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Die DIY-Soylent-Website ist das Chefkoch.de für deutsche Essensverweigerer

Auf der Rezept-Bastlerseite "DIY Soylent" tauschen sich Soylent-User über die besten Hausmannskost-Rezepte aus, um die schleimige Monotonie zu durchbrechen. Leider haben sie noch kein Soylent-Schnitzel entwickelt.
​Bild: Facebookgruppe ​DIY Soylent 

Der Alltag eines Soylent-Konsumenten kann beizeiten recht grau beziehungsweise zähflüssig-beige sein: Morgens, mittags und abends gibt's statt bissfester Nahrung einen Becher farbarmen Schleim mit Mehlgeschmack. Ohne eine Prise kreativer Schwarmintelligenz kann eine solche Diät schnell zu einer freudlosen Sache werden. Deshalb tummeln sich auf DIY-Soylent.me die Freunde des futuristischen Nahrungs-Updates und optimieren gemeinschaftlich ihre Soylent-Zufuhr.

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Auf der Rezepteseite versuchen sich inzwischen über 26.000 angemeldete Nutzer an der Zubereitung von heimeliger, bekömmlicher Hausmannskost. Darunter finden sich auch knapp hundert deutsche Rezepte, die zwar noch nicht das perfekte Soylent-Spätzle-Surrogat liefern, aber die Ambitionen, Rob Rhineharts praktisches Silicon-Valley-Food im preußischen Alltag zu etablieren, sind unübersehbar.

Genießer des offiziellen Soylent berichten häufig über unglaubliches Verlangen nach Salz und Öl und leiden unter übelstinkenden Blähungen. Nun sagt der Soylent-Erfinder Rob Rhinehart ja nicht, dass seine Mischung perfekt sei, sondern wünscht sich von den Freunden des Nahrungssubstituts, dass sie ihre eigenen Erfahrungen in die Entwicklung mit einbringen.

Wir haben eine Soylent-Party veranstaltet und dort alles abgewogen.

Auf jeden Fall mag sich nicht jeder mit der Ödnis des Allzweckessens abfinden, wie auch die Facebook-Gruppe DIY Soylent Experiment Berlin zeigt. Der Administrator Stefan Marx tauscht sich dort mit seinen Freunden aus, die sich wir er mehr oder weniger exklusiv von selbst angerührtem Soylent ernähren. Für die preisgünstige Umsetzung hatte Stefan eine clevere Idee: Er bestellte sich mit diesen Freunden Dutzende Pulverzutaten und Nährstoffe in Fünfkilo-Vorrats-Ladungen und machte "eine kleine Soylent-Party, auf der wir alles abgewogen und verteilt haben". Stefan drehte weiter an der Preisschraube, indem er noch günstigere Multivitamintabletten für Frauen bestellte. Nun mischt er sich sein Soylent gern bei der Arbeit zusammen.

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Das sieht dann ein bisschen so aus wie eine Mischung aus Weihnachtsbäckerei und Breaking Bad:

Stefan erzählte mir, dass es bei der praktischen Umsetzung noch einige kleine Probleme – abseits der Beschaffung des Grundstoffes – gäbe. Seine Erzeugnisse seien bisher manchmal noch unangenehm körnig, bei der Dosierung von Kalium müsse man aufpassen und einmal angerührt würde die Mischung sehr schnell verderben.

Ich habe einmal Kekse gebacken, aber das war nicht so der Knaller.

"Kekse hab ich auch mal gemacht. Aber das war nicht so der Knaller, außerdem verschwinden die Nährstoffe durch das Backen." Schade.

Abends isst Stefan trotzdem noch ganz gerne Fleisch. Er misstraut dem Soylent von Rob Rhinehart und mischt sich sein Soylent lieber nach dem Hackerschool-Rezept einer Köchin selbst zusammen. Das Rezept dafür hat er natürlich auf DIY-Soylent.me gefunden und ist sehr zufrieden: "Das schmeckt nämlich richtig gut – nach Schokolade und Olivenöl. Wer beides mag, wird das lieben."

Da Stefan mich abschließend noch auf einen Soylent-Drink einlud, wollte ich mich weiter über die verschiedenen kulinarischen Geheimtipps informieren, die die gemütlichen Mischerlabore der deutschen Nahrungsminimalisten zu bieten haben:

Das Rezept mit den meisten Favorites

Dieses pittoreske Bild stammt aus dem Rezept „DO NOT TRY - WORK IN PROGRESS" | BILD: Nephtens.

Beginnen wir mit einem Klassiker, einem Leibgericht, quasi der Spaghetti Bolognese der deutschen Soylent-Gourmand-Community: Der Nerdshake v.1.1.1 (stabiles Release für einen längeren Testzeitraum).

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Dieses Rezept kennen fast alle futuristischen Kostverächter – es hat sich über längere Zeiträume im Alltag bewährt und wurde schon dutzendfach variiert. Der Nerdshake besteht aus einem Bodybuilder-Proteinpulver, indischen Flohsamenschalen und diversen anderen exotischen Zutaten wie Multivitaminpillen, Kaliumchlorid, Cholin (alles im Internet erhältlich) und Discounter-Banalitäten wie Maismehl und Rapsöl – daraus lässt sich dann laut den Hobbyköchen "eine Art ungesüßter Keksteig" zaubern, "wobei mich nur der Mehlgeschmack stört."

Immerhin hat User gueste das Rezept entwickelt, getestet und für gut befunden, empfiehlt dem geneigten Nachahmer jedoch zuvor noch den Kauf robuster Tupperware, eines Tablettenmörsers (das erleichtert das Abmessen des Zwölftels einer Tablette—alter Hausfrauentrick) und eines gut schließenden Saftkrugs, um die Zutaten zu verschütteln.

