FYI.

This story is over 5 years old.

Tech

Das Vermächtnis von Aaron Swartz

Vor einem Jahr beendete Hacker und Online-Aktivist Aaron Swartz sein Leben. Sein Vermächtnis lebt weiter.
Bild: Sage Ross; Wikipedia. Lizenz: CC BY SA 2.0

Am 11. Januar 2013 erreichten die Bundesstaatsanwälte endlich das, woran sie lange gearbeitet hatten—durch eine aggressiv geführte Kampagne, die darauf abzielte, Verurteilungen gegen Top-Hacker zu erwirken, gelang es den Behörden, den Internetaktivisten und Technologen Aaron Swartz endgültig zu demoralisieren. Konfrontiert mit 35 Jahren Haft, mehreren Tausend Dollar Geldstrafe und einer langandauernden Depression beging Swartz Selbstmord. Damit verstummte eine der klarsten Stimmen des Online-Aktivismus.

Anzeige

Swartz der Mitbegründer von Demand Progress und Entwickler des RSS-Feeds sowie von Creative Commons und Infogami (der Seite, die mit Reddit verschmolz) hatte die US-Regierung in der Auseinandersetzung um den JSTOR-Datenklau bewusst herausgefordert. Als Swarz seinen Laptop im Schaltraum des MIT aufstellte und anfing, 4,8 Millionen wissenschaftliche Aufsätze herunterzuladen, tat er dies in der Überzeugung, dass die Menschen seines technischen Sachverstands, in der Pflicht seien, allen anderen Menschen den Zugang zum Wissen der Welt zu eröffnen. Swartz´s Tat war die praktische Umsetzung seines „Guerilla Open Access" Manifests. Der Versuch der US-Regierung an Swartz ein Exempel zu statuieren, hat nicht funktioniert—von einer lebenden Internet-Legende ist Schwarz nun zu einem virtueller Märtyrer geworden.

Letzten Freitag hat eine Koalition aus Aktivistengruppen, Technologiefirmen und Webseitenbetreibern zu einem „weltweiten Tag der Aktion" gegen die Massenüberwachung durch die NSA aufgerufen. Dieser Tag des Protests wird am 11. Februar dieses Jahres stattfinden und „The Day We Fight Back" heißen. Organisiert wird diese Aktion von Demand Progress, Electronic Frontier Foundation, Fight for the Future, Reddit, Mozilla, BoingBoing und anderen Gruppen. Dieser Tag ist Swartz´s Leben gewidmet, versteht sich aber auch als Feier des erfolgreichen Protests gegen den Stop Online Piracy Act (SOPA), den Swartz vor zwei Jahren mit ins Leben rief.

Anzeige

An diesem Tag werden Online-Aktivisten eine Anruf-und Emailwelle auf US-Behörden loslassen, um damit gegen die NSA-Überwachung zu protestieren. In ähnlicher Weise wie beim SOPA-Blackout (2012) werden Webseitenbetreiber mit Bannern ihre Nutzer dazu aufrufen, diesem Kampf beizutreten und ihn gegen die offiziellen Stellen zu führen. Von Technologiefirmen erwartet man, dass sie ihre Mitarbeiter ebenfalls dazu auffordern. Die Koalition bittet alle Internet-Nutzer sich an der Aktion zu beteiligen. Dabei kannst auch du deiner Kreativität freien Lauf lassen: Erstelle doch einfach ein paar lustige Meme und schick sie weiter an deine Freunde oder verändere einfach deinen Avatar in den sozialen Netzwerken deines Vertrauens, und zwar so, dass die Botschaft des Protests für jeden, der deine Seite besucht, klar wird. Schon mehr als 1000 Webseiten haben sich für diese 24-stündige Protestaktion angemeldet.

