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Zwei Überlebende einer Suizidsekte pflegen noch immer liebevoll deren Website

Es ist fast 20 Jahre her, dass sich die Mitglieder von Heaven’s Gate das Leben nahmen, um auf die „Nächste Stufe“ aufzusteigen—doch ihre bizarren Botschaften leben noch heute im Internet weiter.
Der Gründer von Heaven's Gate, Marshall Applewhite, warnt die Menschen in einem Video vor dem bevorstehenden „Recycling" der Erde | Bild: Screenshot von Youtube

Der Massenselbstmord der UFO-Sekte Heaven's Gate ist wohl eines der bizarrsten und zugleich faszinierendsten Ereignisse der 90er Jahre. Doch auch fast zwei Jahrzehnte nach den merkwürdigen Todesfällen lebt das Vermächtnis der Sekte auf ihrer perfekt erhaltenen Retro-Webseite weiter, die aufopferungsvoll von zwei der überlebenden Sektenmitglieder gepflegt wird. Die beiden beantworten sogar E-Mail-Anfragen.

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Am 26. März 1997 fand die Polizei im kalifornischen San Diego die Leichen von 39 Mitgliedern der zu diesem Zeitpunkt noch unbekannten Sekte Heaven's Gate auf. Sie hatten allesamt Suizid begangen. Die Mitglieder der Sekte, die seit den 70er Jahren bestand, glaubten, ihre körperlichen Hüllen durch den Freitod verlassen zu können und hofften, so ein UFO besteigen zu können. Dieses, so glaubten sie, verbarg sich hinter dem Kometen Hale-Bopp, der sich zu diesem Zeitpunkt der Erde näherte.

Die Mitglieder von Heaven's Gate hatten einen unverwechselbaren Kleidungsstil. Sie trugen am Tag ihres Selbstmordes alle die gleichen schwarzen Hosen, schwarze Nike-Schuhe und bedeckten ihre Körper mit lilafarbenen Tüchern. Um ihrem Erdenleben ein Ende zu setzen, nahmen sie Apfelmus zu sich, das mit einer tödlichen Dosis Phenobarbital gespickt war und spülten es mit Wodka runter. Anschließend erstickten sie sich selbst mit Plastiktüten.

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Doch Heaven's Gate bestand nicht nur aus den 39 Sektenmitglieder, die hofften, durch Suizid eine intergalaktische Mitfahrgelegenheit zur nächsten Stufe, zum sogenannten „Next Level", zu landen. Eine Handvoll von Mitgliedern überlebte. Zwei von ihnen nahmen sich im Laufe des folgenden Jahres das Leben, doch zwei andere Mitglieder hatten einen sehr wichtigen Auftrag von der Sekte erhalten: Sie sollten das digitale Vermächtnis von Heaven's Gate erhalten.

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Auch wenn sie ihre Identitäten gegenüber Motherboard nicht bestätigten, handelt es sich bei den beiden Administratoren allem Anschein nach um das Ehepaar Mark und Sarah King. In einer E-Mail erklärten die beiden gegenüber Motherboard, dass sie mit der Aufgabe betraut wurden, nachdem sie zwölf Jahre lang Mitglieder von Heaven's Gate gewesen waren. Neben der Websitepflege haben sie reguläre Vollzeitjobs nach, nehmen ihren Webmaster-Auftrag jedoch sehr ernst. Anfragen auf der Seite beantworten sie normalerweise innerhalb eines Tages und sorgen dafür, dass die Website—vollgestopft mit Informationen über den Glauben der Sekte im markanten Neunziger-Jahre-Look—genauso weiterläuft, wie sie es auch schon im März 1997 tat.

Ein Screenshot der Heaven's Gate Webseite, die heute noch genauso aussieht wie im Jahre 1997

„Wir machen das, um die Informationen allen zur Verfügung zu stellen, die gerne etwas darüber lernen würden", erklärten die Administratoren. „Es ist in etwa so, wie Samen für die Zukunft zu säen, damit Leute sich mit den Prinzipien der Nächsten Stufe vertraut machen und sich auf eine mögliche Rückkehr vorbereiten können."

Die Webseite bietet ausführliche Informationen zum Glauben der Sekte, eine Warnung, Selbstmorde zu begehen—denn abgesehen von ihrer speziellen Situation, erachtet Heaven's Gate den Suizid als vergebliche Handlung—sowie gespenstische „Exit Statements" von einigen Mitgliedern, die sich das Leben nahmen.

Wenn man bedenkt, dass die Sekte in den 90er Jahren mit einem Webdesign-Unternehmen Geld verdiente, wirkt das wie ein angemessenes Vermächtnis. Doch was ist der Sinn und Zweck dahinter? Der Gründer von Heaven's Gate, Marshall Applewhite, der 1997 mit den anderen Mitgliedern Suizid beging, hatte vorhergesagt, dass die Erde kurz nach dem Tod der Sektenmitglieder „recycelt" werden würde, und dass der Selbstmord somit die letzte Möglichkeit sei, die sogenannte nächste Stufe zu erlangen. Wenn der Gruppensuizid jedoch wirklich die letzte Chance war, die Erde zu verlassen, warum zwang er dann zwei Anhänger, zurück zu bleiben und Botschaften für eine Welt zu bewahren, die Applewhites Ansicht nach dem Untergang geweiht war?

Gegenüber Motherboard gaben die Admins nur an, dass sie auf der Erde zurückgeblieben seien, weil sie den Auftrag dazu erhielten. In einem Interview, das sie letztes Jahr dem Reddit-Blog Upvoted gaben, gingen sie jedoch etwas mehr ins Detail: Sie erklärten, dass die Mitglieder auf der nächsten Stufe eines Tages zurückkehren würden und dass alle auf der Erde, die darauf vorbereitet wären, die Chance haben könnten, sich ihnen anzuschließen.

Motherboard fragte die Admins, ob sie ihre Aufgabe denn nicht wenigstens ein bisschen verfluchten: Schließlich wurden sie auf der Erde zurückgelassen, um eine vergessene Internetpräsenz zu betreuen und hatten dadurch ihre Chance verpasst, auf die nächste Stufe „aufzusteigen". Sie erklärten, dass sie darüber kein bisschen verärgert seien.

„Solche negativen Gefühle haben wir gar nicht empfunden. Das wäre eine sehr menschliche Reaktion", versicherten sie. „Keine Sorge, für uns wird schon gesorgt werden."