Verschlüsselung ist kein Verbrechen
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Verschlüsselung ist kein Verbrechen

Nach dem Charlie Hebdo-Attentat wollen übermotivierte Politiker die Nutzung von Krypto-Tools verbieten. Diese Reaktion ist verlogen und eine Gefahr für unsere Demokratie, kommentiert IT-Sicherheitsexperte Linus Neumann vom CCC.

Die Opfer aus der „Charlie Hebdo"-Redaktion waren kaum beigesetzt, als David Cameron, Barack Obama und Thomas de Maizière begannen, auf den Gräbern der Toten herumzutrampeln. Alle drei verkündeten mehr oder weniger wortgleich, dass man verschlüsselte Kommunikation nicht länger tolerieren könne. Der deutsche Innenminister De Maizière ​erklärte beim „Internationalen Forum für Cyber-Sicherheit", dass es deutschen Behörden erlaubt sein müsse, „verschlüsselte Kommunikation zu entschlüsseln oder zu umgehen." David Cameron versprach unterdessen, im Falle seiner Wiederwahl kryptographisch geschützte Kommunikation gleich ​ganz zu verbieten. Alles zu unserem eigenen Schutz, Sie wissen schon.

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Wie absurd ist das denn? Ausgerechnet diejenigen, die uns seit Jahren so anlass- wie lückenlos überwachen lassen, wollen uns jetzt per Gesetz unsere letzten digitalen Schutzmöglichkeiten verbieten—ausgerechnet diejenigen, die kein Gesetz, das sie in ihre Schranken weist, jemals gewürdigt haben. Was wohl los wäre, wenn ​Wladimir Putin einen solchen Vorschlag aus dem Hut zaubern würde?

Dabei ist es nicht so, als wäre die Idee einer Anti-Krypto-Gesetzgebung neu oder gar eine rationale Reaktion der sogenannten Sicherheitspolitik auf das Charlie-Hebdo-Attentat. Überwachungsextremistische Schläfer hatten diese Pläne seit Jahren in ihren Schubladen liegen. Dass die Charlie-Hebdo-Mörder keinerlei Verschlüsselung genutzt haben und außerdem schon seit Jahren auf den Beobachtungslisten der Geheimdienste standen, spielt nun keine Rolle. Es gilt das PEGIDA-Gebot: Die irrationale Angst der Bevölkerung schüren und ausnutzen, bevor sie wieder abkühlt.

Der Kampf gegen die Kriminalisierung von Kryptographie ist ein Kampf um die Demokratie.

Evidenzbasierte Politik hat in dem politischen Regulierungswahn gegen User-ermächtigenden Tools noch nie eine Rolle gespielt—und im heraufziehenden Krypto-Krieg 3.0 droht sich das nun zu wiederholen. Die Frage, ob die Nutzung von Werkzeugen wie PGP, ​OTR oder anderen Krypto-Tools auch in Zukunft erlaubt sein wird, ist nicht weniger als ein Kampf um unsere Demokratie, wie mein Kollege Frank Rieger zu Recht ​anmerkt.

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Natürlich werden wieder ein paar ​unbelehrbare Freiheitsaktivisten nicht einsehen können, dass all das nur zu ihrem eigenen Schutz geschieht. Aber wer verschlüsselt, macht sich verdächtig, hat etwas zu verbergen und plant wahrscheinlich Anschläge oder mindestens Drogenkonsum.

„Wer etwas verbirgt, der führt nichts Gutes im Schilde."—Dieses altbekannte Anti-Privatsphären-Mantra wird zur politisch festgeschriebenen Leitlinie; das ist so unlogisch wie gefährlich. Und doch ist dieser Ansatz nur die konsequente Weiterführung der Denkweise Angela Merkels, die sich einerseits empört, als Regierungschefin einer der einflussreichsten Industrienationen das Ziel von Geheimdienstspionage zu sein; andererseits eine anlasslose Massenüberwachung des ganzen Landes für völlig normal hält. Aus dieser verqueren Sicht ist es nur konsequent, den Bürgern verbieten zu wollen, sich der Überwachung mit der Macht der Mathematik zu entziehen (​wie es aktuell auch das US-Justizministerium gesetzlich festschreiben möchte).

Werden notorischen PGP-Nutzern nun bald die Türen eingetreten oder Internet-Strafzettel ausgestellt? Eher nicht. Dieser politische Angriff zielt zuerst auf unsere Diensteanbieter und dann auf die Integrität unserer Rechner.