„Die größte Bedrohung für ein freies Internet und eine pluralistische Gesellschaft besteht heute im Überwachungsregime der NSA," sagte David Segal, der Chef von Demand Progress in einem offiziellen Statement. „Wenn Aaron noch lebte, würde er an vorderster Front gegen die Überwachungspraktiken der NSA kämpfen, die dazu führen, dass Menschen immer größere Schwierigkeiten haben, unbeschwert miteinander zu kommunizieren."

"Ich glaube, dass alle digitalen Proteste zum Thema Online-Freiheit von da an immer mit dem SOPA-Fall verglichen wurden. Dieser Protest erreichte eine Dimension, die vielleicht nie wieder erreicht werden kann."

Anzeige

Holmes Wilson von Fight for the Future sieht „The Day We Fight Back" zusammen mit dem USA-Freedom-Act—dem Gesetzt, das die NSA-Überwachung einschränken soll—als eine Möglichkeit, ein klares Signal zu setzten. „Irgendwie müssen wir die Sache ins Rollen kriegen. Die Initiatoren des Gesetzes müssen sehen, dass es genügend Menschen gibt, die für das Gesetz stimmen werden. Wir müssen die Sache ganz groß in die Öffentlichkeit bringen," sagte Wilson. „Anders ausgedrückt—es gibt so viele Wege, sich zu engagieren. Daher besteht unsere jetzige Aufgabe darin, die Menschen, die seit Snowdens Enthüllungen diese vielen Informationen über die NSA-Überwachung buchstäblich in sich aufgesaugt haben, dazu zu bringen, ihr Wissen durch die verschiedensten Aktionen zu kanalisieren. Unsere Botschaft lautet: Macht was! Versucht´s einfach!"

In vielerlei Hinsicht hat der SOPA-Blackout diesen NSA-Protest überhaupt erst möglich gemacht. Das war nämlich der Moment, als sich die Menschen gegen das zusehends kommerzialisierte und äußerst regulierte Internet massiv aufglehnt haben. Die Aktion hat viele Nachfolgerproteste der letzten Jahre inspiriert (ACTA ist wohl eines der bekannteren Beispiele). Doch Swartz´s Vermächtnis erkennt man auch in dem öffentlichen Aufschrei zum NSA-Skandal.

Nach dem SOPA-Protest bekamen die Aktionen eine ganz andere Qualität und einen viel schärferen Tenor. Der SOPA-Blackout bildete das Gegenstück zu den Aktivitäten von Anonymous, die in den letzten Jahren mit Hack- und DDoS-Attacken von sich reden machten. Es war aber auch eine neue Form des Online-Aktivismus und der direkten Einmischung. Der SOPA-Protest wurde zu einem Richtwert für alle nachfolgenden Online-Proteste. In den Worten von David Segal, dem Mitbegründer von Demand Progress: „Ich glaube, dass alle digitalen Proteste zum Thema Online-Freiheit von da an immer mit dem SOPA-Fall verglichen wurden. Dieser Protest erreichte eine Dimension, die vielleicht nie wieder erreicht werden kann. Außerdem entwickelten sich daraus neue Allianzen und Taktiken, die wir auch heute sehen. Aaron stand im Zentrum dieser Entwicklung."

Anzeige

Doch im Gegensatz zu den klassischen Revoluzzern und Aufrührern ging es ihm dabei nicht um die Stärkung seiner eigenen Macht. Hierarchien interessierten ihn nicht. Für ihn war die Kreativität die treibende Kraft hinter Online-Protesten. „Ein Grund warum der SOPA-Protest so unwirklich, ja fast transzendent, erschien, lag darin, dass—wie Aaron es einst ausdrückte—jeder sich zum Helden seiner eigenen Geschichte machen konnte," bemerkte Segal. „Wir wollten, dass sich bei dieser Bewegung jeder wie ein Anführer fühlte und auch tatsächlich einer sein konnte."

