Illustration einer Person vor psychedelischem Hintergrund, der Kopfbereich ist mit einer Lupe vergrößert, er zeigt ein zerfließendes Smileygesicht, viele Menschen schwören auf Microdosing mit LSD, aber wissenschaftlich bewiesen sind die Vorteile nicht.
Collage: Cathryn Virginia | Fotos: Izusek nd 4x6 via Getty Images
Drogen

Funktioniert Microdosing überhaupt? Wissenschaftlich belegt ist es noch nicht

Trotzdem berichten begeisterte User, dass ihnen kleine Dosen LSD gegen Depressionen, Angststörungen und ADHS helfen.

 Am Ende ihres 30-tägigen Experiments ist sich Ayelet Waldman nicht ganz sicher, was sie da gespürt hat: War es das LSD oder doch nur der Placeboeffekt? Völlig überzeugt ist sie dagegen von etwas anderem: Die Depressionen und Angststörungen, an denen sie normalerweise leidet, fühlte sie an vielen Tagen weniger stark, an denen sie sehr geringe Mengen LSD nahm, sogenannte Mikrodosen.

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Microdosing, wie Waldman es in ihrem Buch Ein richtig guter Tag beschreibt, ist der Konsum einer psychedelischen Droge wie LSD oder Psilocybin in einer so geringen Dosis, dass man die Wirkung nicht bewusst spürt. Für LSD beträgt die Menge einer Microdosis zwischen fünf und zwanzig Mikrogramm, für Magic Mushrooms zwischen 0,1 und 0,4 Gramm. Man hat keine Halluzinationen oder fühlt sich anderweitig high, dafür soll Microdosing, so berichten es zumindest seine Anhänger, dabei helfen, Kreativblockaden zu lösen und Depressionen sowie Angststörungen zu lindern. Microdosing ist in den vergangenen Jahren zu einer Art Allheilmittel für Millennials in gut bezahlten und kreativen Berufen geworden.

Im Bericht der Global Drug Survey von 2021, einer weltweiten Umfrage zum Drogenkonsum, gab ein Viertel der Konsumentinnen und Konsumenten psychedelischer Drogen an, im vergangenen Jahr Microdosing ausprobiert zu haben. LSD-Derivate, die noch bis Mitte September legal sind, gibt es auch im Microdosing-Format zu kaufen.


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Wissenschaftliche Studien haben allerdings immer wieder die Wirksamkeit von Microdosing infrage gestellt. Wie die Autorin Waldman vermuten viele Forscherinnen und Forscher einen Placeboeffekt hinter den wahrgenommenen Stimmungsverbesserungen. Ist Microdosing also ein Mythos oder ist der Hype doch gerechtfertigt?

In seinem Buch The Science of Microdosing Psychedelics schreibt der deutsche Soziologe und Psychiater Torsten Passie, dass es bereits 1947 die ersten Untersuchungen zu geringen LSD-Dosen gab. Obwohl die Forschung bis in die 1960er Jahre fortlief, lieferte sie nur begrenzte Einblicke in die Auswirkung von Microdosing auf die psychische Gesundheit.

Erst 2010 begann der amerikanische Psychologe James Fadiman, der seit den 60ern zu psychedelischen Drogen forscht, eine Datenbank mit Microdosing-Erfahrungsberichten von Nutzern anzulegen. Einige dieser Berichte behandelte er auch in seinem einflussreichen Buch The Psychedelic Explorer's Guide. Im Laufe der Jahre wurde Microdosing immer bekannter. Maßgeblich dazu beigetragen hat auch 2015 ein Rolling Stone-Artikel über Angestellte von Tech-Firmen im Silicon Valley. Viele weitere Artikel und Berichte folgten.

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Ein Fliegenpilz im Wald, im Hintergrund sieht man verschwommen eine Pilzsammlerin mit einem Korb

Foto: Philippe Huguen/AFP via Getty Images

2019 erschien eine Sondierungsstudie mit über 1.000 Erfahrungsberichten, die Fadiman gesammelt hatte. In allen soll Microdosing unterschiedliche positive Auswirkungen auf die mentale Gesundheit gehabt haben.

Da diese subjektiven Erfahrungen aber nur wenig über die tatsächliche medizinische Wirkung aussagen, ist es wichtig, Microdosing nach strengeren wissenschaftlichen Kriterien zu untersuchen. Und was sagt die Forschung?

