Vermummte Frauen halten "My Life is not your Porn"-Schilder hoch, in Südkorea ist die Definition von Sexualstraftaten so eng gefasst, dass viele Täter mit milden Strafen davonkommen
Frauen protestieren gegen Spycam-Pornos in Seoul am 4. August, 2018 | Foto: Ed JONES / AFP
Sex

Übergriffe mit Sperma sind ein echtes Problem in Südkorea

In dem Land gilt es bislang nicht als Sexualverbrechen, auf das Eigentum einer Frau zu ejakulieren. Täter kommen mit milden Strafen davon.
Junhyup Kwon
Seoul, KR
JL
illustriert von Jordan Lee

Warnung: Dieser Artikel enthält Schilderungen sexualisierter Gewalt.

Einen Kaffee mit Spucke, Abführmitteln, Aphrodisiaka und Sperma: Diese widerliche Mischung servierte ein Student in Südkorea seiner ahnungslosen Kommilitonin – aus Rache dafür, dass sie seine Avancen zurückgewiesen hatte. 

Insgesamt 54 Straftaten verübte der Student 2018 gegen die junge Frau. Laut Gerichtsunterlagen, die VICE einsehen konnte, schmierte er unter anderem heimlich Sperma über ihr Make-up, Spuren seines Speichels wurden auf ihrer Zahnbürste gefunden. Während einer Gruppenreise auf die Insel Jeju brach er in ihr Hotelzimmer ein und stahl ihre Unterwäsche, in die er dann masturbierte.

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Nachdem ein Kommilitone zufällig ein Tagebuch entdeckt hatte, in dem der Student seine Taten dokumentierte, kam es 2019 zum Gerichtsprozess. "Dieser Fall umfasst pervertierte und bizarre Verbrechen in einem Ausmaß, dass einem übel wird", so der Richter. Der Student wurde zu drei Jahren Gefängnis verurteilt, allerdings nicht für Sexualverbrechen. Stattdessen musste er sich unter anderem wegen "Diebstahls, Einbruchs, vorsätzlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung" verantworten.


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Das Urteil sorgte für eine Welle der Entrüstung im Land. Der Fall steht für einen verstörenden Trend, der in Südkorea "Sperma-Terror" genannt wird. Das sind Taten, bei denen auf das Eigentum von Frauen ejakuliert und in manchen Fällen uriniert wird. Einigen Beschuldigten wurde sogar vorgeworfen, ihr Sperma in Behältern an Frauen geschickt zu haben. Allerdings handelt es sich nach südkoreanischem Recht dabei nicht um Sexualverbrechen. 

Aktivistinnen, Abgeordnete und Opfer wollen eine Gesetzesänderung anstoßen, damit solche Taten in Zukunft auch als Sexualstraftaten eingestuft werden können – und nicht nur als weniger schwere Vergehen wie Sachbeschädigung. Das geschieht zu einer Zeit, in der Feminismus und Geschlechter-Gerechtigkeit in Südkorea heftigen Gegenwind erfahren.

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Bei einem Prozess vergangenes Jahr kam ein Mann mit einer Geldstrafe davon, nachdem er schuldig gesprochen worden war, sechsmal in die Kaffeetasse einer Kollegin ejakuliert zu haben. In der Urteilsbegründung hieß es, die Handlungen des Mannes hätten "die Tasse ruiniert".

"Bei diesen Taten handelt es sich zweifellos um Gewalt von Männern an Frauen. Das ist nicht einfach nur ein sexueller Fetisch", heißt es in einem Statement der Frauenrechtsgruppe Haeil. "Diese ganzen perversen Handlungen, von denen wir hören, sind getrieben von toxischer Männlichkeit, Kontrollzwang und dem Denken, dass Frauen nicht gleichwertig sind." 

Und weiter: "Die Opfer wurden selbst im öffentlichen Raum angegriffen, einfach weil sie Frauen waren und weil in Korea leider die meisten Opfer still bleiben. Am Ende sind sie es nämlich, die von den Menschen im Internet gedemütigt und bestraft werden."

Ein Illustration mit einer wütend aussehenden Frau, in deren Richtung ein Becher mit Sperma ausgeschüttet wird

Illustration: Jordan Lee / VICE

Luna Yoon, eine 31-jährige Geschäftsfrau aus Seoul, erinnert sich an den Fall eines Studenten, der dabei erwischt wurde, Sperma auf die Sneaker einer Kommilitonin zu schmieren. "Ein Freund verlinkte mich unter einem Artikel dazu, und ich war angewidert", sagt Yoon.

Viel verstörender fand sie allerdings die Reaktion auf den Fall.

In den Kommentaren spekulierten User über das Aussehen des Opfers. Manche machten sogar Witze darüber, wie "gesund" der Täter gewesen sein muss. "Andere schrieben anzügliche Kommentare über das Opfer und lachten über den Fall. Einer meinte sogar, dass das Opfer doch eine Chance auf ein erfülltes Sexleben haben könnte, wenn sie dem Typen eine Chance geben würde", so Yoon.