Es war dieses einzigartige Talent für Kommunikation, das nicht nur die Leute um Swartz herum inspirierte, sondern auch diejenigen faszinierte, die ihn nur aus der Ferne kannten. Der Entwickler und Online-Aktivist Sina Khanifar gehört zu den Letzteren. „Aaron beging Selbstmord als ich grade anfing, mich für Aktivismus zu interessieren. Obwohl ich schon vorher einige seiner Essays gelesen hatte, folgte ich seinem Beispiel, erst nachdem er gestorben war. Fast jeder, mit dem ich heute zusammenarbeite, kannte ihn entweder oder hat mit ihm zusammengearbeitet. Und auch heute noch spüre ich seine Gegenwart, bei allem was ich tue."

Die Preview-Banner zu "The Day We Fight Back".

Khanifar nimmt seine Inspiration aus Swartz´s „aufrichtiger Hingabe" an den Versuch, die nicht mehr funktionierende Bereiche der Gesellschaft zu reformieren. Für Swartz bedeutete das: Schaffung eines allgemeinen Zugang zu wissenschaftlicher Literatur oder auch die Entwicklung besserer demokratischer Partizipationsmöglichkeiten über das Internet. Für ihn gab es viele Ziele und viele Möglichkeiten diese zu verwirklichen. „Wenn man sich seine Aufsätze aus Teenagerjahren anschaust, sieht man, dass er schon damals seine Mitschüler dazu animierte, gegen ein Schulsystem zu protestieren, das seiner Meinung nach nicht funktionierte," bemerkte Khanifar. Ob es nun Open-Access, die Debatte zu den Urheberrechten im Internet oder die Online-Überwachung war, Swartz hatte eine sehr große thematische Bandbreite. Auch über die Rolle der NSA wusste er Bescheid, viele dieser Anekdoten finden man verteilt in seinen Arbeiten.

Anzeige

„Die Art und Weise wie Aaron DeadDrop entwickelt hat, war für mich immer eine große Inspiration und auch der Grund, warum ich Taskforce.is erstellt habe," sagte Khanifar. „Wir versuchen die Sachen zu beenden, die er angefangen hat. Vor allem wollen wir Victorykit—eine Art Werkzeugkiste für Aktivisten—fertigstellen. Dieses Online-Tool erlaubt es, jedem Aktivisten seinen Online-Protest beinahe ohne Gegenwehr auszuführen." Bei Taskforce.is entwickeln wir zur Zeit einen Anruf-Widget für „The Day We Fight Back", diesen kann jeder auf seiner Webseite installieren, um den US-Kongress mit Anrufwellen zu überschwemmen. Das ist die Art Online-Tool, die Swartz sicher selbst gerne entwickelt hätte.

„Über die Jahre ist Aaron zu einem engen Freund von Tiffiniy und mir geworden," sagte Holmes. „Wir mochten es mit ihm abzuhängen in San Francisco, Boston oder Washington D.C. Im Grunde orientierte sich unser Plan für Fight for the Future an Aarons Arbeit für „Bold Progressives" und auch während des SOPA-Protestes half er uns dabei, unsere Webseite in einigen kritischen Momenten wieder online zu kriegen. Das Online-Tool, mit dem wir am American Censorship Day während des SOPA-Protests Emails an den Kongress schickten, wurde von Aaron entwickelt."

„Ich denke, Aaron war auch der Grund, warum ich Watchmen gelesen habe," erinnert sich Holmes. „Tiffiniy und ich haben letzten Monat unabhängig von einander angefangen, Infinite Jest (Unendlicher Spaß) zu lesen, hauptsächlich weil wir beide an Aaron denken mussten—das war eines seiner Lieblingsbücher."

Anzeige

"Bis jetzt hat niemand Aarons Rolle einnehmen können. Sein Tod hat eine Lücke hinterlassen, die sich niemand zu füllen traut."

