Interview mit einem Flüchtling im Hungerstreik
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Interview mit einem Flüchtling im Hungerstreik

Seit 23 Tagen hat Arash Hampay nichts gegessen. Er protestiert gegen die Inhaftierung von drei Flüchtlingen auf der griechischen Insel Lesbos.

Neben einem Schild mit der Aufschrift "Hungerstreik für die Freiheit – Tag 23" sitzt Arash Hampay auf einem Platz in Mytilini, der Hauptstadt der griechischen Insel Lesbos. Ursprünglich kommt er aus dem Iran, wo er sich als Menschenrechtsaktivist engagiert hatte. Doch dort wurde der 31-Jährige wegen seinem Engagement zu 19 Jahren Haft verurteilt. Also floh er und erreichte am 3. Januar 2016 die Türkei. Etwa sieben Monate später kam er wie monatlich Hunderte andere Flüchtlinge in die Europäische Union, nach Lesbos.

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Mit dem Hungerstreik protestiert Arash für die Freilassung von drei inhaftierten Flüchtlingen, die ebenfalls im Hungerstreik sind – einer davon ist Arashs Bruder Amir. Die drei wurden inhaftiert, nachdem ihr Asylgesuch abgelehnt wurde. Seitdem sitzen sie in Sektor B von Camp Moria, dem Gefängnis von einem der überfüllten Flüchtlingslager auf der Insel. Anders als die Gefangenen hat Arash die Erlaubnis bekommen, weiterzureisen und sich in ganz Griechenland frei bewegen zu dürfen. Die drei Inhaftierten sollen in die Türkei zurückgeschafft werden, wie es ein Deal zwischen der EU und der Türkei vorsieht. Arash berichtet, sein Bruder Amir sei bereits auf einer Fähre Richtung Türkei gewesen, als Arash und sein Anwalt es wortwörtlich in letzter Minute geschafft hätten, ihn in Griechenland zu halten. In der Türkei dürfen Flüchtlinge, die nicht aus Syrien kommen, laut Human Rights Watch die ihnen zugewiesene Stadt nicht verlassen. In dieser haben sie oft mit Armut zu kämpfen.

Aktivisten aus der ganzen Welt haben sich inzwischen auf Facebook und Instagram mit Arash, seinem Bruder und den zwei weiteren Hungerstreikenden solidarisiert. Unter dem Hashtag #freedomstrikelesvos zeigen sie Fotos davon, wie sie aus Solidarität für 24 Stunden mitfasten. Einer von ihnen schreibt, den inhaftierten Flüchtlingen würde das Besuchsrecht und der Zugang zu medizinischer Hilfe verwehrt. Seit Beginn des Hungerstreiks hätten sie bis zu 14 Kilo Gewicht verloren. Ich habe Arash auf dem Platz in Mytilini besucht, um mehr darüber zu erfahren, wieso er seit 23 Tagen nichts mehr isst. Obwohl er sehr müde wirkt, ist er sofort präsent, als ich ihn anspreche.

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VICE: Arash, warum bist du im Hungerstreik?
Arash: Ich möchte, dass Griechenland, Europa und alle, die für die Lage auf Lesbos verantwortlich sind, endlich die Menschenrechte wahren – doch sie lassen uns in Konzentrationslagern wie Camp Moria leiden. Mehrere Männer starben dort wegen der Kälte und es gab keine Reaktion. Auch als eine Frau und ein Kind vor meinen Augen verbrannte, hat niemand reagiert. Wir Flüchtlinge werden in Gefängnisse gesteckt, geschlagen, gedemütigt und erniedrigt. Als mein Bruder Amir und unsere Freunde Kozhin und Bahruz mit dem Streik begonnen haben, begann ich einen Tag danach aus Solidarität. Niemand sieht die Flüchtlinge im Gefängnis von Camp Moria. Keine Presse kann dort reingehen und die Hungerstreikenden interviewen. Aber ich habe die Möglichkeit, in der Mitte der Stadt zu sein und bin somit der Verstärker ihrer Stimmen. Ich bin jetzt seit 23 Tagen im Hungerstreik und jeder hier hat mich gesehen. Ich möchte, dass die Streikenden, die für nichts im Gefängnis sitzen, freigelassen werden. Sie haben nichts Kriminelles gemacht, sie sitzen nur dort, weil sie Flüchtlinge sind.

