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Warum das neue EU-Gesetz eine Gefahr für das gesamte Internet ist

Der Netzexperte Cory Doctorow warnt eindringlich vor der Urheberrechtsreform, über die das EU-Parlament morgen abstimmt. Noch können EU-Bürger etwas tun, um Upload-Filter und Leistungsschutzrecht zu stoppen.
Am 20. Juni stimmt der Rechtsausschuss des EU-Parlaments über die Reform des Urhebrrechts ab | Bild: imago | Travel-Stock-Image

Am 20. Juni wird der Rechtsausschuss des EU-Parlaments über eine Reform des Urheberrechts abstimmen, die zur Einführung eines sogenannten Leistungsschutzrechts in Europa führen könnte. Besonders umstritten ist dabei der Artikel 11 der Reform. Wenn der Vorschlag durchkommt, können private Verlage für ihre Inhalte ein Jahr lang Lizenzgebühren verlangen, wenn diese beispielsweise in Suchmaschinen oder in sozialen Netzwerken angezeigt werden. Dafür reicht es schon, wenn zusätzlich zum Link auch die Überschrift oder ein "kurzer" Textauszug gezeigt werden.

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Das könnte eine Gefahr für das offene Internet sein, denn indem sie eine Lizenz nicht erteilen, könnten Nachrichtenseiten die Verbreitung ihrer Inhalte bzw. sogar schon Hinweise auf ihre Inhalte unterbinden. Die neue Regelung würde für alle Dienste gelten, bei denen Links auf Nachrichtenmeldungen gesetzt werden können, also soziale Medien wie Facebook oder Snapchat, Suchmaschinen wie Google aber auch Blogs und sogar nicht-kommerzielle Projekte wie Wikipedia. Darum wird das Leistungsschutzrecht auch als "Linksteuer" bezeichnet.

Die Verlage erhoffen sich von der Reform vor allem, Lizenzgebühren von Internetriesen wie Google, Twitter und Facebook fordern zu können. Bisher fallen Links, Überschriften und Textvorschauen nicht unter das Urheberrecht. Doch Nachrichtenseiten sind der Meinung, dass sie einen Teil des Profits abbekommen sollten, der mit den Links auf ihre Inhalte erwirtschaftet wird. Besonders Axel-Springer-Verlagschef Matthias Döpfner sieht in dem Gesetz den einzigen Weg, eine Benachteiligung von Medien und Verlagen gegenüber den Silicon-Valley-Konzernen zu beenden.

Das Leistungsschutzrecht befördert indirekt die Monopolstellung von Google

Egal, was ihr selbst von dem Kampf zwischen Verlagen und Tech-Giganten haltet, die neue Linksteuer sollte für jeden Internet-Nutzer ein Grund zur Sorge sein. Denn ironischerweise wird die Reform die Machtposition von Facebook, Google und Co. nur noch weiter festigen. Vielleicht werden sie einen Teil ihrer Gewinne mit den Nachrichtenseiten teilen – oder aber sie werden Nachrichtenanbieter boykottieren, bis diese einer "freien Lizenz" zustimmen. Genau das passierte nämlich 2013, als in Deutschland bereits das Leistungsschutzrecht für Presseverleger eingeführt wurde. Am Ende erlaubten viele deutsche Publikationen Google und anderen die kostenlose Nutzung ihrer Inhalte – zu sehr fürchteten sie, dass die Besucherzahlen auf ihren Websites einbrechen würden.

Falls ihr darauf hofft, dass es eines Tages Alternativen zu Facebook und Co. geben könnte, die mehr auf europäische Verbraucher zugeschnitten sind, ihre Nutzer nicht ausspionieren und besser mit Online-Belästigung und Hassrede umgehen, dann sinken diese Chancen mit dem Leistungsschutzrecht gegen Null. Die Kosten wären schlichtweg zu hoch, um sich als neues Unternehmen neben den bestehenden Plattformen zu etablieren, die aufgrund ihrer Marktmacht bereits ihre Deals gemacht hätten, um die Folgen des Leistungsschutzrechts für sie zu umgehen.

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Die EU erlaubt eine chaotische Umsetzung des neuen Gesetzes

Es gibt noch ein Problem mit dem neuen Gesetz: Die Umsetzung der Regelung in den verschiedenen Mitgliedsstaaten. Die EU will nämlich ihren Mitgliedstaaten selbst überlassen, zu bestimmen, was genau unter das Leistungsschutzrecht fällt und was nicht. Somit kann jedes Land festlegen, ab welcher Länge ein "kurzer Auszug" lizenzpflichtig ist. Am Ende wird sich wahrscheinlich die strikteste Auslegung durchsetzen, weil internationale Plattformen ihr Angebot nicht für jedes Land einzeln anpassen wollen werden.

Ein weiteres Problem: Die Linksteuer könnte das Ende für wissenschaftliche und nicht-kommerzielle Projekte wie Wikipedia bedeuten, die nur Inhalte veröffentlichen, die frei geteilt werden dürfen. Selbst wenn Verleger Wikipedia und Wissenschaftlern freie Lizenzen erteilen, würden diese wahrscheinlich nicht dem Anspruch des offenen Zugangs genügen.

Schlimmer noch, die Steuer könnte wichtige politische Diskussionen eindämmen. Denn Links zu Nachrichtenartikeln sind für den öffentlichen Diskurs enorm wichtig. Wenn ihr der Meinung seid, dass die Regierung lügt, oder dass ein Regierungskritiker lügt, oder wenn ihr meint, dass ein Artikel Fehlinformationen verbreitet, sind Links die beste Art, um das Thema mit euren Mitmenschen zu diskutieren.


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Auch die neuen Upload-Filter stehen in der Kritik

Neben Artikel 11 der Urheberrechtsreform wird am Mittwoch auch über Artikel 13 abgestimmt. Dieser würde Plattformen wie Google und Facebook dazu zwingen, sogenannte Upload-Filter einzuführen: Inhalte von Nutzern sollen gefiltert werden, bevor sie auf der Plattform erscheinen, damit Urheberrechtsverletzungen gar nicht erst möglich werden. Kritiker befürchten, dass den automatischen Filtern auch Kunst, Satire und Memes zum Opfer fallen werden.

EU-Abgeordnete werden zur Urheberrechtsreform vor allem von Lobbyorganisationen kontaktiert – nicht aber von europäischen Verbraucherinnen und Verbrauchern. Doch es ist noch nicht zu spät: Heute und morgen könnt ihr eure Abgeordneten noch kontaktieren und sie wissen lassen, was ihr von der Urheberrechtsreform haltet. Auch ein Zusammenschluss verschiedener Kritiker wie Netzpolitik.org, dem deutschen Tech-Branchenverband bitkom und Perlentaucher hat sich bereits mit einem offenen Brief an die EU-Kommission gewandt.

Cory Doctorow ist Autor, Journalist, Aktivist und Blogger. Doctorow arbeitet für die Electronic Frontier Foundation und ist Mitgründer der Open Rights Group in England. Außerdem ist er Gastprofessor für Computerwissenschaften an der Open University.

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