Der Diktatoren-Stalker
Foto zur Verfügung gestellt von François Pilet

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The Hello Switzerland Issue

Der Diktatoren-Stalker

Der Journalist François Pilet hat einen Bot entwickelt hat, mit dessen Hilfe man gezielt Flugzeuge tracken kann – ein Interview.

Dieser Text erschien zuerst in der 'The Hello Switzerland Issue' – dem ersten VICE-Magazin, das vom ersten bis zum letzten Buchstaben in der Schweizer Redaktion entstanden ist.

Am 19. Mai 2017, ein vielversprechender Frühlingstag, hob um 11 Uhr 9 Minuten 57 Sekunden ein Regierungsflugzeug aus Qatar vom Rollfeld in Genf ab. Es war ein Airbus 320 mit dem Luftfahrzeugkennzeichen A7-MBK. So steht es in einem der zahlreichen Tweets des Twitter-Accounts "GVA Dictator Alert". Der Bot setzt jeweils automatisch einen Tweet ab, wenn ein Flugzeug eines autoritären Regimes in Genf gelandet oder gestartet ist.

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GVA ist die internationale Abkürzung des Genfer Flughafens, der voriges Jahr 16.5 Millionen Passagiere beförderte – darunter viele Geschäftsleute und Politiker. Geschäfte lassen sich in Genf, einer Stadt, in der sich Privatbanken neben Handelsfirmen reihen, gut machen. Macht sich dabei so manch Alleinherrscher auch gleich die eigenen Taschen voll? Das ist eine der Fragen, die der Journalist François Pilet mit seinem Twitter-Bot aufwerfen möchte. Wir haben mit ihm gesprochen.

VICE: Wie sind Sie darauf gekommen, den Twitter-Account GVA Dictator Alert zu eröffnen?
François Pilet: Die Idee kam mir während der Recherche zu einer Investigativreportage zu einem Genfaufenthalt von Teodorin Obiang, dem Sohn des Vize-Präsidenten von Äquatorialguinea. Dieser Artikel ist letztes Jahr im Magazin L'Hébdo erschienen. Das Flugzeug der Obiangs landete wiederholt in Genf, obwohl es für den europäischen Luftraum eigentlich gesperrt war. Das warf Fragen auf. Wozu waren sie hier, wenn nicht für diplomatische Zwecke?

GVA Dictator Alert ist ein provokativer Name für einen Twitter-Bot. Was ist Ihrer Definition nach ein Diktator?
GVA Dictator Alert trackt Flugzeuge, die von autoritären Regimes gebraucht oder auf deren Namen registriert sind. Bei der Definition von "autoritären Regimes" richten wir uns nach dem Demokratie-Index von 2015 der Economist Intelligence Unit.

Was haben Diktatoren in Genf zu suchen?
Das ist genau die Fragen, die wir mit dem Twitter-Account in die Runde werfen wollen. Einige kommen hierher für legitime diplomatische Angelegenheiten. Andere kommen hierher, um das Geld zu verstecken, das Sie zuvor von ihren Landsleuten gestohlen haben.

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"Bei jedem ihrer Aufenthalte sollten wir uns diese Frage stellen: Warum kommen diese Führer nach Genf?"

Wie funktioniert der Twitter-Bot?
Diese sogenannten ADS-B-Flugdaten sind öffentlich zugänglich. In der Nähe des Flughafens steht ein solcher Funkmast. Der Account, den wir betreiben, ist also legal. Wir arbeiten nach dem gleichen System wie der bekannte Live-Flight-Tracker Flightradar24. Wir haben bestimmte Flugzeuge gelistet, die aus autoritären Ländern kommen. Sobald die Antenne ein solches Flugzeug erkennt, wird automatisch ein Post rausgeschickt. Mein Cousin hat mir bei der technischen Komponente geholfen.

Wissen Sie jeweils, wer im Flugzeug sitzt?
Das können wir nicht eruieren. Wir können lediglich zuordnen, welche ankommenden Flugzeuge autoritären Regierungen gehören.

Wer sind Ihre Follower auf GVA Dictator Alert?
Es ist eine sehr diversifizierte Gruppe. Einer unserer prominenteren Follower ist beispielsweise das US-Justizministerium.

Was möchten Sie mit GVA Dictator Alert erreichen?
Wir wollen Transparenz hervorbringen und die Völker der betroffenen Länder über den Aufenthalt ihrer Führer in Genf informieren. Der Bot ist ein Werkzeug, um Untersuchungen über solche Aufenthalte zu dokumentieren. Bei jedem ihrer Aufenthalte sollten wir uns diese Frage stellen: Warum kommen diese Führer nach Genf? Kommen sie wegen diplomatischen Angelegenheiten? Oder kommen sie zu privaten Zwecken?

Einigen Diktatoren werden illegale Geldgeschäfte vorgeworfen. Würde es die Sache besser machen, wenn Sie mit ihren Clans "nur" zum Shoppen in Genf wären? Oder überschreiten sie sowieso die Grenzen diplomatischer Sonderkonditionen, weil sie kommen und gehen können, wie sie wollen?
Guter Punkt. Der Fall zu Teodorin Obiang beispielsweise ist interessant. Die Behörden interessieren sich immer mehr dafür, woher das Geld kommt – auch wenn es "nur" für Shopping ist. Das zeigen auch die Ermittlungen, die gegen ihn laufen.

Immer wieder ist die Rede davon, dass die jungen Söhne und Töchter der Diktatoren ein Luxusleben führen. Wissen Sie, was sie so machen, wenn sie nach Genf kommen?
Nein, das wissen wir nicht. Aber wir haben eine Idee für ein Projekt, um mit einem ähnlichen Werkzeug Luxuskarossen aufzuspüren, welche von Leadern von autoritären Regierungen genutzt werden. Dann könnten wir mal aufzeigen, dass die Kinder dieser Politiker gerne mit Ferraris in Genf rumkurven.
Warum sind Sie überhaupt Investigativjournalist geworden?
Ich habe eine Leidenschaft für die verborgenen Seiten der Wirtschafts- und Geschäftswelt. Weil in dieser Welt die Realität manchmal die Fiktion, die Macht unserer Vorstellung, überholt.

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