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Warum brennen in Deutschland permanent Flüchtlingsheime – und in Österreich (noch) nicht?

Wir sind der Frage nachgegangen, ob die FPÖ womöglich ein Mitgrund dafür ist, dass die Lage in Österreich (bis Dato) nicht eskaliert.

So hässlich die Hetze gegen Flüchtlinge in Österreich in den letzten Monaten auch war: Deutschland scheint aktuell noch ein gutes Stück tiefer im braunen Sumpf zu stecken. Es klingt deprimierend, aber man hat sich schon fast daran gewöhnt, Woche Für Woche Bilder von ausgebrannten oder ramponierten Flüchtlingsheimen aus unserem Nachbarland zu sehen.

[Heidenau](eidenau war dann das I-Tüpfelchen auf einem Riesen Haufen von gewalttätiger rechter Scheiße.) war nur das i-Tüpfelchen auf einem riesigen Haufen von gewalttätiger rechter Scheiße. Laut dem deutschen Innenministerium gab es alleine im ersten Halbjahr 2015 deutschlandweit über 200 Delikte auf Flüchtlingsunterkünfte, von denen 173 von rechten Tätern begangen wurden.

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Grafik: VICE Media

Aber wer die letzten Monate nicht hinterm Mond verbracht hat, weiß auch, dass der Ton, der von einem Teil der Österreicher angeschlagen wird, in die exakt selbe Kerbe schlägt und mehr als hetzerisch und fremdenfeindlich ist. Trotzdem scheint sich hier die offen zur Schau gestellte Gewalt gegen Fremde zumindest aktuell noch in Grenzen zu halten. Das soll nicht heißen, dass es solche Angriffe hierzulande gar nicht gibt—zumindest monatlich passieren auch in Österreich Übergriffe auf Asylquartiere, in manchen Fällen sind es sogar hier Brandanschläge. Aber selbst in Relation zur Landes- und Bevölkerungsgröße sind die Fälle in Österreich verschwindend wenige im Vergleich zu Deutschland.

Direkte Vergleichszahlen aus Österreich zu denen des deutschen Innenministeriums gibt es in dieser Form von offizieller Seite nicht. Der Pressesprecher des österreichischen Innenministeriums, Karl-Heinz Grundböck, erklärt mir, dass sowohl die Menge als auch das Ausmaß und die Qualität der Anschläge nur schwer mit jenen in Deutschland vergleichbar ist: „In einer gewissen Regelmäßigkeit finden aber auch in Österreich Übergriffe und Anschläge auf Asylheime statt, und wir nehmen das sehr ernst."

Grafik: VICE Media

Wenn man sich die Anschläge in beiden Ländern im Detail ansieht und vergleicht, wird einem tatsächlich bewusst, dass die rechte Gewalt in Deutschland —ohne die Angriffe in Österreich auch nur irgendwie klein reden zu wollen— eine um einiges heftigere Dimension zu haben scheint. Dabei sind die Ausgangspositionen in der Flüchtlingsthematik von beiden Ländern eigentlich sehr ähnlich, selbst wenn Deutschland aktuell als das beliebteste Flucht-Ziel innerhalb der EU gilt.

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Sowohl in Österreich als auch in Deutschland wird erwartet, dass die neu angekommenen Flüchtlinge im Jahr 2015 ungefähr ein Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen—in Österreich bedeutet das 80.000 Menschen, in Deutschland etwa 800.000. Wie kann es also sein, dass der Fremdenhass in Deutschland so viel öfter in offene Gewalt und Brandstiftungen umschlägt? Am fehlenden rechten Gedankengut liegt es offensichtlich nicht.

Über dieser Frage habe ich mich mit einem Mitarbeiter des Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands unterhalten, der uns um Anonymität gebeten hat. Er erklärt mir, dass er den Unterschied in einer in Deutschland—und hier vor allem im Osten—viel stärker ausgeprägten Neonazi-Szene sieht: „Die in Deutschland zunehmenden Anschläge auf Flüchtlingsheime sind großteils in der Quantität und der zum Teil vorhandenen Gewaltbereitschaft der rechtsextremen und neonazistischen Szene und ihrer Sympathisanten begründet", erklärt der DÖW-Mitarbeiter. „Zum Beispiel haben die Aktivitäten von Gruppen wie den Hooligans gegen Salafisten, die von der rechtsextremen Szene massiv unterstützt und mitgetragen worden sind, einen Einblick in die schon seit Jahren bekannte Gewaltpotenzial von Teilen dieser Szene gegeben."

