FYI.

This story is over 5 years old.

Tech

Wütende Proteste in Ungarn gegen geplante Internetsteuer

In Budapest haben zehntausende gegen ein geplantes Gesetz der Regierung Orbán demonstriert, das jedes Gigabyte Datenverkehr mit 50 Cent besteuern würde. Die Demonstranten sehen in dem Vorhaben eine weitere Aushöhlung der Informationsfreiheit.
Demonstranten bewerfen das Fidesz-Parteigebäude mit alten Monitoren. Bild: zdanee, Screenshot Youtube

In Ungarn haben gestern Abend über 10.000 Demonstranten gegen eine geplante Internetsteuer protestiert und bildeten vor dem Wirtschaftsministerium in Budapest ein Lichtermeer aus leuchtenden Handydisplays. Ein kleiner Teil der Protestierenden bewarf die Parteizentrale der regierenden Fidesz-Partei mit altem Elektroschrott wie Tastaturen und Monitoren, hisste EU-Flaggen an den Balkonen und zerstörte Fensterscheiben.

Anzeige

Der am vergangenen Dienstag erstmals vorgestellte Gesetzesentwurf sieht vor, jedes Gigabyte im Datenverkehr mit einer Steuer von 150 Forint (umgerechnet 49 Cent) zu belegen. Bei einem für EU-Verhältnisse relativ niedrigen Pro-Kopf-Einkommen in Ungarn würde das die Kosten der Internetnutzung dramatisch erhöhen. Doch die Demonstranten befürchten nicht nur einen rapiden Anstieg ihrer Steuerlast, sondern auch eine weitere Aushöhlung der Informationsfreiheit.

„Dieser Schritt folgt einer Welle antidemokratischer Maßnahmen der Regierung Orbán (…), vertieft die digitale Kluft und beschränkt den Zugang zum Internet für ärmere Schulen und Universitäten", schrieben die Organisatoren der Demonstration in einer Pressemitteilung.

Selbst die Europäische Union unterstützt den Widerstand gegen die Steuer. EU-Digitalkommissarin Nelly Kroes nannte die Steuerpläne eine „ Schande" und forderte die Menschen in der EU per Twitter zur Solidarität mit den Protestierenden auf.

I urge you to join or support people outraged at #Hungary Internet tax plan who will protest 18h today #Budapest - http://t.co/lDtB2a6Jt8

— Neelie Kroes (@NeelieKroesEU) October 26, 2014

Die Menschen in Ungarn zahlen bereits jetzt mit 27 Prozent die höchste Mehrwertsteuer der Welt, die auch Computer und Router einschließt. Nun würden sie für Softwareupdates, Videotelefonie zu Verwandten oder gestreamte Filme neben den monatlichen Anschlussgebühren doppelt zur Kasse gebeten werden.

Anzeige

mobile-lights against #internettax #internetado . @OccupyHu LIVE: http://t.co/8jyFoxgQlc http://t.co/QDC6qgZ3rK pic.twitter.com/s0WfJJ74eu

— Anonymous (@OpHunAnon) October 26, 2014

Viele sehen in den Plänen der rechtsgerichteten Regierung Viktor Orbáns eine weitere Maßnahme zur Einschränkung der Medienfreiheit. „Die wollen uns zu den Staatsmedien treiben", sagte ein Demonstrant dem Wall Street Journal.

Dass eine Regierung im Informationszeitalter den Internetzugang mit rechtlichen Mitteln beschränken und besteuern will, ist in Europa bislang einzigartig. Erst kürzlich machte die Regierung Orbán Negativschlagzeilen durch die Besteuerung von Werbeeinnahmen aller nicht-staatlichen Sender und der kürzlichen Aufnahme von  faschistischer Literatur als Pflichtlektüre in Schulen. Nach der Einführung einer umfassenden Medienzensur durch die Kontrollbehörde NMHH vor zwei Jahren, stellt das Internet den letzten Hort des freien öffentlichen Austauschs und der Diskussion in Ungarn dar.

Orbáns Regierung wollte die Gigabyte-Steuer als ein finanzpolitisch adäquates und faires Mittel zur Erweiterung der Netzinfrastruktur verkaufen und versprach in einem Statement am Sonntag, Teile der Steuer auf die Internetanbieter umzulegen. Doch diese müssten im Umkehrschluss ihre Preise für den monatlichen Zugang erhöhen.

the best of the day: " @SuJuSielaff: Facebook ist überall. via @OpHunAnon: #nettax #netado pic.twitter.com/VaT3P4i1oW" #Hungary #internettax

— dieNagashi (@dieNagashi) October 26, 2014

Daher wirken die Pläne trotz vermeintlicher Zugeständnisse innen- und außenpolitisch eher wie ein dürftig getarnter und ziemlich dreister Versuch, die Bürger von unabhängigen Informationsquellen abzuschneiden, wenn sie sich die Mediennutzung nicht mehr leisten können. Glücklicherweise wollen sich die Ungarn nicht so leicht veräppeln lassen.

Die Demonstranten haben sich in einer Facebookgruppe mit über 210.000 Unterstützern und in Twittergruppen unter dem Hashtag #NoNetTax organisiert, um weitere Proteste bis zur geforderten Rücknahme des Gesetzesentwurfs zu koordinieren. Die Demonstranten stellten der Regierung ein 48-stündiges Ultimatum, den Entwurf wieder zurückzunehmen. Für den morgigen Tag sind weitere Proteste angekündigt, wenn die Steuer im Parlament diskutiert wird.

Protesters against the proposed internet tax in Budapest, #Hungary. pic.twitter.com/MFEXb9Yf9L

— Lazlow (@lazlow_hu) October 26, 2014