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In 10 Jahren sollte man überall in Deutschland unverpackt einkaufen können

Sechs Wochen nach der Eröffnung trafen wir Sara Wolf von „Original Unverpackt“ und erkundigten uns, wie der Laden so läuft.
Mitgründerin Sara Wolf in ihrem Laden Original Unverpackt | Bild: Almut Gaude

Mit Jutebeuteln statt Plastiktüten unverpacktes Obst und Gemüse auf dem Markt einzukaufen, ist keine Kunst. Doch im Lebensmittelladen um die Ecke, egal ob Discounter oder Bioladen, es eine ziemliche Herausforderung, auf Verpackungen zu verzichten. Hier türmt sich Milch in Tetrapacks, dort Fleischprodukte unter transparenter Klarsichthülle in Styroporschälchen, weiter hinten Aluminium-Konservendosen und Nudeln in knisternder Polymerhülle. Der schon nach wenigen Tagen überquillende gelbe Sack gehört zum Leben auf unserem „Plastic Planet" wohl oder übel dazu. 16 Millionen Tonnen—soviel Verpackungsmüll produzieren wir Deutschen pro Jahr.

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Die ehemalige Fair Trade-Mitarbeiterin Sara Wolf (31) und die Mediengestalterin Milena Glimbovyki (24) haben diesen 16 Millionen Tonnen den Kampf angesagt. Die beiden Freundinnen erschraken bei einem gemeinsamen Abendessen ob der Berge an Verpackungsmüll und beschlossen, aktiv zu werden. Zwei Jahre, einen Businessplan, zwei Businessauszeichnungen und eine erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne später, eröffneten Sara und Milena am 13. September Original Unverpackt. Der ersten Laden in Deutschland, der Lebensmittel ohne Verpackungen anbietet.

Bitte selbst bedienen. Nudeln unverpackt. | Alle Bilder: Almut Gaude

Wie früher im Tante-Emma-Laden.

„Original Unverpackt", der gerade einmal 100 Quadratmeter große Laden in Berlin Kreuzberg, schlägt vor allem in den sozialen Netzwerken und in der Presse ein wie eine Bombe. Das Prinzip: Statt in Plastik- oder sonstigen Verpackungen werden die Lebensmittel in Spendersystemen, sogenannten Bulk Bins, aufbewahrt und können von den Kunden in selbst mitgebrachte Behältnisse umgefüllt werden. Das gilt nicht nur für Kaffee, Nüssse, Nudeln oder Mehl sondern auch für Shampoo gegen fettiges oder trockenes Haar und den Essig-Reiniger für's Bad. Wer kein Gefäß dabei hat, kann sich die entsprechenden Behältnisse auch direkt im Laden kaufen.

Sechs nach der Eröffnung traf ich mich mit der Mitgründern Sara, um über den Stand von „Original unverpackt" zu reden.

Motherboard: Das war ja ein ganz schöner Ritt die letzten Wochen und Monate. Wie geht es Euch?

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Sara: Jetzt geht's mir wieder besser. Es war schon sehr stressig. Seit August war das wirklich der Wahnsinn, was wir alles schaffen mussten. Und ich glaube bei der Erföffnung waren wir alle ganz schön fertig. Aber jetzt sind wir wieder auf dem Weg nach vorne und haben wieder viel Energie, die wir in den Laden stecken können.

Spontane Lusteinkäufe gibt es eigentlich nicht.

Wie läuft euer Laden nach einem Monat?

Wir haben im Moment sehr viele Leute, die jeden Tag kommen und sich interessiert umschauen. Aber viele kaufen jetzt auch schon ein. Das sind nicht die größten Einkäufe, doch im Moment stimmt es. Es ist auch schön zu sehen, dass viele Leute gut vorbereitet in den Laden kommen, also Gläschen und Tupperware mitbringen.

Was für Leute kaufen hier ein?

Das ist sehr gemischt. Das geht wirklich von Müttern mit Kindern zu Jugendlichen bis hoch zu Rentnern, die hier ankommen und sich über das Angebot freuen. Das ist die junge Frau aus Marzahn bis zur hippen Studentin oder dem Kommunikationswissenschaftler aus Kreuzberg, es ist wirklich alles dabei. Das Konzept spricht irgendwie jeden an.

Wie reagieren die Kunden darauf, dass es überhaupt keine Werbung auf den Produkten gibt?

Dass wir keine Marken haben, ist tatsächlich eine Herausforderung, auch für uns als Laden. Wir können niemanden dazu verleiten, etwas zu kaufen, nur weil es besonders schön und bunt ist. Die Leute müssen das Produkt kaufen, weil sie es brauchen und weil die Ware an sich gut aussieht. Das ist eine ganz andere Art, einzukaufen. Ich denke, dass wir deswegen auch ganz bewusste Kunden haben, die sich mit einem bestimmtem Ziel die Produkte hier aussuchen. Spontane Lusteinkäufe gibt es eigentlich nicht.

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Es gab von einigen Seiten Kritik, dass die Produktauswahl zu beschränkt und die Handhabung mit den mitzubringenden Behältern zu umständlich sei. Wie geht ihr damit um?

Das Problem ist, dass es die Kritik schon gab, bevor es uns überhaupt gab. Die Leute haben sich in ihrem Kopf alles mögliche erträumt. Natürlich trifft man da nicht alle Erwartungen. Aber das hier ist erst der Anfang. Der Laden ist unser Versuchslabor, wo wir alles testen können und wo wir noch einiges verbessern können. Die nächsten Läden werden in Zukunft auf jeden Fall größer sein, mit einem größeren Sortiment und einer praktischeren Handhabung für die Kunden.

