FYI.

This story is over 5 years old.

News

​Dass man in Österreich KZ-Überlebende „Landplage“ nennen darf, hat mit fehlender Quellenkritik zu tun

Die rechtsextreme Zeitschrift „Aula" nannte KZ-Häftlinge Landplage. Die Grazer Staatsanwaltschaft sah darin kein Problem. Vermutlich, weil sie die Quellen nicht prüfte.

Foto: Bundesarchiv , CC. BY 3.0

Wie schnell Gerüchte zu vermeintlichen Fakten werden, ist gerade in diesen Tagen sehr anschaulich zu beobachten. Auf Facebook und in der medialen Berichterstattung gehen die Wogen rund um das Thema Refugees hoch; die Stimmung der Bevölkerung dazu hat sich in den vergangenen Monaten deutlich verschlechtert. Facebook-Posts und Artikel zu Asylwerbern in Kombination mit Vergewaltigungen und anderen Verbrechen gehen mit hoher Wahrscheinlichkeit viral—ungeachtet dessen, ob die Fälle tatsächlich so passiert sind oder nicht.

Anzeige

Die Grenze zwischen Fiktion und Realität ist auch das Thema des Buches Werwölfe im Waldviertel? Das Jahr 1945 im Granithochland der österreichischen Autorin Ilse Krumpöck. Darin schildert sie auf Basis von historischen Dokumenten und Zeitzeugenberichten die chaotische Zeit nach Ende des Zweiten Weltkrieges im Mai 1945 im niederösterreichischen Waldviertel.

Das Fragezeichen im Buchtitel bezieht sich aber nicht nur auf die Unsicherheit, wer die acht jungen Burschen, die kurz nach Kriegsende im Mai 1945 per Kopfschuss getötet wurden, tatsächlich waren. Das Fragezeichen steht als Leitmotiv über all den teils widersprüchlichen Erzählungen zum Kriegsende und zu Vorkommnissen rund um die Befreiung des ehemaligen KZ-Mauthausen: Waren es ehemalige KZ-Häftlinge, die nach Kriegsende Frauen in der Umgebung vergewaltigten? Oder waren es doch Mitglieder der Roten Armee? Und wie sind tragische Geschehnisse wie diese, unter denen vorwiegend Frauen zu leiden hatten, tatsächlich abgelaufen?

Weit weniger schwer scheint sich da schon Fred Duswald zu tun. In seiner Rezension des Buches im rechtsextremen Monatsmagazins Aula ist diese Fragestellung für den Autor eindeutig beantwortbar. Aus seinem Text mit dem Titel „Mauthausen-Befreite als Massenmörder", der in der Ausgabe Juli/August 2015 erschienen ist und VICE vorliegt, geht klar hervor, dass Duswald ehemalige Häftlinge des KZs Mauthausen als „Landplage" und „Kriminelle" sieht, die „raubend und plündernd, mordend und schändend […] das unter der 'Befreiung' leidende Land [plagten]" und „mit den sowjetischen 'Befreiern' in der Begehung schwerster Verbrechen wetteiferte[n]".

Anzeige

Im Artikel übernimmt Duswald direkte, wörtliche Zitate aus Krumpöcks Buch—und das, obwohl es sich dabei bereits bei Krumpöck um Zitate handelt, bezüglich derer die Autorin immer wieder festhält, wie widersprüchlich die Erzählungen rund um die Ereignissen sind. Am Telefon erklärt Ilse Krumpöck uns gegenüber, dass es nicht mal sicher sei, ob es sich überhaupt um ehemalige KZ-Häftlinge gehandelt habe: „Ich zitiere im Buch ohne jede Polemik wörtlich die Einträge des Pfarrers, der die Vorkommnisse in der Pfarrchronik vermerkt hat", sagt Krumpöck. „Dabei ist es alles andere als sicher, wer dafür verantwortlich war. Deshalb auch das Fragezeichen im Buchtitel."

Heute bereut sie—im Licht der Aula-Rezension—sogar die Veröffentlichung. „Wenn ich gewusst hätte, dass Leute wie Herr Duswald mein Buch so ausgelegen, hätte ich es nicht geschrieben", sagt Ilse Krumpöck am Telefon. Ein wichtiges Thema des Buches ist außerdem, dass die acht jungen Männer, deren Ermordung unbestritten ist, mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Angehörigen der Hitler-Jugend waren. „Die acht Burschen, die erschossen wurden, waren meinen Recherchen zufolge zu 99,9 Prozent Werwölfe mit falschen Papieren."


Die deutsche Bikergang der Neo-Nazis:


Duswald schreibt in seiner Rezension jedoch davon, wie „die Verfasserin beweist", dass die Burschen zwar Wehrmachts-Uniformen trugen, jedoch keine „Werwölfe" gewesen seien. Außerdem sei es laut Duswald völlig unerheblich, ob sie welche waren oder nicht.