2020 wurde an der Universität Maastricht eine Studie mit 24 Probanden durchgeführt, die in einem Abstand von mindestens fünf Tagen LSD-Dosen zwischen fünf und zwanzig Mikrogramm bekamen. In der Zusammenfassung schreiben die Forscherinnen und Forscher, dass "die Studie bei einer Mehrzahl der Beobachtungen eine zuträgliche Wirkung von geringen LSD-Dosen auf Stimmung und Kognition zeigte".

Interessanterweise entdeckten einige der Forscherinnen und Forscher, dass Microdosing mit LSD die BDNF-Werte erhöht. BDNF ist ein Protein, das wichtig für die Neuroplastizität des Gehirns ist – also der Fähigkeit des Gehirns, die eigenen Nervenbahnen an Erfahrungen anzupassen. Man vermutet, dass eine Störung der Neuroplastizität eine entscheidende Rolle bei Depressionen spielt. Nach dieser Logik könnte man Depressionen behandeln, indem man die Neuroplastizität stärkt.

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Mit einer im März 2021 erschienen Studie des Centre for Psychedelic Research vom Imperial College London änderte sich dann allerdings der Ton. 191 sogenannte Citizen Scientists, also forschende Laien, nahmen dafür selbstgemachte Gelkapseln, die entweder 13 Mikrogramm LSD oder ein Placebo enthielten. Die LSD-Probanden stellten eine Verbesserung ihrer Stimmung, eine Linderung von Angstzuständen und eine Verbesserung ihrer Kreativität fest. Es gab allerdings einen Haken: Die Studienteilnehmer, die das Placebo genommen hatten, berichteten von ähnlichen Verbesserungen. Prompt nahmen Medien die Studie zum Anlass, die vermeintlichen Vorteile des Microdosings als Placeboeffekt abzutun. Aber ist es wirklich so einfach?

Der leitende Autor der Studie, Balázs Szigeti sagt: "Die Menschen in der Microdosing-Gruppe zeigten in fast allen Bereichen Verbesserungen – vom allgemeinen Wohlempfinden über Lebenszufriedenheit bis hin zur Achtsamkeit. Ich denke, dass das viele Gründe fürs Microdosing bestätigt. Generell glaube ich, dass sich Menschen, die microdosen, besser fühlen als die, die es nicht tun." Das sei allerdings auch nur eine Seite, wendet er ein. "Diese Effekte lassen sich mit einem aktiven Placebo reproduzieren. Das ist allerdings nicht dasselbe wie keine Wirkung zu haben."

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Der Placeboeffekt ist ein komplexes wie potenziell effektives Werkzeug. Eine Meta-Analyse verschiedener Studien zu Antidepressiva stellte 2018 kaum klinische Unterschiede zwischen der Wirkung von Antidepressiva und Placebos fest. 2021 zeigte eine andere Studie, dass positive Erwartungen die Wirkung von Microdosing auf die mentale Gesundheit verbessern.

Ist es möglich, dass die positive Medienberichterstattung über Microdosing die Forschungsergebnisse beeinflusst hat? "Ohne Zweifel", sagt Dimitrios Liokaftos, ein Forscher am Public Health Institute der Liverpool John Moores University. "Wenn man seinen Nischencharakter bedenkt, hat Microdosing in den vergangenen Jahren eine erhebliche Medienberichterstattung erfahren, vor allem in den Mainstreammedien. Die meisten dieser Artikel basierten auf Erfahrungsberichten, welche besonders anfällig für den Placeboeffekt sind."

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Auf Szigetis Studie folgten zwei laborgestützte Arbeiten, die mit kleineren Versuchsgruppen arbeiteten – die eine mit 56 und die andere mit 75 Probanden. Beide kamen zu dem Ergebnis, das Microdosing kaum Auswirkungen auf die Gefühlsverarbeitung und die generelle Stimmung hat

Eine ältere blonde Frau mit weißer Bluse und grüner Jacke steht in einem gepflegten Garten mit stark getrimmten Hecken

Amanda Feilding | Foto: Imogen Freeland für VICE

Amanda Feilding ist die Gründerin der Beckley Foundation – einer Stiftung, die Forschung zu psychedelischen Substanzen fördert. Auch die Studien des Imperial College und der Universität Maastricht wurden von der Beckley Foundation unterstützt. Feilding hat allerdings auch ein paar Ideen, was man bei zukünftigen Microdosing-Studien besser machen könnte. 