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Die Online-Kommentare ließen sie sogar zögern, über ihre eigenen Erfahrungen zu sprechen.

Bei einer Zugfahrt 2015 bemerkte Yoon, dass ein Mann im Abteil sie beobachtete. Sie dachte sich allerdings nicht viel dabei und schlief ein. Erst in Seoul, der Endstation, wachte sie wieder auf.

Sie stand auf und nahm ihren Rucksack, als sie einen klebrig-feuchten Fleck an der Vorderseite entdeckte. "Es war ekelhaft", sagt Yoon. Sie konnte es nicht mit Sicherheit sagen, aber allein der Gedanke, dass es vielleicht Spermas sein könnte, ließ ihr keine Ruhe.

"Was auch immer es war, es hat mich richtig angeekelt", sagt Yoon. Sie warf den Rucksack sofort weg. "Das war sexuelle Belästigung", sagt sie. "Ich wusste nicht, ob mir jemand glauben würde, also habe ich es für mich behalten und versucht, so wenig wie möglich daran zu denken."

Eine Illustration mit einer Ermittlungsakte auf der drei Fotos mit spermabesudelten Tassen und Schuhen sind

Illustration: Jordan Lee / VICE

Der in Singapur lebende Psychotherapeut Andrew da Roza ist auf die Behandlung von Sexsüchtigen spezialisiert. Eine Reihe von Faktoren könnten eine Person dazu bringen, solche Taten zu begehen, sagt er.

Einige litten vielleicht unter psychischen Störungen wie zwanghaftem Sexualverhalten, sozialen Angststörungen oder Depressionen, welche es ihnen erschwerten, gesunde Beziehungen zu pflegen oder normale Interaktionen mit potenziellen Partnerinnen und Partnern zu initiieren.

"Ein sogenannter Sperma-Terrorist kann jemand sein, der isoliert und einsam ist und über geringe soziale Fähigkeiten verfügt – jemand, der zwanghaft Pornografie und Online-Plattformen nutzt, die toxische Männlichkeit und Sexualvergehen befürworten oder sogar feiern", sagt da Roza zu VICE.

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"Sie leben in einer Fantasiewelt, in der sie Frauen als Objekte und nicht als Menschen wahrnehmen."

Der Student, der seiner Kommilitonin die Kaffeetasse mit der abscheulichen Mixtur servierte hatte, gab vor Gericht an, durch die Arbeit und andere Aufgaben "extrem gestresst" gewesen zu sein. Gerichtsunterlagen zeigen allerdings auch, dass die Zurückweisung der Studentin ebenfalls Motivation für seine Taten war.

"Sie leben in einer Fantasiewelt, in der sie Frauen als Objekte und nicht als Menschen wahrnehmen. Frühere Zurückweisungserfahrungen können ein Grund dafür sein, dass sie keine echten Beziehungen zu Frauen aufbauen können", so da Roza.

Der Therapeut ergänzt, dass bei Tätern mit einem zwanghaften Sexualverhalten neben psychischen Faktoren auch körperliche Störungen eine Rolle spielen können – etwa Erektionsstörungen, vorzeitige Samenergüsse und ein geringer Sexualtrieb. Das macht gesunde Sexualbeziehungen mit anderen Menschen für die Männer unbefriedigend und anstrengend.

Ein rotes Schild mit der Aufschrift "My Life is Not Your Porn" an einer Absperrung, dahinter stehen Menschen

Ein Protestschild bei einer Demonstration gegen Spycam-Pornos in Seoul | Foto: Jung Hawon / AFP

In der konservativen Gesellschaft Südkoreas ist Feminismus ein "schmutziges Wort", die MeToo-Bewegung traf hier auf heftigen Widerstand. Auch wenn es Verbrechen wie den sogenannten Sperma-Terror auch in anderen Ländern gibt, geschehen sie in Südkorea in einer Phase, in der das Land weiterhin mit Veränderungen hadert, die andere Teile der Welt bereits vollzogen haben.

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Symptomatisch dafür sind auch die Spy Cams, die ebenfalls ein großes Problem im Land darstellen. Damit sind Kameras gemeint, die heimlich in öffentlichen Toiletten und sogar Wohnungen angebracht werden, um Frauen zu filmen. "Es handelt sich in weiten Teilen immer noch um eine Gesellschaft, die Männer über Frauen stellt und diese Ungleichheit lange Zeit in ihren sozialen Gepflogenheiten wie Gesetzen unterstützt hat", sagt Journalistin Jean Lee, Korea-Expertin am Wilson Center in Washington. In dem Land spiele sich ein "moderner Kulturkampf" ab, in dem die Männer sich weigern, den Wandel der Machtdynamik zu akzeptieren.

