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Meinung

Warum es ein peinlicher Witz ist, deutschen IS-Kämpfern den Pass zu entziehen

Die Regierung will keine Verantwortung übernehmen für Deutsche, die im Ausland morden.
Drei Kämpfer des Islamischen Staates zeigen in den Himmel
Foto: Medyan Dairieh, für seine VICE-Dokumentation über den islamischen Staat im Juni 2014

Für Lukas ist der Krieg zu Ende. Im ostsyrischen Baghus, wo der Islamische Staat gerade sein letztes Gefecht verliert, werden seine Brüder in Grund und Boden bombardiert. Aber weil der Deutsche im Januar rechtzeitig geflohen ist, sitzt er jetzt 200 Kilometer nördlich von ihnen in einem kurdischen Knast – und wartet darauf, wieder nach Hause zu dürfen.

Das ist allerdings nicht so einfach. Nicht, weil die Kurden ihn nicht gehen lassen würden – die wollen ihn lieber heute als morgen loswerden. Sondern weil Deutschland ihn nicht zurücknehmen will.

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Lukas G. weiß das. "Ich habe mich der gefährlichsten, brutalsten Terrororganisation der Welt angeschlossen", sagt der 23-Jährige in einem Interview mit VICE. "Ich erwarte nicht, dass Deutschland mich mit einem Blumenstrauß empfängt."

Für den Moment sieht es allerdings so aus, als würde Deutschland Menschen wie Lukas G. am liebsten gar nicht empfangen. Stattdessen soll sich die Regierung jetzt darauf geeinigt haben, deutschen Terroristen mit doppeltem Pass einfach die deutsche Staatsbürgerschaft zu entziehen. Das berichten SZ, NDR und WDR.

Eine Entscheidung, die genauso peinlich wie sinnlos ist

Diese Entscheidung ist peinlich und sinnlos. Peinlich ist sie, weil sie ein sehr deutliches Signal sendet, dass Deutschland keine Verantwortung für seine Staatsbürger mehr übernehmen will, wenn die in fremde Länder reisen und dort Menschen terrorisieren.


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Monatelang haben deutsche Politiker und Politikerinnen sich um die Frage gedrückt, was mit den über hundert Deutschen geschehen soll, die jetzt in kurdischen Gefängnissen sitzen, nachdem sie sich dem Islamischen Staat angeschlossen hatten. Auf die drängenden Bitten der Kurden, endlich Verantwortung für ihre Staatsbürger zu übernehmen, reagierten deutsche Politiker vor allem mit verdruckten Ausflüchten, dass das logistisch sehr schwierig sei.

So weit wie die Briten, die ihren Terroristen schon länger einfach die Pässe wegnehmen und so jede Rückreise unmöglich machen, wollten die deutschen Politiker allerdings lange nicht gehen. Sie wussten auch warum: "Wir erwarten von der ganzen Welt, dass Asylbewerber, die in Deutschland Straftaten begangen haben, oder Gefährder von ihren Herkunftsländern zurückgenommen werden", sagte selbst Innenminister Horst Seehofer noch vor zwei Wochen der Süddeutschen. "Da können wir nicht im Gegenzug sagen: Wir nehmen solche Leute nicht zurück."

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Jetzt stellt sich heraus: Wenn es sich um Menschen mit zwei Staatsangehörigkeiten handelt, dann findet Deutschland offenbar durchaus, dass es das sagen kann.

Aber mit welchem Recht? Und was passiert, wenn andere Länder dem deutschen Beispiel folgen? Warum soll zum Beispiel Tunesien in Zukunft für einen Deutsch-Tunesier die Verantwortung übernehmen – und nicht seinerseits die Staatsbürgerschaft als erstes entziehen?

Was soll das für eine Botschaft an die Welt senden – vor allem an die Menschen in Syrien und im Irak? Dass diese Leute jetzt ihr Problem sind, weil sie ja schließlich auch bei ihnen gemordet haben? Das ist besonders erbärmlich für die Union, die sonst so energisch darauf pocht, dass kriminelle Flüchtlinge in ihr Herkunftsland abgeschoben werden sollen – sogar nach Syrien, wenn es nach den Hardlinern geht. Das finden CDU/CSUler dann also fair: Kriminelle Syrer sollen nach Syrien. Kriminelle Deutsche aber auch.

Warum die Entscheidung auch noch sinnlos ist

Abgesehen von dem fatalen Signal, die sie aussendet, wird diese Entscheidung nichts dazu beitragen, die aktuelle Situation zu lösen. Denn selbst wenn die Bundesregierung dieses neue Gesetz verabschiedet, dann wird es nicht rückwirkend auf die Menschen anwendbar sein, die sich dem Islamischen Staat angeschlossen haben. Das Gesetz würde also nur für Menschen gelten, die sich in der Zukunft einer Terrororganisation im Ausland anschließen.

Das bedeutet im Klartext: Die Idee trägt nichts zur Lösung der aktuellen Probleme bei. Aber sie macht allen unseren potenziellen Verbündeten für die Zukunft deutlich, dass man sich nicht auf Deutschland verlassen kann, wenn es wirklich unangenehm wird.

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