Aus heutiger Perspektive, sagt Segal, hätte Swartz es wohl nicht verstanden, warum er solchen Menschen wie Khanifar und Holmes so viel bedeutet—was seinen Selbstmord nur noch tragischer macht. Denn diese Melancholie, ähnlich der von Infinite Jest Autor David Foster Wallace, zeigt, dass Swartz nie wirklich begriff, wie sehr ihn die Menschen geliebt haben. „Für Tausende von Menschen überall auf der Welt war Swartz´s Arbeit wichtig. Darin sahen sie ein Beispiel, dem sie nacheifern wollten," sagte Segal, der in den letzten 48 Stunden von Emails geradezu überrollt wurde. „Ich konnte nur einen Bruchteil der Emails lesen, aber auch so habe ich gesehen, dass Menschen auf der ganzen Welt Trauerfeiern für Aaron abhalten wollen, selbst in Indien. Ich glaube, dass er den Blick vieler Technologen verändert hat. Heute betrachten sie ihre Arbeit und die Welt, in der sie leben, mit einem viel stärkeren politischen Bewusstsein."

Doch am traurigsten ist Segal, dass Aaron nicht mehr am Leben ist und den Kampf gegen die NSA-Überwachung nicht mehr miterleben kann. Eine ihrer letzten Unterhaltungen drehte sich um den Überwachungsstaat und die Spionageprogramme, die Snowden später enthüllte. Sie sprachen davon, wie man dieses Problem ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken und eine Gegenbewegung in Gang setzen könnte. Schon bevor Snowden den Skandal enthüllte, wussten Segal und Swartz „in groben Zügen", was die NSA unter dem Deckmantel der kollektiven Gefahrenabwehr betrieb—und dies verdankten sie nicht zuletzt den vorher oft überhörten Warnungen der US-Senatoren Russ Feingold, Ron Wyden und Mark Udall sowie der Arbeit der ACLU und der EFF.

Segal glaubt, dass sich Swartz im Zentrum der Protestbewegung gegen die NSA wiedergefunden und alles unternommen hätte, um die die flächendeckende Überwachung der NSA zu stoppen. Seine technische Raffinesse allein hätte viel dazu betragen können, der Datenanhäufung seitens der Regierung und des kommerziellen Sektors entgegenzuwirken. Und obwohl es reichlich sinnlos erscheint, davon zu sprechen, was alles hätte sein können, muss man dennoch festhalten, dass gerade Swartz´s Stimme, sein Talent neue Ideen zu vermitteln, noch viel wichtiger für den Kampf gegen die Überwachung gewesen wäre, als sein technisches Können.

„Erst wenn man Aarons Talent Codes zu programmieren und Online-Tools zu erstellen ausblendet, erkennt man sein hinterlassenes Ideengebäude," sagte Parker Higgs von EFF. „Aaron hat viele Grundlagen gelegt." Bei der Beurteilung von Swartz´s Vermächtnis fällt es mir schwer, seine vielen Talente in angemessener Weise zu würdigen. Solche Menschen kommen nicht oft vor. Sie vereinen technische Brillanz und eine einnehmende Persönlichkeit. Trotzt seiner Schwächen ist Julian Assange aus dem gleichen Holz geschnitzt, genauso wie viele andere Cyber-Punks die ihre crypto-liberalen Ursprünge zu Gunsten eines eher promethischen Verhältnisses von Technologie und Demokratie eingetauscht haben. Die Vorstellung dieser „Techno-Demokratie" besagt, dass die Cyber-Punks nicht nur sich selbst helfen wollen, sondern auch den Menschen, deren technisch-technologisches Verständnis nicht im gleichen Maße entwickelt ist wie das ihrige.

„Bis jetzt hat niemand Aarons Rolle einnehmen können," sagt Higgins. „Sein Tod hat eine Lücke hinterlassen, die sich niemand zu füllen traut. Aber ich glaube, dass diese Menschen irgendwo da draußen sind. Es sind Menschen mit einem ausgeprägten technischen Verständnis, die begreifen, wie wichtig es ist, diese Vermittler-Rolle einzunehmen." Wenn sich immer mehr Menschen zu den Helden ihrer eigenen Internet-Geschichten machen, werden vielleicht gerade sie—und nicht ein Einzelner—Aarons Platz irgendwann einnehmen.

@djpangburn