"Südkorea ist langsam, wenn es darum geht, die Geschlechter-Ungleichheit zu erkennen und geradezurücken. Das sieht man auch an den Zahlen: Das Land hat zum Beispiel den größten Gender-Pay-Gap aller OECD-Länder. Und wir sehen zunehmend Lücken im Rechtssystem, welches es lange Zeit versäumt hat, Frauen adäquat zu schützen", sagt Lee.

"Aber hoffentlich wird sich das ändern, da immer mehr Menschen das Unrecht ansprechen, dem sich Frauen ausgesetzt sehen", sagt die Journalistin.

Auch wenn sich das Problem nur schwer in absolute Zahlen packen lässt, so zeigt ein aktueller Polizeibericht, den VICE einsehen konnte, 44 Fälle im Zusammenhang mit sogenanntem Sperma-Terror zwischen 2019 und Juli 2021. 37 davon gingen als Anzeigen bei der südkoreanischen Staatsanwaltschaft ein. "Das sind eindeutige Sexualstraftaten, aber die Bestrafung ist eine andere Sache", schreibt das feministische Portal The Women's News in einem Bericht. "Sperma-Terroristen benutzen das Gesetz als Schild, um behaupten zu können, dass sie keine Sexualstraftat begangen haben. Die Gerichte akzeptieren das und verhängen lediglich milde Strafen."

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Mehrere schwarzgekleidete asiatische Frauen halten schwarze Schilder mit der Aufschrift "#MeToo"

Frauen bei einer Demonstration in Seoul | Foto: Jung Yeon-je / AFP

Abgeordnete haben sich jetzt daran gemacht, die rechtlichen Schlupflöcher zu schließen, die es den Tätern bislang erlauben, mit milden Strafen davonzukommen, anstatt für Sexualstraftaten angeklagt zu werden.

Shailey Hingorani von AWARE, einer Singapurer Organisation für Geschlechter-Gerechtigkeit, sagt, dass die Behörden die weite Spanne von Sexualverbrechen verstehen müssten.

"Sexuelle Gewalt ist viel mehr als nur das Körperliche. Sie kann verbal oder visuell stattfinden – und im Fall des sogenannten Sperma-Terrors auch Handlungen umfassen, die das Eigentum des Opfers betreffen: Repräsentationen ihres Selbst und ihrer Identität", sagt Hingorani. 

"In Südkorea muss ein körperlicher Übergriff oder eine Einschüchterung stattgefunden haben, damit eine Handlung als Sexualverbrechen anerkannt werden kann. Das ist eine sehr rudimentäre und veraltete Definition von sexueller Gewalt."

Die forensische Psychologin und Dozentin Lee Sue-jung von der Kyonggi University sagt gegenüber VICE allerdings, dass es aufgrund der Komplexität der Fälle nicht so einfach sei, Sperma-Terror-Fälle als Sexualverbrechen anzuerkennen. Elemente wie die Intention des Täters und psychische Traumatisierung könnten vor Gericht schwer zu belegen seien, sagt sie.

"Ich bin der Meinung, dass psychisches Trauma in diesem Land bislang nicht ausreichend anerkannt wird."

"Für die Polizei ist es leicht, die Verdächtigen ausfindig zu machen, da es eine eindeutige DNA-Spur gibt", sagt sie. "Schwieriger ist es, eindeutig zu beweisen, dass die Tat vorsätzlich geschah – insbesondere wenn ein Verdächtiger glaubhaft machen kann, dass es keine Intention gegeben habe."

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Lee hat in der Vergangenheit an mehreren wichtigen Prozessen mitgearbeitet und dabei geholfen, ein Anti-Stalking-Gesetz auf den Weg zu bringen. Sie sagt, dass die Traumatisierung der Opfer eine nicht zu unterschätzende Rolle spiele. Auch wenn Abgeordnete auf eine Gesetzesänderung hinarbeiten, so hätten Betroffene noch einen weiten Weg vor sich. Als Beispiel verweist sie auf die Fälle von Soldatinnen, die Suizid begingen, nachdem sie geglaubt hatten, Opfer eines Sexualverbrechens geworden zu sein. "Ich bin der Meinung, dass psychisches Trauma in diesem Land bislang nicht ausreichend anerkannt wird", sagt Lee.

"Die Opfer zu schützen und die Täter zu bestrafen, ist nicht immer das gleiche. Wir sollten die Gesetzesänderungen sorgsam angehen."

Die feministische Gruppe Haeil ist davon überzeugt, dass das Problem nur schlimmer wird, wenn nicht bald adäquate Maßnahmen ergriffen werden. Frauen würden sich noch weniger trauen, die Taten öffentlich zu machen.

"Frauen sehen mit Sorge die niedrigen Strafen und den Gegenwind aus der Öffentlichkeit. Sie zögern, diese Verbrechen zu melden, weil sie befürchten, dass ihre Darstellungen als Klatsch weitergegeben werden oder als Pornografie aufgefasst werden. Und das alles nur, weil es Männer gibt, die ihre Sexualität nicht unter Kontrolle haben."

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