Glas fallengelassen, aber es absichtlich zu machen, ist etwas ganz anderes", sagt sie. „Ich fühle mich total befreit."