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GAMES

Warum wir so gerne Krieg spielen

Wir haben Spielerinnen, Spieler und uns selbst einmal gefragt, was eigentlich so viel Spaß macht an den unzähligen Schlachtfeldern in Games.
Pixelgrafik eines Mannes

Pixel Art von VICE Media

Ein kurzer Ausflug in unsere Vergangenheit: Ein Kind steht mitten in einer Meute aus anderen schreienden Kids und plötzlich wird der abgebrochene Zweig am Boden zum Sturmgewehr, der Schneeball zur Splittergranate und—wenn nichts anderes vorhanden—Zeigefinger und Daumen zur tödlichen Laser-Kanone. Pew, pew, pew! Kurz: Viele Kinder tun gerne so, als ob sie schießen, erschießen und erschossen werden. Wenn diese Kinder dann erwachsene Kinder sind, machen sie das immer noch gerne, die meisten in virtuellen Welten.

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In Videospielen wurde diese Simulation von Krieg und Schlachtfeldern im höchsten Grade perfektioniert und aus einem infantilen Spieltrieb wurde ein ganzes Genre, ein Gaming-Standard und ein Milliardengeschäft. Wir haben mit Kollegen und Gamern aus den verschiedensten Bereichen über ihre Erfahrungen und Meinungen zum Thema Krieg spielen gesprochen—und uns gefragt, weshalb es so verdammt viel Spaß macht.

Um selber einmal der (Kriegs-)Held zu sein

VICE Media

Ein Medienpsychologe hat mir im Zuge eines Gespräches für einen Artikel erklärt, dass wir spielen, weil wir gerne Dinge auslösen. Ein von uns verursachter Tod in einem First-Person-Shooter ist nicht deswegen ein Erfolgserlebnis, weil wir den Akt des Tötens so toll finden, sondern weil wir dadurch mit etwas belohnt werden—sei das nun eine interessante Animation oder Fortschritt im Spiel, also die Belohnung durch das Weiterführen der Handlung oder neue Spielumgebungen.

Auf Dinge zu schießen ist meiner Meinung nach deswegen eine ziemlich effektive Art und Weise, Dinge "auszulösen", weil das Prinzip sehr einfach zu verstehen ist: Ich habe etwas in der Hand, richte es auf etwas anderes, drücke einen Knopf und dann passiert etwas. Was genau passiert, lässt sich auch ohne vorherige Erfahrung mit dem jeweiligen Spiel gut abschätzen, weil wir in der Regel einschätzen können, welche Durchschlagskraft Kugeln haben. Die Mechanik an sich ist also sehr intuitiv.

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Gleichzeitig ist das Szenario "Krieg" (oder zumindest "Mensch mit Schusswaffe in der Hand") auch inhaltlich interessant. Zum einen werden wir popkulturell mit Filmen, Büchern, Comics und Serien, in denen die Heldin oder der Held sich zum Happy End ballert, geradezu erschlagen. Wir verknüpfen dieses Spielen also mit etwas Heroischem, wissen gleichzeitig aber, dass wir selbst in den wenigsten Fällen jemals realistisch in eine ähnliche Situation kommen würden. Man nutzt im Rahmen eines Videospiels also die quasi einmalige Chance, auf genau diese Art und Weise "Held" zu sein. Solche Kriegsszenarien sind natürlich auch emotional aufgeladen, da die Dringlichkeit viel höher erscheint—selbst wenn einem die Virtualität der Situation absolut bewusst ist. Auch erzählerisch hat man natürlich deutlich mehr Raum für Bombast und Drama.

Zusammengefasst: Für die Entwickler ist es ein unkomplizierter Weg, um Spielerlebnisse zu generieren, die für den Spieler zum einen leicht verständlich sind und aber eben auch in der hundertsten leicht modifizierten Wiederholung noch irgendwas bei ihm auslösen.

Lisa Ludwig (Editor-in-Chief Broadly Germany)

Weil wir unsere Urinstinkte befriedigen wollen

In der genialen Doku-Reihe Cooked von Michael Pollan geht es um den Menschen und seine Beziehung zum Essen und Kochen. Es wird unter anderem aufgezeigt, dass in unserer Zeit immer weniger selbst gekocht wird. Der Konsum von Kochshows ist hingegen exponentiell angestiegen. Als Begründung wird angeführt, dass der Mensch ein fest verankertes soziales Grundbedürfnis hat, zusammen in einer Gruppe Essen zuzubereiten beziehungsweise bei dem Vorgang des Kochens dabei zu sein. Kochshows sind für diese Urinstinkte natürlich das beste Methadon.

