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EU-Ausschuss macht den Weg für Zwei-Klassen-Internet frei

Heute wurde über einen Gesetzesvorschlag abgestimmt, der die Netzneutralität gefährdet. Die Initiative „Save The Internet“ ruft zum Aktionismus dagegen auf.
Drohende Konzeptleere im EU-Parlament, dessen Parlamentarier die heutige Entscheidung in zwei Wochen vorleget werden wird. Bild: Wikimedia.

Der Industrieausschuss (ITRE) des EU-Parlaments hat heute eine entscheidende Verordnung zur Netzneutralität verabschiedet. Der Text ist mehr als nur ein Statusbericht oder eine strukturelle Detailfrage und wird in zwei Wochen dem Plenum zur Abstimmung vorgelegt. Sollte der Entwurf der Kommission zur Regulierung des digitalen Binnenmarkts verabschiedet werden, könnte das eine gravierende Weichenstellung für die Zukunft der Internet-Freiheit in Europa bedeuten.

Die Netzneutralität gründet sich momentan vor allem auf drei Grundsätzen, die das Internet in seiner derzeitigen Form ausmachen:

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  • Das "end to end"-Prinzip beinhalet die Idee, dass jedes Netzelement mit jedem anderen Netzelement kommunizieren könnte.
  • Das "best effort"-Prinzip garantiert, dass alle Internetprovider ihr Bestes tun, um den Datebnverkehr so effizient wie möglich fließen zu lassen.
  • Das "innovation without permission"-Prinzip (Innovation ohne Erlaubnis) besagt, dass es jedem möglich sein soll innovativ und kreativ zu sein

Doch das könnte sich demnächst stark ändern. Die Drosselkom-Aktion der Telekom war nur ein kleiner Vorgeschmack darauf, wie ein fremdbestimmtes Internet aussehen könnte. Der Geschwindigkeitseingriff der Telekom ließ auch die netzpolitisch uninteressierten Bürger aufhorchen. Doch im Vergleich zu den anstehenden Entscheidungen dürfte das nur ein müder Vorbote gewesen sein—für noch viel grundsätzlichere Änderungen, die in zwei Wochen durch gewunken werden könnten.

So wie der Text heute angenommen wurde, bekommen Internetanbieter bald die Möglichkeit ihren Kunden einen bevorzugten Zugang anzubieten, was auf eine kostenpflichtige Überholspur für Inhalteanbieter wie Netflix oder Skype hinauslaufen dürfte. StartUps oder nicht-profitorientierte Initiativen geraten so in die Situation, mit ihren Diensten nicht mehr auf Augenhöhe mit etablierten Internetriesen konkurrieren zu können.

Nicht-kommerzielle Inhalte wie Blogs, Podcasts oder unabhängige Nachrichtenseiten wären dann für viele Kunden mit geringerem Datenvolumen nur schwerer erreichbar und daher deutlich unattraktiver. Viele Mobilfunkkunden kennen den Effekte heute schon, dass ihr mobiler Webzugang nur noch am Monatsanfang funktioniert—hier wäre es dann keine pauschale Verlangsamung, weil du es abgelehnt hast dir den teureren Vertrag andrehen zu lassen, sondern letztlich eine Veränderung der Inhalte des Internets gegen die einzelne Nutzer machtlos wären.

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„Die Rolle des Internets als Medium gesellschaftlicher Teilhabe, demokratischer Partizipation und wirtschaftlicher Innovation geht damit verloren. Was übrig bleibt ist ein System wie wir es bereits aus dem Kabelfernsehen oder der Telefonie kennen" sagte mir Thomas Lohninger von der Initiative „Save the internet", die gegen das Gesetz kämpft.

Die EU-Kommissarin für Digitale Agenda Neelie Kroes hatte eigentlich einmal zugesichert sich für Netzneutralität stark zu machen. Aber sie hat ihre eigene Position in den letzten Jahren in eine etwas andere Richtung upgadetet, wie ihr Vorschlag für die Verordnung eines europäischen Binnenmarktes für Telekommunikation deutlich macht. Einen der kritischsten Punkte in der schleichenden Neuausrichtung der politischen Linie des Industrieausschuss des EU-Parlaments, die durch seine Kooperation mit anderen Komitees noch weiter aufgeweicht wurde, bringt die „Save the internet"-Initiative auf den Punkt:

Der Vorschlag der EU-Kommission für eine Verordnung sieht vor, dass Internetprovider für jeden Onlinedienst zusätzliche Gebühren verlangen können. Diese Regelung für „Specialised Services" könnte zu einem Zwei-Klassen-Internet führen, in dem sich nur große Konzerne eine „Überholspur" im Internet leisten können.

Die multinationale „Save the Internet"-Aktion fordert daher, dass die Definition von spezialisierten Diensten entweder gestrichen oder geändert wird, im Internet sollten alle Datenpakete gleich behandelt werden. Die Aktivisten skizzieren einige erhebliche Gefahren für die Zukunft digitaler Freiheit:

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  • Wenn der Vorschlag nicht abgeändert wird, werden Internetprovider die Möglichkeit haben, ohne richterlichen Beschluss Inhalte im Internet zu blockieren. Internetprovider sollten nicht die Polizei des Internets spielen dürfen und sollten nicht über Inhalte entscheiden können.
  • Private Unternehmer dürfen im Netz nicht zu den Entscheidern über Netzsperren werden. Verbrechensbekämpfung dieser Art sollte nicht stattfinden dürfen.
  • Derzeit haben große Firmen wie Microsoft und Facebook dieselben Rechte wie kleine Blogs und Podcasts. Doch wenn die Definition von „Specialised Services" nicht verbessert wird, werden sich große Konzerne eine „Überholspur" auf der Datenautobahn kaufen können, während Start-Ups und Projekte wie Wikipedia auf der Strecke bleiben.

Mit der heutigen Entscheidung muss jedoch noch nicht das letzte Wort gesprochen sein. „Beim Abschlussreport gab es ein außerordentlich knappes Ergebnis. Damit wird klar, dass die Zustimmung auch innerhalb des Industrieausschusses knapp ist und im Plenum—welches oft nicht so industriefreundlich abstimmt—noch komplett offen ist." hofft Lohninger.

Damit der Gesetzesentwurf so ausfällt, dass er kein Zwei-Klassen-Internet befördert, ist es wichtig, dass die EU-Parlamentarier diese Entscheidung nicht unabhängig von den öffentlichen Bedürfnissen und Meinungen treffen. „Save the internet" rufen dazu auf, dass wir uns alle für die Freiheit des Internets einsetzen—und hat gleich einen Vorschlag inklusive Kontaktadressen parat: Melde dich bei deinen Parlamentariern; zwei Wochen bleiben noch um die Politiker zu überzeugen.

Berichte deinen Vertretern in Brüssel doch mal wie du die Sache siehst. Schreibe ihnen eine E-Mail oder ruf gleich mal dort an. Oder schicke mal wieder ein Fax. Die paar Cent Faxgebühren könnten sich in diesem Fall nachhaltig lohnen.