"Wie unsere Beckley/Maastricht-Studie gezeigt hat, waren die positiven Auswirkungen auf die Stimmung bei den höchsten getesteten LSD-Dosen von 20 Mikrogramm am deutlichsten. Das ist die höchste Menge, die noch als Microdosis gilt", sagt Feilding. "Die weit verbreitete Ansicht, dass Microdosing unter der Wahrnehmungsgrenze liegen muss, sollte entsprechend überdacht werden – zumindest, was die Wirkung auf die Stimmung angeht."

Aktuell entwickle man eine Studie, die dabei helfen soll, die optimale Mikrodosis für eine Einzelperson zu bestimmen, sagt Fielding. Sie merkt außerdem an, dass "es bislang keine Studie gab, die sich mit der Wirkung von Microdosing auf depressive Menschen befasst hat". Alle bisherigen Studien habe man mit gesunden Menschen durchgeführt, was die große Diskrepanz zwischen den überwiegend positiven Erfahrungsberichten und den eher nüchternen Studienergebnissen erklären könnte.

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Die Beckley Foundation werde bald mit der Forschung zum potenziellen Zusammenwirken zwischen Microdosing und Meditation beginnen und das schmerzstillende Potenzial von Psychedelika untersuchen. In Maastricht ist momentan eine Studie in Arbeit, die die Wirkung von LSD-Microdosing auf ADHD erforscht. Bereits in dem vorhin erwähnten Rolling Stone-Artikel von 2015 bezeichnet James Fadiman LSD-Microdosing als "eine extrem gesunde Alternative zu Adderall". Adderall ist ein amphetaminhaltiges Medikament gegen ADHS, das von einigen wegen seiner konzentrationssteigernden und wachmachenden Wirkung zum Lernen und Arbeiten verwendet wird. Auch Szigeti, der laut eigener Aussage für seine Placebostudie heftig von der Microdosing-Community kritisiert wurde, sagt, er sehe die Zukunft des Microdosings im Bereich ADHS.

Hat der Microdosing-Hype der Forschung geholfen oder sie eher behindert? "In gewisser Weise hat es dabei geholfen, den Ruf psychedelischer Drogen zu verbessern. Diese Konsumform ist für die Öffentlichkeit weitaus akzeptabler, da viele Menschen zögern, halluzinogene Dosen von Psychedelika zu nehmen", sagt Feilding. "Der Medien-Hype ums Microdosing fußt allerdings nicht auf gründlicher Forschung, was schade ist."

Ayelet Waldmans 30-tägiges Experiment hat ihr Leben verändert, trotzdem beendete sie den Hauptteil ihres Buches Ein richtig guter Tag mit einem Aufruf zu mehr Forschung über Microdosing. Wie denkt sie heute darüber? 

"Mir war immer bewusst, dass die Möglichkeit bestand, dass einige der Effekte, die ich spürte, einem Placeboeffekt zugerechnet werden können – und aktuelle Forschung weist darauf hin, dass das der Fall gewesen sein könnte", sagt Waldman. "Seit Kurzem interessiere ich mich für die Theorie von moderaten Dosen in semiregelmäßigen Intervallen – zum Beispiel alle paar Monate 50 Mikrogramm. Dazu würde ich gerne Forschungsarbeiten sehen. Außerdem würde ich mich freuen, wenn es Forschung mit Frauen im Mittelpunkt gibt, da wir häufig in der Wissenschaft vernachlässigt werden."

Vergangenen Mai erschien in der Fachzeitschrift Neuroscience & Biobehavioral Reviews die bislang größte systematische Review von 44 Microdosing-Studien. Dort heißt es: "Die Behauptungen, dass sich die Effekte des Microdosings vor allem auf die Erwartungshaltung zurückführen lassen, sind voreilig und wahrscheinlich falsch." Die Frage ist also offensichtlich noch nicht abschließend geklärt.

Unabhängig davon, ob sich Microdosing in Zukunft als Medizin oder Mythos erweisen wird, füllt es zumindest die Laborpläne von Feildings Kolleginnen und Kollegen. "Ich hoffe, dass die Arbeit, die ich mit der Beckley Foundation mache, diese Lücke bald füllt", sagt sie, "und ein klareres Bild darüber schafft, was Microdosing kann und nicht kann".

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