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Was, wenn Töten, gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Gruppierungen und territorialer Überlebenskampf auch genau solche ursprünglichen Bedürfnisse des menschlichen Wesens sind. In einem latenten unterentwickelten Höhlenmensch-Bereich unseres Gehirns flackert dann und wann der Wunsch nach blutigen Schlachten mit verfeindeten Völkern und Stämmen auf—oder mit dem Nachbarn, der nebenan Trompete übt. Vielleicht laufe ich gerade deshalb so befriedigt und mit offenen Mund durch Battlefield 1, in dem Zeppeline abstürzen, Fliegerangriffe kreischen, Haubitzen ohrenbetäubende Salven zünden und um mich herum Soldaten sterben wie die Fliegen. Ich kann endlich mein unterbewusstes Verlangen nach Chaos, Tod und Frontenkrieg ausleben!

Josef Zorn (Editor VICE Austria)

Weil Krieg scheiße zu finden uncool ist

Official Game Art 'Valiant Hearts: The Great War' (c) Ubisoft

Ich spiele eigentlich überhaupt nicht gerne Krieg. Tatsächlich gibt es aber kaum die Möglichkeit, ein pazifistisches Videospiel zu spielen, es sei denn, es ist ein Sportspiel. Ich bin einmal mit einem Freund, der wenig mit Spielen zu tun hat, durch die Gamescom geschlendert und seine Beobachtung war: "Eigentlich rennt man immer rum und tötet Leute. Es schaut nur unterschiedlich aus."

Recht hat er eigentlich. Im Jahr 2016 beinhalteten alle der finanziell erfolgreichen Spiele Gewalt—außer FIFA. Dishonored 2 kann man spielen ohne jemanden zu töten, das wird am Ende sogar mit einer Trophäe belohnt. Wie nett! Es reicht dabei allerdings nicht aus, Gegner einfach nur bewusstlos zu würgen, sondern man muss sie auch noch in einem Schrank verstauen, sonst werden sie von Ratten gefressen und sterben trotzdem. Es gibt also "friedliche" Lösungen in Games, aber sie sind verdammt viel Arbeit. Warum sollten wir also? Eben.

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Spiele wie This War of Mine und Valiant Hearts sind genau deshalb das Wichtigste, was es im derzeitigen Games-Katalog gibt. Das ist Krieg spielen ohne Michael-Bayesque Epochal-Action und ohne Kopfschuss-Achievements, sondern mit Geschichten von Menschen, wie sie tatsächlich Tag für Tag passieren oder tatsächlich passiert sind. Solche Spiele bleiben oft "Kritikerlieblinge", weil sie eben nicht nur emotional sind, sondern auch sehr nahe an der Realität. Das ist wie die Kategorie "Bester ausländischer Film" bei den Oscars. Schön, dass es sie gibt, aber bisschen anstrengend ist es schon.

Franziska Bechtold (Editor Elektro Uschi)

Weil Krieg in Videospielen ungeahnte Erfolgserlebnisse auslösen kann

Die Kernbausteine von Spielen sind einzelne Herausforderungen, die der Spieler überwinden muss. Schafft er das, fühlt es sich gut an. Die grundlegendste Form des Konflikts ist halt nunmal der nackte Kampf um Leben und Tod. Das spricht einfach etwas sehr Archaisches in uns an. Man kann Spieler auch vor Herausforderungen stellen, die im Kern völlig friedlich sind. Das funktioniert ja auch großartig in Puzzlegames, Adventures, Geschicklichkeitsspielen und explorativen Games.

Aber es gibt auch diesen speziellen Kick, den man nur hat, wenn man einen Gegner auch tatsächlich auslöscht, die Health-Anzeige auf Null hinunter sprengt und ihn quasi auf die ultimative Art und Weise dominiert. Ich kann mich noch gut an das originale Quake erinnern. Nachdem ich das Spiel x-mal auf allen Schwierigkeitsgraden im Singleplayer durch hatte, habe ich mir die "Reaper Bots"-Mod dafür besorgt. "Reaper Bots" waren die so ziemlich ersten halbwegs intelligenten, Computer gesteuerten Gegner, mit denen man Deathmatches simulieren konnte. Nachdem ich also eigentlich glaubte, ganz gut in Quake zu sein, wurde ich von diesen wortwörtlichen Kriegsmaschinen komplett fertig gemacht.

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Wenn so ein Bot in der Nähe war, bin ich erstmal in Panik ausgebrochen und habe einfach nur wild um mich geschossen. Nach einiger Zeit hatte ich dann genug haarsträubende Übung hinter mir, um so einen gefürchteten und unbesiegbar erscheinenden Feind zu fraggen. Die Befriedigung, die das pixelige Blut und die in alle Windrichtung fliegenden Beuschel des Bots in mir auslösten, war unbeschreiblich. Ein Puzzle in Myst zu lösen, konnte da einfach nicht mithalten. Nach Ewigkeiten ein schwieriges Rätsel in einem Videospiel zu knacken, ist natürlich auch extrem befriedigend, aber wir sprechen hier einfach von zwei völlig verschiedenen Geisteszuständen.