Anzeige

Die Werwölfe waren eine Art Guerilla-Truppe, die in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges das Blatt zugunsten der Nationalsozialisten wenden sollte. Im März 1945 hielt Joseph Goebbels die Werwolf-Ideologie in einer Radio-Ansprache folgendermaßen fest: „Der Werwolf hält sich nicht an die Beschränkungen, die dem innerhalb unserer regulären Streitkräfte Kämpfenden auferlegt sind […]. Für die Bewegung sind jeder Bolschewist, jeder Brite und jeder Amerikaner auf deutschem Boden Freiwild. Wo immer wir eine Gelegenheit haben, ihr Leben auszulöschen, werden wir das mit Vergnügen und ohne Rücksicht auf unser eigenes Leben tun […]. Hass ist unser Gebet und Rache unser Feldgeschrei. […] Der Werwolf hält selbst Gericht und entscheidet über Leben und Tod." Weiters hielt er fest, dass Werwolf-Aktivitäten auch auf die einheimische Bevölkerung angewendet werden können, sofern die Truppe es für nötig erachte.

Ob die Burschen, die, wie Dr. Krumpöck in ihrem Buch belegt, mit falschen Papieren unterwegs waren, also „nur" HJ-Mitglieder auf der Durchreise waren oder tatsächlich Werwölfe, ist in diesem Kontext nicht unerheblich. „Es ist nicht gesichert, ob die Mörder der Burschen ehemalige KZ-Häftlinge oder doch Angehörige der Roten Armee waren", sagt Krumpöck ergänzend.

Der kurze Bearbeitungszeitraum und die Fehler in der Begründung lassen darauf schließen, dass der Sache nicht viel Relevanz oder Recherche beigemessen wurde.

Anzeige

Aus Bestürzung und Entsetzen über die Rezension unterstützte die Buch-Autorin unter anderem mit ihren schriftlichen Belegen das Engagement des Grünen Harald Walser, der Duswald bei der Grazer Staatsanwaltschaft anzeigte. Für österreichische Verhältnisse wenig überraschend, wurde das Verfahren eingestellt. Am 23. Dezember 2015 bat Duswald selbst (und nicht, wie es naheliegender wäre, Walser) um eine genauere Begründung. Fünf Tage später, am 28. Dezember 2015, wurde die Begründung von der zuständigen Staatsanwältin Mag. Vera Sammt (die für unsere Anfragen nicht zur Verfügung stand) beantwortet.

In der uns vorliegenden Begründung ist unter anderem zu lesen: „Unter dem in Punkt I. a) verwendeten Begriff ,Landplage' ist laut Duden eine Plage, die in weiten Gebieten eine große Belästigung darstellt und durch die großer Schaden entsteht, zu verstehen."

Weiters sei es „nachvollziehbar, dass die Freilassung mehrerer tausend Menschen aus dem Konzentrationslager Mauthausen eine Belästigung für die betroffenen Gebiete Österreichs darstellte", da sich, so die Begründung weiter, „neben den überwiegend jüdischen Lagerinsassen, auch aufgrund von Gewalt- und Eigentumsdelikten in Mauthausen deponierte (sic, gemeint sind hier ,deportierte') Häftlinge" befanden.

Zudem gebe es in der „Literatur (…) Hinweise auf die Begehung von strafbaren Handlungen durch Befreite des Konzentrationslagers Mauthausen im Rahmen ihrer Befreiung." Für den Grünen Harald Walser ist die Begründung, die über die Weihnachtsfeiertage verfasst wurde, nicht weniger als skandalös, wie er auch in einem zugehörigen Blog-Eintrag festhält.

Der kurze Bearbeitungszeitraum, die lapidare Erklärung des Wortes „Landplage" und Fehler wie etwa die Behauptung, im Konzentrationslager Mauthausen seien vor allem jüdische Häftlinge untergebracht gewesen, lassen darauf schließen, dass der Sache nicht allzu viel Relevanz oder quellenkritische Recherche beigemessen wurde. Walser hat nun eine parlamentarische Anfrage bei Justizminister Brandstetter eingebracht, in der die historische Expertise der Staatsanwältin in Frage gestellt wird. Ilse Krumpöck wurde übrigens von der Grazer Staatsanwaltschaft nie kontaktiert. Auch das Buch, um das sich die Rezension dreht, lag der bearbeitenden Staatsanwältin mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht vor.

Die Autorin—übrigens ein Mitglied der Österreichischen Freunde von Yad Vashem—wandte sich unmittelbar nach dem AULA Artikel bereits an das DÖW und das Mauthausen Memorial, im Zuge der derzeitigen Kampagne aber auch an die Israelitische Kultusgemeinde und das Justizministerium, entschuldigte sich für die skandalöse Auslegung ihrer Recherchen und distanzierte sich klar von Duswalds Artikel, der ihre wissenschaftliche Reputation in den Dreck gezogen habe.

Die Causa dürfte für Brandstetter durchaus peinlich sein. Erst im Jänner bemängelte er in der österreichischen Justiz eine mangelhafte Auseinandersetzung mit ihrer Rolle im Nationalsozialismus.

Raphael auf Twitter: @RaphSchoen