Was sind denn die besonderen Schwierigkeiten dabei, Lebensmittel unverpackt anzubieten?

Die richtigen Lieferanten zu finden, ist eine große Herausforderung. Wir haben bestimmte Voraussetzungen, die erfüllt werden müssen: Können sie uns Lebensmittel ohne oder mit nur ganz wenig Verpackung liefern? Sind die Produkte aus der Region? Schmecken sie gut? Und: Stimmt der Preis? Das sind vier Bestandteile, die nicht immer so einfach zu finden waren. Es war auch sehr viel Aufwand, sich durch tausende Produkte zu probieren. Und bei den Behältern stellt sich natürlich die Frage, wie bietet man welches Produkt am besten an? Da sind wir noch immer dran und testen viele Möglichkeiten, um es den Kunden noch einfacher zu machen. Da sind wir noch lange nicht am Ende, das ist ein langjähriger Prozess.

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DAS PROBLEM IST, DASS WIR SCHON DA WAREN BEVOR ES UNS ÜBERHAUPT GAB.

Wisst Ihr, wieviel Verpackungsmüll Ihr jährlich einsparen werdet?

Das wollten wir immer schon ausrechnen, das ist keine ganz so einfache Kalkulation. Aber ein Beispiel: Bei uns kannst du deine Waschmittelflasche 20 mal auffüllen, bevor du sie wegschmeißen musst. So sparst du also 20 Hartplastikflaschen. Oder wenn wir eine Großpackung Reis a 25 Kilogramm kaufen, dann spart das 100 Verpackungen für die kleinen 250 Gramm Reistüten. Da kommt schon einiges zusammen.

Gibt es von Seiten der Lebensmittel- oder Verpackungswirtschaft irgendeine Reaktion auf Euch?

Ja, wir hatten hier schon große Lebensmittel-Einzelhandelsketten, die sich das ganz genau angeschaut und mit uns gesprochen haben. Von der Verpackungsindustrie haben wir noch nichts gehört. Aber ich bin mir sicher, dass wir unter Beobachtung stehen und die genau schauen, wie unser Konzept funktioniert und wie sie es für sich selbst nutzen könnten.

Essig und Öl zum Zapfen. Essig und Öl zum Zapfen.

Kosmetika und Reinigungsmittel zum selbst Abfüllen.

Wie steht es mit der Hygiene?

Wir haben einen eigenen Hygieneberater geholt, der uns immer berät und uns auch ein Hygienekonzept geschrieben hat. Prinzipiell sind wir auf gutem Fuß mit dem Gesundheitsamt und den ganzen anderen Ämtern, die es so gibt. Man muss in Deutschland sehr viele Anforderungen erfüllen. Wir sagen uns immer, wenn Du es in Deutschland geschafft hast, dann schaffst Du es überall.

Glaubt ihr, dass Euer Konzept massentauglich ist?

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Massentauglich ist ja etwas anderes als die Frage, ob es einen Markt dafür gibt. Und ich bin mir sicher, dass es diesen Markt gibt. Nicht jeder muss jeden Tag bei uns einkaufen. Aber wenn sich viele Leute zu Herzen nehmen, Verpackungen zu reduzieren und mit unserer Hilfe tatsächlich Verpackungen einsparen können, dann werden wir uns neben den ganzen anderen Supermärkten etablieren.

Wir sagen immer, wenn Du das in Deutschland geschafft hast, dann schaffst Du das überall.

Gibt es neben den Schwierigkeiten auch Vorteile gibt für einen Unternehmer, auf Verpackungen zu verzichten?

Natürlich. Für jeden der so einen Unverpackt-Laden möchte, lohnt sich das. Du kannst in viel größeren Packungen einkaufen und in größeren Mengen beziehen. 20 Prozent des Preises eines Produktes gehen ja für die Verpackung drauf, das sparen wir uns und das sparen dann auch die Kunden. Langfristig können wir Produkte also günstiger anbieten und profitieren sogar selber davon.

Was glaubt Ihr, wo Ihr in zehn Jahren steht?

Ich hoffe, dass es dann ganz viele Original Unverpackt-Läden in ganz Deutschland und auch im Ausland gibt und es dann Standard ist, unverpackt einzukaufen und so eine Menge Müll reduziert wird. Ich hoffe, dass generell in der Gesellschaft ein größeres Umdenken passiert und in den anderen Supermärkten die Verpackungen besser und kleiner werden. Ich denke, das werden wir bis 2024 schaffen.

Sara Wolf vor ihrem Laden in Berlin Kreuzberg.

Was sollte bis dahin noch passieren?

Ich wünsche mir, dass die Kunden nicht nur daraus eine Gewohnheit machen, einen Stoffbeutel in der Tasche zu haben, sondern auch ein paar kleine Baumwollsäckchen (die sie zum Beispiel auch bei uns bekommen) und ein wenig Tupperware wenn sie zum Einkaufen gehen. Das ist eigentlich eine einfache Umstellung, so wie für Viele früher die Plastiktüte selbstverständlich war, ist es ja heute der Beutel. Und so sollte es in Zukunft selbstverständlich sein, dass du andere Umverpackungen mitbringst. Ich wünsche mir, dass die Menschen die Umstellung nicht als Umstand, sondern als ein simples Umlernen sehen.

Was meinst du, warum Eure Idee, Lebensmittel unverpackt anzubieten, eine so große Resonanz erhalten hat, auch medial?

Ich glaube zum einen hatten wir Glück. Wir hatten sehr viele positive Rückmeldungen und viel Presse und ich glaube das liegt vor allem daran, dass sich die Leute das einfach wünschen und dass die Zeit reif ist.