Roland Moritz (Spiele-Entwickler 'Atomic Butcher')

Weil Krieg in Videospielen mehr als hirnloses Geballer sein kann

Es gibt für mich wenige Shooter, die sowas wie Krieg simulieren und mich dabei packen. Jedes Jahr probiere ich das neueste Call of Duty am Open-Beta Wochenende und jedes Jahr denke ich mir wieder, wie uninteressant mir dieser reflexbasierte Twitch-Shooter vorkommt und dass ich niemals Geld dafür ausgeben werde. Battlefield 1 ließ mich durch den Bombast an Kriegsmomenten zum ersten Mal seit langer Zeit das Wort "wow" laut aussprechen, im Kontext von so einem Kriegs-FPS.

Dieser Wow-Effekt verflog bei diesem wirklich soliden Shooter schnell. Auch Momente, in denen fette Panzer-Garnisonen rollen und ein riesiger Zeppelin in Flammen aufgeht, verlieren nach dem 20. Match ihre Wirkung. Vor allem, weil ohne richtiges Teambuilding alle entweder wie eine kopflose Herde herumlaufen oder einen auf "Lone Wolf" machen. Das hat letztlich auch nichts mehr mit Krieg zu tun, ist hirnloses Geballer und wird mich niemals lange binden können, da mir die Zeit und Lust fehlt, mich in eine dieser Communitys sinnvoll einzubringen.

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Und dann kam Overwatch. Obwohl es sich anstatt des Realismus aller dieser eben genannten Spiele für einen Comic-Look entschied, zeigte sich hier sofort das meiste Kriegs-Potential. Ohne Taktik und Teambuilding kommt man in Overwatch nicht weit. Aber selbst in niedrig gerankten Matches (in denen ich mich als Halb-Noob zur Zeit noch aufhalte) funktioniert das bereits wie von alleine und ich lerne mit jeder neuen Runde etwas dazu, das ich dann für mein nächstes, zufällig erstelltes Team zur Unterstützung einsetzen kann. Das kommt der Form von Krieg, der mir Spaß macht, wahrscheinlich am nächsten, denn nichts ist befriedigender als ein funktionierender Plan. Wenn ich jemals auf einem echten Schlachtfeld stehen müsste, würde ich aber wahrscheinlich wie ein Ingame-Troll hirnlos in die erste Kugel laufen, die abgefeuert wird.

Benji Agostini (Editor Noisey Austria)

Weil es eine schlechte Angewohnheit ist

Steam Still 'Watch_Dogs 2' (c) Ubisoft

Ob die Hacker-Serie Mr. Robot wohl genauso gut ankommen würde, wenn Protagonist Elliott ab und zu ein Maschinengewehr auspacken und einen Polizisten nach dem anderen niedermähen würde? Diese Frage stelle ich mir momentan ziemlich oft, während ich Watch_Dogs 2 spiele—ein Titel, der einerseits eine Geschichte von sympathischen jungen Internet-Aktivisten erzählen möchte, andererseits aber auch Ubisofts GTA V sein will. San Francisco kann hier auch schon mal kurzzeitig zu einem Mini-Guerilla-Kriegsgebiet werden.

Der Knackpunkt von so einer Kritik ist wie schon bei der Diskussion um Bioshock InfiniteUncharted, L.A. Noire oder The Last of Usso zusammengefasst: "Die Story würde besser funktionieren, wenn der Protagonist kein Massenmörder wäre." Manche nennen das "ludonarrative Dissonanz". Die einfache Lösung ist, nur noch gestörte Psychopathen wie Trevor aus GTA V zu schreiben, zu denen dieses Verhalten "passt". Die bessere und auch schwierigere Lösung wäre es, Big-Budget-Spiele zu anderen Themen als Krieg, Kämpfen und Töten zu produzieren. Wann, wenn nicht jetzt, im Zeitalter der Diversifizierung, in der so viel bisher vernachlässigtes und potenzielles Publikum gewonnen wird wie noch nie?

Ich bin geneigt, in Punkto Krieg in Spielen, diesem Video von YouTube-Spielekritiker MrBtounge zuzustimmen: Man kann noch so viele Erklärungen dafür zu finden versuchen, warum Kämpfen und Töten so einen überproportional großen Stellenwert in unserem Lieblingsmedium hat, aber am Ende ist es vor allem eines: Eine schlechte Angewohnheit.

Andreas Capek (Contributor VICE Austria)

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