Wir haben die US-Wahlen mit einer Clinton-Anhängerin in Tübingen geguckt

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Wir haben die US-Wahlen mit einer Clinton-Anhängerin in Tübingen geguckt

Für Jamie, eine schwarze, lesbische Rapperin aus Texas, bedeutet die Wahl Trumps "den Untergang Amerikas."

Alles Foto: Sophie Herwig

Vor dem ältesten Kino Tübingens steht ein Mann aus den USA, auf seinem Kopf ein Cap mit einem "I voted"-Sticker, in seinen Händen hält er ein Schild. "Ich schäme mich", steht darauf. Er hält es über die Köpfe der wartenden Menschen, damit sie es sehen, wenn sie zur Übertragung der Wahlnacht das älteste Kino der Uni-Stadt betreten.

Noch versprechen die Umfragen Clinton einen knappen Sieg. Noch. Aber im Nachhinein wirkt es wie eine Prophezeiung.

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"Stehst du nur hier draußen und machst Propaganda oder schaust du dir die Wahl dann auch an?", fragt Jamie ihn und stellt sich daneben. Die 27-Jährige kommt aus Texas und lebt seit vier Jahren in Deutschland. Die Wahlen mitzuverfolgen, sieht sie als ihre demokratische Pflicht, weswegen die Rapperin heute hierher gekommen ist.

"Ich hätte eher die Talkmasterin Oprah Winfrey gewählt als Donald Trump. Mit ihm bekommen wir einen zweiten Hitler. Vor allem für uns Schwarze", sagt sie. Clinton möge sie zwar nicht besonders, aber sie könne auch nicht sagen, sie gar nicht zu mögen. "Es ist, als ob deine Mutter dir aufträgt, das Zimmer aufzuräumen oder den Biomüll in die Tonne zu werfen, bevor du ins Kino darfst", sagt Jamie. "Ich habe mich entschieden, das Zimmer aufzuräumen."

Sie läuft bereits Richtung Tür, als sie sagt: "Diese Wahl markiert den Untergang Amerikas."

Jedenfalls wenn Donald Trump Präsident werden sollte.

Noch ist es ein "Wenn".

Drinnen herrscht lautes Stimmengewirr, die Leute drängen sich an den mit USA-Fahnen drapierten Tischen vorbei, mit Bier oder Weinglas in der Hand. Jamie hat Hunger, sie kauft einen Hotdog mit Röstzwiebeln und Essiggurken und drückt sich durch eine Zuschauerreihe in die Mitte des großen Kinosaals. Auf der Leinwand gewinnt Trump gerade in Indiana und Kentucky, Clinton in Vermont, es ist 1 Uhr und es wird bereits klar: Die Nacht könnte lange dauern.

Wie fühlst du dich, Jamie?

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"Angespannt. Wirklich angespannt. Die Leute versuchen, auf cool zu machen, obwohl sie alle nervös sein sollten. Diese gespielte Entspanntheit macht mich fertig, als Rapperin bin ich es gewohnt, meine Gefühle laut auszusprechen. Diese Wahl beeinflusst uns alle, auch die Deutschen."

Jamie kam nach Deutschland, weil sie sich in eine Frau aus Tübingen verliebt hat. Die Beziehung hat zwar nicht gehalten, aber Jamie ist trotzdem geblieben und arbeitet heute als selbstständige Musikerin und Eventmanagerin. "Ich liebe die deutsche Kultur. Die Deutschen sind weniger oberflächlich als die Amerikaner. Wenn sich jemand dir gegenüber öffnet, dann weißt du, dass es ernst gemeint ist." Auch könnte sie von ihrer Musik in den USA nie so leben, wie sie es in Deutschland kann. "In den Staaten ist die Musikindustrie ganz in Händen großer Plattenlabel", sagt sie. "Ich will aber nicht über Bitches und Money rappen."

Vor ein paar Wochen sagte ihre Mutter, die noch immer in den USA lebt, am Telefon: "Ich hoffe, deine Zwei-Zimmer-Wohnung ist genug groß. Wenn Donald Trump gewinnt, komme ich zu dir nach Deutschland."

Zigarettenpause. "Unterstützt ihr Donald Trump?", fragt Jamie eine Gruppe junger Erwachsener, die vor der Tür stehen. Die schütteln den Kopf. "Und wenn Kanye West in vier Jahren antritt, werdet ihr auch für ihn stimmen? Ich sag euch, Kayne West wird der Präsident 2020!"

Drei Teenager kommen raus: großgewachsen, adrett, höflich. Drei befreundete Gymnasiasten. Schon vorher fielen sie im Kinosaal auf, als einzige hoben sie die Hand, als im Publikum die Frage gestellt wurde, wer in diesem Saal denn Donald Trump unterstützen würde. Die drei sagen auch ganz offen, sie seien Trump-Supporter, und Jamie überlegt nicht lange: "You're White!", sagt sie. "Regardless of what happens, you're uneffected. Don't support that guy, man!"

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Jamie fängt an, mit den Trump-Supportern zu diskutieren. Die Jungs sehen offenbar keinen Grund, ihre unpopuläre Meinung zu verstecken. "Ich hoffe, dass Trump was ändert. Ich finde ihn rebellisch. Hillary will Kriege führen. Trump will TTIP verhindern. Er ist für das Regionale—und gegen die Globalisierung", sagt Cornelius, einer der Jungs aus der Gruppe.