Die geschmacklichen Beschreibungen weiterer Tester sind eher ernüchternd.

Es ist natürlich nicht megageil, aber ich bekomme auch keinen Würgereflex, wenn ich an die nächste Portion denke.

Nun ja, das ist ja schon mal ein Anfang. Unter dem Rezept wird außerdem auf hohem Niveau über Vitamin K-Messfehler bei Hafer im My-Grammbereich diskutiert, dabei ist der Ton jedoch stets freundlich statt besserwisserisch. Hier versucht jeder noch, sich und das Rezept zum Wohle aller mit simplen Kniffen und Hausmitteln zu optimieren – ganz so wie in der heilen Welt von Chefkoch.de:

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Calciumcarbonat kann man auch gut aus getrockneten Eierschalen (95% Calciumcarbonat) gewinnen. Einfach mörsern und gut ist.

Wenn doch alles so einfach wäre!

Die vegane Schoko-Soja-Pampe

Vorbereitung ist alles | Bild:

Soylent Experiment

Der eigentliche Name dieser Kreation lautet: Schoko-Soja-Hafer, 2000kcal/Tag (nach kombinierten Vorgaben von DGE, EU und US Empfehlungen), mit perfektem Omega-3/Omega-6-Verhältnis, Q10 sowie optionalem Kreatin, Ginseng und Ginkgo Biloba (Vegan!)

Auch hier zeigt sich, dass es nicht so leicht ist, etwas komplett Nahrhaftes und trotzdem irgendwie halbwegs Essbares zu kredenzen – und, dass es noch schwieriger ist, ihm einen griffigen Namen wie "Schnitzel mit Kartoffelbrei" zu verpassen. Erfinder thekryz schreibt erbarmungslos selbstkritisch über sein eigenes Rezept:

Hallo zusammen,
ich weiß nicht, was falsch läuft, aber mir schmeckt mein Rezept nicht und es befriedigt mich auch nicht. Ich habe meinen Versuch daher abgebrochen.

Verdammt. Obwohl sich der Rezeptautor hier auf die Empfehlungen zum Tagesbedarf der EU beruft und sich eine raffinierte, hochkomplexe Rezeptur mit stolzen 19 vertraut klingenden Müslibestandteilen wie Leinsamen, Vollkornhaferflocken und äh, Algenpulver ausgedacht hat, ist er nicht einmal selbst davon überzeugt.

Manchmal hat man ja Lust auf Kauen.

Dabei hat er in das Rezept sogar gedankenvoll eine Extrakarotte zum Dazuessen als Beilage eingerechnet, denn "manchmal hat man ja Lust auf Kauen". Durchaus eine gute Idee –insbesondere, wenn man nebenbei Stoffe wie Chromtabletten, Monohydratpulver und Gingko Biloba herunterkriegen muss.

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Soylent-Pfannkuchen

Zum Abschluss hier noch der dokumentierte Feldversuch eines echten Küchenklassikers: Ein Pfannkuchen. "Hm, ist eher ein Keks", urteilt Sam McLeod aus Neuseeland, bevor sein Kameramann und er den immerhin appetitlich goldbraunen Soylent-Pfannkuchen probieren. "Shit, das ist ja richtig gut!" – "Ja… der Ahornsirup macht es auf jeden Fall viel besser", erwidert sein filmender Freund höflich.

Das scheint eine der universellen Lektionen der Kochexperimente mit Allzwecknahrung zu sein: In Kombination mit echten Nahrungsmitteln schmeckt Soylent irgendwie immer noch besser. Im Gegensatz zu den konventionellen Rezeptdatenbanken, die das Internet ansonsten überschwemmen, erhalten die Kreationen auf DIY Soylent nur in Ausnahmefällen die besondere Auszeichnung "Tasty". Aber dafür ist für jeden Geldbeutel und jeden Schwierigkeitsgrad etwas dabei: Vom Soylent des armen Mannes bis hin zum Soylent-Brownie (Urteil: nicht lecker). Und in der Community herrscht eine wirklich freundliche Hilfsbereitschaft, mit der man die eigenen Rezepte zusammen weiterentwickelt und sich nicht nur mit Chefkoch-Kronen zu Tode schmeichelt.

Die Herangehensweise bei DIY-Soylent ist kollaborativ, experimentell und der Ton zuvorkommend: "Hab's probiert, ist noch ziemlich widerlich" scheint der Tenor zu sein. Direkt gefolgt von "Das mache ich nochmal besser".

Das häufig übersehene Problem der Essensverachter ist aber die soziale Funktion der Nahrungsaufnahme. Na, Lust, dir mit den Foodhackern einen Becher beigen Schleim reinzukippen, der nach langer Experimentierphase zumindest niemanden mehr zum Würgen bringt? Oder doch lieber zum Italiener, der duftende Tagliatelle gestenreich direkt am Tisch im Parmesanleib schwenkt?

Kann es tatsächlich so einfach sein, Essen seiner gesamten Sinnlichkeit zu berauben? Braucht denn niemand einen Ersatz für Farben, Texturen, Gerüche und Gewürze? Stefan Marx nicht, er fühlt sich körperlich super und ausgeglichen. Seine enthusiastische Einladung auf einen Soylent-Drink beweist auf jeden Fall, dass seine gelegentliche Anti-Essens-Diät nicht unsozial macht: "Probier's einfach mal. Ich habe mich einfach gefühlt, als hätte ich vor Soylent nicht alles gehabt, was ich brauche."