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Warum Amazon-Mitarbeiter am "Black Friday" streiken

"Das Unternehmen reduziert uns zum Teil der Maschine, wir sollen einfach nur eine Lücke ausfüllen zwischen Computersystem und Regal."
Ein Amazon-Logistikzentrum in Spanien | Foto: imago | Agencia EFE 

Seit 6 Uhr morgens wird zurückreduziert. Der Onlineversandhändler Amazon hat den heutigen Freitag zum "Black Friday" erklärt. Alle fünf Minuten werden den Kunden neue "Blitzangebote" unterbreitet: Grillhandschuhe, Funksteckdosen, Babykostwärmer. Das eine Produkt bekommt man 20 Prozent günstiger, das andere sogar 40 Prozent. Genau einen Monat vor Heiligabend räumt Amazon die Lager leer. So zumindest der Plan. Das Problem: Die Beschäftigten und die Gewerkschaft Verdi bestreiken Teile des deutschen Betriebs. Sie wollen die "Black Friday"-Auslieferungen verzögern und so Amazon endlich und erstmals zu Verhandlungen mit seinen Beschäftigten bewegen.

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Derzeit betreibt Amazon elf Logistikzentren an zehn Standorten in Deutschland. Über 12.000 festangestellte Mitarbeiter arbeiten dort laut Unternehmensangaben. Im Februar dieses Jahres kündigte Amazon an, dass bis Ende 2017 sogar 16.500 Mitarbeiter beschäftigt werden sollen. Für das Weihnachtsgeschäft will das Unternehmen zusätzlich nochmals 13.000 Saisonarbeiter kurzfristig einstellen.

Die Arbeit, die Interessierte dort erwartet, beschreibt Mitarbeiter Christian Krähling so:

"Das Unternehmen reduziert uns zum Teil der Maschine, wir sollen einfach nur eine Lücke ausfüllen zwischen Computersystem und Regal."

Krähling ist Streikführer am größeren von zwei Lieferzentren im hessischen Bad Hersfeld. VICE erreicht ihn nach der Streikversammlung. Jeder Zehnte der insgesamt 5.000 Beschäftigten beteilige sich am Streik, sagt Krähling. Allerdings sind an dem Standort bereits mehr als die Hälfte aller Beschäftigten Saisonkräfte. Dafür wurde in Leipzig, Graben und Rheinberg ebenfalls die Arbeit unterbrochen.

Amazon-Mitarbeiter streiken regelmäßig. Zuletzt Ende September dieses Jahres, als das Videospiel "FIFA 18" ausgeliefert werden sollte. Und eben jetzt wieder. Die FAZ, seit jeher Verlautbarungsorgan des deutschen Arbeiterkampfs, kommentiert die aktuellen Aktionen mit: "Und täglich grüßt das Murmeltier".

Christian Krähling sagt, die Arbeiter hätten in den letzten Jahren durch die Streiks etliche Verbesserungen erreicht, etwa mehrere "relativ moderate" Lohnerhöhungen und ein Weihnachtsgeld. Die Geschäftsleitung hätte sich immer bemüht, den Streikenden entgegenzukommen, sagt Krähling. Auch der Betriebsrat sei durch die zahlreichen Aktionen handlungsfähiger geworden. Bis heute ist Amazon keinem Arbeitergeberverband beigetreten und hat nie direkt mit den Gewerkschaften und Arbeitern verhandelt. Genau das ist aber nun die wichtigste Forderung der Streikenden.

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Glücklich am Produktescannen, so zeigt Amazon seine Mitarbeiter auf Pressefotos | Foto: Amazon Deutschland

Neben dem Geld geht es den Mitarbeitern um das Klima im Betrieb. Krähling sagt, das Unternehmen kontrolliere seine Angestellten permanent. "Es gibt häufig Abmahnungen wegen Nichtigkeiten, etwa weil jemand 10 Sekunden zu früh seinen Arbeitsplatz verlassen hat." Amazon sei auf Zahlen fixiert, auf Einheiten, die pro Stunden zu schaffen sind. Der Mensch habe da oft das Nachsehen, sagt der Gewerkschafter. "Viele resignieren dann, sie bleiben im Unternehmen, kündigen aber innerlich. Andere gehen in den Widerstand. Und wieder andere nehmen das alles so hin."

Den Erfolg von Amazon haben die Arbeitsbedingungen nicht geschmälert, vermutlich haben die geringen Personalkosten ihn sogar eher gefördert. Die Firma aus Seattle ist das viertwertvollste Unternehmen der Welt. Auch weil das Geschäft in Deutschland so gut läuft. Mehr als jeder zweite Deutsche bestellt regelmäßig bei Amazon. Seinen Umsatz hat der Konzern im letzten Jahr um fast 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gesteigert – auf umgerechnet rund 13,3 Milliarden Euro. Der gesamte deutsche Einzelhandel, zu dem auch Amazon gehört, setzte im selben Zeitraum 486,5 Milliarden Euro um.


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Erstmals erhalten die Streikenden nun auch Unterstützung durch eine neue Aktion namens "Make Amazon Pay". Sie besuchte am Freitagvormittag die Streikenden in Leipzig und organisierte zuvor mehrere Infoveranstaltungen in verschiedenen deutschen Städten. Dahinter verbergen sich vor allem linke und linksradikale Gruppen, wie einer der Aktionssprecher, Jonathan Schneider, gegenüber VICE erklärt.

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Doch anders als es der markige Titel der Aktion verheißt, will hier niemand, dass Amazon "zahlen muss". Zumindest vorerst nicht. Zwar würde auch Schneider das Unternehmen zwar gerne langfristig enteignen und den Nutzern übergeben. Heute geht es bei der Aktion aber erstmal um die "arrogante Haltung" von Amazon. Das Unternehmen soll sich endlich mit den Gewerkschaften an den Verhandlungstisch setzen.

Aber Schneider sagt, ihm und seinen Mitstreitern gehe es auch um die Kunden: "Amazon ist darauf ausgerichtet, rund um die Uhr Daten von den Nutzern zu bekommen und zu verwerten – auch sensible Daten." Schneider fordert, dass Amazon seine Sammelwut einschränkt und gleichzeitig transparenter wird. Fraglich, ob er das mit ein paar Flyern und Gesprächsrunden eines der mächtigsten Unternehmen der Welt beeindruckt.

Aber was wäre wenn die Millionen deutschen Amazon-Kunden den Onlineversand für einen Tag boykottieren, einen #buynothingday einlegen oder mal wieder in der nächsten Innenstadt einkaufen gehen würden? Würde das nicht Druck erzeugen?

Aktivist Schneider und Gewerkschafter Krähling lehnen einen Boykott ab. Man dürfe weiterhin Bücher, Schlüpfer und Sextoys bei Amazon bestellen, ein Boykott würde nur den Mitarbeitern schaden.

Um Kritik am Unternehmen auszudrücken, hat Krähling einen andere Idee: "Legt Briefe in die Pakete, wenn ihr Produkte zurückschickt. Die Arbeiter in der Retourenstelle werden die Briefe an die Geschäftsleitung weitergeben."

Christian Krähling und seine Kollegen werden auch am morgigen Samstag streiken. Danach entscheiden sie, wie es weitergeht.

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