Er ist das jüngste von sechs Kindern aus einer "sehr traditionellen Familie", wie er selber sagt. Die AfD würde er nicht wählen, obwohl er inhaltlich mit ihr einverstanden sei. Aber sie sei zu schlecht organisiert. Mit seiner höflichen, ruhigen Art, Dinge zu sagen, die andere als extrem einstufen würden, erinnert er an die beiden Typen aus Funny Games. Trumps Positionen findet er absolut nachvollziehbar: "Sein Vorschlag, Muslime zu verbannen, finde ich richtig, nach all dem, was in den USA passiert ist." Er setzt eine ernste Miene auf. Da ist kein zynischer Unterton, kein verschmitztes Lächeln. Wenn Cornelius über Trump spricht, dann steht er voll dahinter. Jamie diskutiert ruhig mit den Jungs und zeigt Sympathie dafür, dass sie zumindest ehrlich ihre Meinung sagen. Andere haben weniger Verständnis: "Shitheads", nennt eine junge Frau mit Südstaaten-Akzent und pinkem Hillary-Button die Jungs.

Einem Naturgesetz in der deutsch-amerikanischen Diskussion folgend endet jede Diskussion früher oder später bei Hitler. Jamie erzählt von einem Video, das sie gesehen hat, in dem Trump-Supporter, ohne es zu wissen, Hitler-Zitaten zugestimmt haben. Die Gruppe Trump-Supporter hier in der deutschen Kleinstadt ist beleidigt: "What if Hitler said he liked animals?!", argumentieren sie. Noch bevor auch nur ein Funke des Zweifels aufkommt, schießt Jamie hervor: "What if Trump said everyone who doesn't look like him has to wear a yellow ribbon!?" Kurze Stille. Cornelius prustet mit den Lippen. Er ist sichtlich genervt von dem Gespräch und versucht demonstrativ zu gehen. Er kriegt die Tür nicht auf Anhieb auf und nimmt eine andere.

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Zurück im Saal verheißen die Umfragen nichts Gutes. Florida: Trump führt. Ohio: Trump führt. New Hampshire: Dito. "Ich muss meine Mom anrufen", sagt Jamie. Sie nimmt das Telefon, es klingelt. "Hi Mom. Ich bin hier in Tübingen im Kinosaal, mit vielleicht 200 Leuten, viele eingeschlafen und schau mir die Wahlen an. Anyway. Hast du verfolgt, was gerade abgeht?" Pause, danach verabschiedet sich Jamie. "Meine Mom sagte, ich solle sie in Ruhe lassen. Sie wolle nichts von dem Ganzen mitbekommen."

Wieder draußen, wieder Zigarettenpause. "Leute, Trump wird das Rennen gewinnen", ruft Jamie in die Runde von Leuten vor der Tür. "Sag das nicht", sagt eine Frau. Die Stimmung an dem Abend ist wie die in der Fußball-Fankurve, während ihr Team, der Favorit, vom Außenseiter ausgespielt wird. Statt über die Wahl unterhalten sie sich nun lieber über Polizeigewalt in Deutschland und US-Soldaten, die nach dem Krieg im Nahen Osten sich erst in Deutschland erholen, bevor sie in ihre Heimat zurückkehren. Alle verdrängen lieber, was sich drinnen auf der Leinwand abspielt.

"It's pretty good news for Donald Trump. But it's really an unpredictable race", sagt der Analytiker von CNN auf der Leinwand. Jamie hört es nicht mehr, sie ist mittlerweile eingeschlafen. Für das Resultat will sie geweckt werden. In der Zwischenzeit entscheidet Trump Ohio für sich. Ohio. Der einzige republikanische Kandidat in der amerikanischen Geschichte, der Ohio gewann und die Wahlen dennoch verlor, war Richard Nixon. Dann gewinnt Trump North Carolina. Dann Florida. Und in Wisconsin, Michigan, Pennsylvania klettern die Umfragen zugunsten Trumps. Vielleicht gut, dass Jamie all das nicht mitkriegt.

Die drei Jungs sitzen etwas weiter hinten im Saal und klatschen, wenn Trump seinen Vorsprung weiter ausbaut. Sie sind die Einzigen im Saal, der Rest des Publikums klatscht noch immer tapfer, wenn sich die Werte zugunsten Clintons verschieben. Bis zum Schluss. Zwei Reihen hinter den Jungs ruft ihnen jemand zu: "Haltet euer Maul, Alter! Scheiß Nazis!"

Als Jamie die Augen öffnet und mit der Kapuze tief ins Gesicht gezogen auf die Leinwand blinzelt, tritt der Leiter von Clintons Kampagne auf die Bühne, bedankt sich für die Unterstützung, und sagt, Clinton werde sich heute nicht mehr zur Wahl äußern. Es sei noch nicht entschieden, es komme auf jede Stimme an. Überzeugt wirkt er nicht. Und tatsächlich gratuliert Clinton wenige Stunden später Donald Trump per Telefon zum Wahlsieg.

"Vielleicht muss Amerika erst zerfallen, bevor es sich wieder richtig erholt", sagt Jamie. Trump, das bedeutet für sie den sicheren Zerfall Amerikas. "Bush war nichts dagegen. Er hatte militärisch großen Schaden angerichtet, aber die Amerikaner haben es nicht gemerkt. Trumps Politik werden sie zu Hause, in Amerika, zu spüren kriegen. Und es wird nicht gut", sagt Jamie und erhebt sich. "Ich gehe jetzt."

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