Es ist sicher? Verbietet es!

Spätestens ​seit Erfindung der De-Mail wissen wir: Wenn unsere Regierung ein System als „sicher" anpreist, dann ist die Hintertür garantiert. Aber erst Edward Snowden brachte kommerzielle Anbieter dazu, sich wirklich um die Sicherheit ihrer Kunden zu kümmern. Google warf die NSA raus, die sich trotz umfassender Kooperation noch hintenrum in ihre Backbones gehackt hatte. Apple schützt nun seine Geräte gegen die gängigen Angriffe des FBI. Threema wurde zum Tabellenführer im App Store. Und selbst WhatsApp führte Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ein.

Damit soll nach Wunsch der von Geheimdiensten sicherheitspolitisch am Nasenring geführten Regierungen jetzt Schluss sein. Wer einen Kommunikationsdienst anbietet, der soll dem Staat gefälligst Zugriff darauf geben. Verschlüsselte Dienste müssten dazu ja nur eine Backdoor einbauen – so einfach ist das. Auch bisher schon können die meisten Kommunikationsdienste problemlos abgehört werden. Nur nutzen Terroristen wohl einfach keine WhatsApp-Gruppen, um sich zum Morden zu verabreden.

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Aber wir nutzen WhatsApp. Wir sind es, die per Threema-Nachricht Bestellungen für den Kurztrip am Wochenende durchgeben. Wir sind es, die auf Facebook die letzten Vorbereitungen zur Pegida-Gegendemo treffen. Und wir sind es, die per iMessage Fotos der neugekauften Unterwäsche an unsere Geliebten schicken. Wir sind die Opfer—wieder einmal: Die friedlichen und freiheitsliebenden Menschen, die aus guten Gründen keinen Bock auf Minority Report haben.

Schutz vor Terror? Allein zur Strafverfolgung wurden im ​Jahr 2013 fast 24.000 Telefon- und Netzanschlüsse mit hunderttausenden Gesprächen abgehört. Fast die Hälfte davon galt der Verfolgung von Drogenhandel. Terror hingegen kommt in der Statistik gar nicht vor.

Hat jemand "Staatstrojaner" gesagt?

Wirksame Verschlüsselung, die auch die NSA trotz größter Mühe nicht knacken kann, existiert—und Zahnpasta bekommt man schwerlich zurück in die Tube. Was macht Big Brother also mit den Widerspenstigen, die ihren Diensteanbietern nie getraut haben und weiterhin auf PGP, OTR und TextSecure setzen? Würde es sich da nicht anbieten, deine Unterwäsche-Fotos schon beim Entstehen abzufangen, direkt auf deinem Computer, noch während du einen anregenden und phantasievollen Kommentar dazu verfasst?

Auf deinen alten Windows-Kisten tummeln sich dank fehlender Updates und deinem Hang zu Raubkopien und extravaganter Erotik ohnehin schon russische Online-Banking-Betrüger, Wirtschaftsspione und DDoS-Helferlein vom Lizzard Squat. Wieso sollte da nicht noch ein bisschen RAM für deine staatlichen Freunde und Helfer übrig sein? Zu deinem eigenen Schutz natürlich!

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Seit 2008 genießen wir das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität unserer informationstechnischen Systeme. Gegen dieses Grundrecht wird sich der politische Angriff nun richten. Denn geschaffen wurde es im Streit um das Umgehen von Verschlüsselungsmaßnahmen und anlässlich der Frage, ob Behörden heimlich unsere Rechner infiltrieren dürfen. Sie dürfen es nicht—und haben es ​doch getan.

Und wofür wurde zum Beispiel der rechtswidrige bayerische Staatstrojaner eingesetzt? Es ging natürlich um Drogenhandel. Wieder einmal die Terrorismusbekämpfung als Argument für eine Einschränkung unserer ohnehin bedrohten Freiheit anzuführen, ist einfach nur verlogen.

Linus Neumann ist einer der Sprecher des Chaos Computer Clubs, arbeitet in Berlin im Bereich IT-Sicherheit und betreibt zusammen mit Tim Pritlove den wöchentlichen Podcast Logbuch: Netzpolitik

Diskutiert mit ihm auf Twitter unter ​@linuzifer.

Homepagebild: Zwei Enigma Rotoren, Bild: ​Wikipedia, TedColes | Gemeinfrei