"Wenn ihr mich wirklich als Mensch seht, wie kann es dann sein, dass ich mich seit 23 Tagen im Hungerstreik befinde – in der Mitte einer europäischen Stadt?"

Wie haben die Leute bisher auf deinen Hungerstreik reagiert?
Es kamen ein paar Journalisten, die sich für die Geschichte interessiert haben. Oder Menschen, die ein Foto von mir als Andenken gemacht haben. Das ist die Reaktion der Europäer. Die UNHCR und die Regierung aber haben bisher gar nicht reagiert. Ein Polizist meinte, dass mein Bruder und unsere Freunde Kozhin und Bahruz nach einer Woche freigelassen werden, aber sie sind immer noch im Sektor B (Gefängnis im Camp Moria). Um ehrlich zu sein, kam die einzige wirkliche Reaktion von der Polizei, die mich zweimal festgenommen hat.

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Wie fühlt sich das für dich an?
Es ist nicht wichtig, wie ich mich fühle. Es ist nur wichtig zu wissen, dass ich so lange weitermache, bis ich tot bin oder die Inhaftierten freigelassen wurden. Wir mussten in unserem Land leiden, unsere Körper und Seelen sind verletzt. Wir kamen müde und verwundet hier an. Und wenn wir wirklich so leben müssen, will ich nicht mehr leben.

Wie sah dein Alltag vor dem Hungerstreik aus?
Ich habe sieben Monate in einem Zelt in Camp Moria gelebt. Wir Flüchtlinge bekamen 90 Euro im Monat, aber alleine die Fahrt mit dem Bus vom Camp in die Stadt kostet 3 Euro. Wir können also nicht viel machen. Ab und zu mit Freunden einen Tee trinken, ansonsten warten wir den ganzen Tag.

Der Blick auf Camp Moria, eines der grössten Flüchtlingslager auf Lesbos

Was hast du dir von der Reise nach Europa erhofft?
Ganz andere Dinge, als ich bekommen habe. Alles hat sich verändert, als ich meinen Fuss auf europäischen Boden gesetzt habe. Es war ja nicht so, dass ich freiwillig gekommen bin. Ich wurde gezwungen, mein Land zu verlassen.

Europa galt als sicherer Zufluchtsort. Es wurde immer propagiert, dass hier die Menschenrechte zählen. Bisher habe ich aber nicht viel davon mitbekommen, dass unsere Rechte respektiert oder beschützt werden. Wir sind Flüchtlinge, aber auch Menschen. In keinem der 31 Prinzipien der Menschenrechte steht, dass man Menschen einfach so in Gefängnisse stecken darf. Und ich habe auch noch nie gelesen, dass man Flüchtlinge in ein Land zurückschicken darf, in dem sie nicht sicher sind. Oder dass die Polizei Flüchtlinge schlagen darf. Ich habe aber so viele dieser Dinge gesehen.

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Warum wurden diese Rechte dann auf Papier gebracht? Wollte man einfach ein schönes Abendessen zusammen haben? Es war auf jeden Fall nicht ehrlich gemeint. Wenn sie die Menschenrechte wirklich umsetzen wollten, würden sie solche Dinge nicht tun. Sie halten ihre eigenen Gesetze und Regeln nicht. Dann sollen sie doch ehrlich zu sich und der Welt sein und dazu stehen, dass sie sich nicht daran halten. Und nicht Regeln aufstellen, anderen Ländern vorwerfen, dass diese sich nicht daran halten und selber nichts dafür tun. Wenn ihr mich wirklich als Mensch seht, wie kann es dann sein, dass ich mich seit 23 Tagen im Hungerstreik befinde – in der Mitte einer europäischen Stadt?

Was hast du noch für Hoffnungen für die Zukunft?
Nach 23 Tagen Hungerstreik habe ich meine Träume für die Zukunft vergessen. Ich hoffe nur, dass mein Bruder und unsere Kameraden freigelassen werden. Und dass uns dieses Land endlich freilässt. Den einzigen Wunsch, den ich für die Zukunft habe, ist dieser Frieden.

* * *

Ein paar Stunden nach diesem Interview wurde Arashs Bruder Amir aus der Haft entlassen, Hoseyn Kozhin und Aresh Bahruz sind immer noch im Gefängnis. Arash bleibt bis zu ihrer Freilassung im Hungerstreik.

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