In Österreich konnte eine Szene dieser Dimension nie Fuß fassen—auch wegen einem relativ rigorosen juristischen Vorgehen dagegen. „Es stimmt schon, dass aufgrund des Verbotsgesetzes und des Vorgehens der Behörden die österreichische Neonazi-Szene Probleme gehabt hat und sich nicht zu jener Stärke entwickeln konnte, wie es in Deutschland der Fall war. Somit sind auch die Aktivitäten und der Mobilisierungsgrad in Bezug auf mögliche Gewalttaten dementsprechend begrenzt", so der DÖW-Mitarbeiter weiter.

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Außerdem haben rechtsradikale Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland so etwas wie Tradition, so der DÖW weiter: „Dass Deutschland schon seit Jahrzehnten mit diesem Problem konfrontiert ist, zeigen die Beispiele Hoyaswerda und Rostock. Dort kam es schon Anfang der 90er-Jahre zu massiven Ausschreitungen gegen Asylwerber und aus dem Ausland kommenden Vertragsarbeitern."

Und noch ein wichtiger Faktor kommt in Österreich dazu: Menschen mit rechtem Gedankengut haben hier eine salonfähige Partei als Anlaufstelle, die fest im politischen Spektrum verankert ist. Das ist in Deutschland nicht der Fall. So paradox es klingen mag: Letztendlich könnte auch die fremdenfeindliche Politik der FPÖ ein wesentlicher Grund dafür sein, dass der zweifellos vorhandene Fremdenhass in Österreich nicht in offene Gewalt umschlägt. „Ein großer Teil der Leute, die eine ablehnende Haltung gegenüber Flüchtlingen und Ausländern haben, fühlen sich in ihren Einstellungen durch die Politik, die die FPÖ zu diesen Fragen betreibt, vertreten", meint der Mitarbeiter des DÖW.

„Wenn FPÖ-Funktionäre unter anderem von Umvolkung, Überfremdung, Ausländer-Überflutung und Asylbetrügern sprechen, fühlen sich auch Anhänger und Sympathisanten des rechtsextremen und neonazistischen Spektrums angesprochen. Sie identifizieren sich mit solchen Aussagen und sehen in der FPÖ eine Partei, die zumindest bei den Themen Ausländern und Flüchtlingen ihren Vorstellungen nahe kommt." Nicht umsonst habe es in der Vergangenheit bei Wahlen aus dieser Szene immer wieder Wahlaufrufe für die FPÖ gegeben. Dass die Pegida in Österreich nie Fuß fassen konnte, lässt sich laut dem DÖW-Mitarbeiter auf eine ähnliche Dynamik zurückführen. „FPÖ-Obmann Strache und andere freiheitliche Funktionäre haben damals ja auch erklärt, dass die FPÖ von Anfang an die wahre Pegida sei und man hier eine andere Pegida nicht brauchen würde."

Die These, dass die FPÖ das rechte Gewaltpotenzial schon alleine durch ihre Existenz zügelt, ist schon in den 90ern aufgekommen. Auch wenn Heinz-Christian Strache diesen Schluss bisher noch nicht öffentlich gezogen hat, sah sich sein Vorgänger Jörg Haider bereits vor etwa zwei Jahrzehnten als Grund dafür, dass in Österreich vergleichsweise wenig rechtsradikale Anschläge passieren. Die FPÖ habe „dazu beigetragen, dass es nicht zu ähnlich extremistischen Reaktionen in Teilen der Bevölkerung gekommen ist, wie in unseren Nachbarländern", meinte Haider damals. Das wirkliche Problem ist aber, dass rechter Hass—auch wenn er momentan noch großteils auf der verbalen Ebene passiert—auch in Österreich jederzeit schnell in Taten umschlagen könnte.

„In den letzten Jahren hat Hetze gegen Ausländer und Flüchtlinge in sozialen Netzwerken wie Facebook massiv zugenommen", sagt der Mitarbeiter des Dokumentationsarchivs. „Unter den Postings finden sich auch immer wieder Kommentare von österreichischen Usern, wo zu Gewalt bis hin zu Mord aufgerufen wird. Ein Großteil der in den letzten Jahren wegen NS-Wiederbetätigung und Verhetzung erfolgten Prozesse und Verurteilungen beziehen sich auf einschlägige Aktivitäten in Facebook." Wie schmal der Grat, solche verbalen Gewaltdrohungen auch in die Tat umzusetzen, sein kann, zeigen die Entwicklungen der letzten Monate in Deutschland ziemlich eindeutig.

Folgt Tori auf Twitter: @TorisNest