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Fridays for Future

Diese Berlinerin bietet Schülern im Klimastreik Mathe-Nachhilfe an

Bisher hat sich noch niemand gemeldet.
Fridays for Future Nachhilfe-Tweet
Screenshot: Twitter | asiramsa || Hintergrund: imago | Stefan Zeitz

Jeden Freitag gehen junge Menschen weltweit nicht mehr in die Schule, sondern auf die Straße: Fridays for Future heißt die globale Streikbewegung, die sich für den Klimaschutz engagiert. Eine gute Sache, findet die 36-jährige Berlinerin Marisa Janson. Sie hat eine Idee, wie sie die Kinder und Jugendlichen unterstützen kann: mit persönlicher Mathe-Nachhilfe. "Wer bei #FridaysForFuture streikt und Mathe-Stoff nachholen muss, kann sich gern bei mir melden! Einfach Aufgaben fotografieren, Frage dazu und ich erklär's dann", twitterte sie.

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Nach nicht mal einem Tag hat ihr Tweet Tausende Likes und Retweets bekommen, Dutzende andere Menschen bieten in den Kommentaren kostenlose Hilfe in anderen Fächern an. Wir haben Janson gefragt, wie sie auf die Idee kam.

VICE: Erzähl doch erst mal was über dich.
Marisa Janson: Ich bin selbstständig und verdiene derzeit mein Geld damit, geflüchteten Menschen in Berlin Deutsch beizubringen. Ursprünglich habe ich aber nicht Germanistik, sondern VWL aus sozialwissenschaftlicher Perspektive studiert und gemerkt, dass ich ganz gut in Mathe bin. Ich war dann Mathe-Tutorin und habe später von Rassismus betroffenen Kreuzbergerinnen bei der Prüfungsvorbereitung für den Mittleren Schulabschluss oder fürs Abitur geholfen. Ich mache das also schon eine ganze Weile professionell und es macht mir extrem viel Spaß, Menschen zu helfen. Vor allem Menschen, die sich aus unterschiedlichen Gründen keine Nachhilfe leisten können.

Wie kam die Idee, den jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmern von Fridays For Future zu helfen?
Es war erstens aus einer Laune heraus: Ich gebe derzeit keine Mathe-Nachhilfe und es fehlt mir irgendwie.

Und zweitens?
Ich verfolge die ganze Diskussion um Fridays for Future schon länger und sie ist mir einfach viel zu billig. Dieses Gejammere, dass die Kinder jetzt ein paar Stunden Schule verpassen und deshalb nicht mehr mit dem Stoff nachkommen, finde ich mega ermüdend. Ich habe bei anderen Aktionen erlebt, wie sich Jugendliche mitten in einem Sitzstreik zusammengehockt haben und Hausaufgaben gemacht haben. Es gibt da schon eine riesige Solidarität untereinander, und ich habe überlegt, wie ich meinen Teil als Erwachsene dazu beitragen kann.

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Findest du, dass Erwachsene sich nicht genug für Fridays for Future engagieren?
Viele Jugendliche erfahren dadurch gerade zum ersten Mal so etwas wie transnationale Solidarität und spüren, was es heißt, Politik zu machen. Das ist so ein wertvoller Prozess, weshalb es wichtig ist, den jungen Menschen zu zeigen: Hey, wir stehen hinter euch, wir unterstützen euch, lasst euch nichts einreden!

Dagegen sagen führende Politikerinnen wie die CDU-Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer, dass die Kinder doch eh nur die Schule schwänzen wollen…
Es heißt immer, die heutige Jugend sei so unpolitisch, und ihre Sprache verkümmere und sie habe auf nichts Bock und gehe nicht wählen und es gehe ihr nur um Spaß. Dabei war es meiner Erfahrung nach schon immer so, dass die Jugend sehr konkrete Forderungen hatte – aber die Politik hat es halt nicht interessiert. Viele Jugendliche sind Fachleute, tauschen sich über das Internet aus, haben konkrete Anliegen. Und wenn sie wie jetzt auf die Straße gehen und tatsächlich politisch sind, heißt es: "Ihr wollt doch nur die Schule schwänzen, ihr seid doch alle faul!" Mit solchen Pauschal-Urteilen wurden schon immer linke und progressive Kräfte diskreditiert.

Was würdest du deinen eigenen Kindern sagen, wenn sie lieber auf Demos statt in die Schule gehen wollen?
Ich habe keine Kinder, aber Nichten, bei denen die Frage auch schon aufkam. Ich bin kein Fan davon, Kinder für irgendeinen Zweck zu pushen. Wenn sie aber von sich aus Begeisterung für ein Thema entwickeln würden und dafür auf die Straße gehen möchten, würde ich sie natürlich unterstützen. Oder sagen: "Du musst mich nicht fragen, es ist ja ein Streik!" In jedem Fall hätten meine Kinder natürlich eine fantastische Nachhilfelehrerin.

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Dein Tweet wurde in kürzester Zeit schon über 6.000 mal gelikt und 2.000 mal retweetet.
Phänomenal! Es gab zunächst einen ersten vorsichtigen Retweet: "Hey, ich kann auch was." Dann kamen immer mehr Menschen, die Nachhilfe in anderen Fächern angeboten haben. Ich glaube, inzwischen haben wir alles abgedeckt, von Musiktheorie zu Sporttheorie. Bei manchen Fächern wusste ich gar nicht, dass es sie überhaupt gibt. Ich finde es besonders toll, dass gerade die mutmaßlich schweren Fächer wie Mathe, Physik, Informatik so häufig genannt werden.

Glaubst du denn, dass Nachhilfe über Twitter oder in anderer digitaler Form überhaupt funktioniert?
Ausschließlich über Twitter oder E-Mail wahrscheinlich nicht, es müsste schon einigermaßen interaktiv sein. Das gleichzeitige Rechnen und Erklären ist schon sehr wichtig. Aber es gibt ja Möglichkeiten, zum Beispiel mit kurzen Videos. Ich hatte mal eine Schülerin, die vor einer Klausur am Wochenende noch Nachfragen hatte. Da habe ich dann das Handy in die eine Hand genommen, Videoaufnahme gestartet und mit der anderen Hand die Rechenwege aufgezeichnet und erklärt.

Wenn du am Montag plötzlich 100 Tweets von Kids hättest, die um Hilfe bei der Bruchrechnung bitten, wie viel Zeit könntest du ihnen überhaupt geben?
Ich kann schon viel Zeit investieren, weil ich gemerkt habe, dass alle meiner Schülerinnen, denen ich Nachhilfe gegeben haben, auch ihre Ziele erreicht haben. Das motiviert mich. Zurzeit arbeite ich vormittags als Dozentin, den Nachmittag über habe ich meistens Zeit. Falls die Sache jetzt mega durch die Decke geht, wäre ich auch bereit, einen Teil meiner Freizeit dafür zu opfern.

Bislang hat sich aber noch niemand gemeldet. Was ist, wenn es dabei bliebe?
Dann wäre das positive Feedback auf meinen Tweet trotzdem ein Zeichen an die Jugendlichen, dass es jede Menge Menschen gibt, die ihr Anliegen unterstützen und ihnen helfen würden.

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