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Der meistgesuchte Hacker Deutschlands ist wohl ein 20-jähriger Larry, der bei seinen Eltern wohnt

Offenbar haben die wichtigsten Ermittlungsbehörden Deutschlands tagelang einen Schüler gejagt, der vor allem die Inhalte fremder Adressbücher ins Internet gestellt hat.
Symbolbild eines Klassenzimmers und eines Polizisten
Bild: Symbolbild Klassenzimmer | Shutterstock | Vereshchagin Dmitry || Symbolbild Polizist | Shutterstock | Tobias Arheiger || Screenshot | Twitter || Bearbeitung: Motherboard

Der geheimnisvolle Hacker, wegen dessen Leaks Deutschlands Politiker, Journalistinnen und zahlreiche Promis seit Tagen nicht zur Ruhe kommen, ist wohl ein 20-Jähriger aus Hessen. Das berichteten die Staatsanwaltschaft Frankfurt und das BKA in einer Pressekonferenz am heutigen Dienstag, 8. Januar. Wie die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt gegenüber Motherboard per Telefon bestätigte, handelt es sich um einen Schüler, der noch bei seinen Eltern wohnt.

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Polizisten haben schon am Sonntagabend die Wohnung des Beschuldigten durchsucht, so die Ermittelnden. Der Verdacht: Ausspähen und unberechtigte Veröffentlichung personenbezogener Daten. Offenbar hatte der Schüler kein Interesse an Spielchen: "Er hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe umfassend eingeräumt und über eigene Straftaten hinaus Aufklärungshilfe geleistet", heißt es in der Pressemitteilung der Behörden. Der Beschuldigte habe allein gehandelt – "aus Verärgerung über öffentliche Äußerungen" der Personen, deren Daten er veröffentlichte.

Ob sich der Schüler tatsächlich über jede einzelne vom Leak betroffenen Person geärgert hat, lässt sich zumindest bezweifeln – schließlich tauchen im Leak rund 1.000 Personen auf, darunter jede Menge Namen von teils unbekannten Politikerinnen und Politikern, und zwar von allen im Bundestag vertretenen Parteien außer der AfD.

Läppisches Leak, maximale Verbrecherjagd

Für besonders bedrohlich schien die Polizei den Geständigen übrigens nicht zu halten: Er sei wieder auf freiem Fuß. All das wirft ein neues Licht auf die Debatte um das Datenleak. Seit dem 3. Januar wurde der Leak durch Statements von Spitzenpolitikern und durch aufgeregte Berichte von Nachrichtenmedien nahezu zur Staatsaffäre hochgejazzt. Justizministerin Katarina Barley (SPD) bezeichnete den Leak als "Angriff" auf einen "Grundpfeiler unserer Demokratie". Nachrichtenmedien wie Focus Online spekulierten, ob russische Nachrichtendienste etwas mit dem Leak zu tun hätten, nachdem Betroffene des Leaks mysteriöse Anrufe aus Russland erhalten haben sollten.

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Innerhalb kurzer Zeit hatte der Staat nahezu alle Behörden mobilisiert, die es gibt: Nach Berichten von dpa und Süddeutscher Zeitung hätten neben BSI, BKA und Bundespolizei sogar die Geheimdienste BND und der Verfassungsschutz bei der Jagd nach dem Hacker geholfen. Tagelang war also der ganze Polizeiapparat der Bundesrepublik auf der Jagd nach einem Schüler, und zahlreiche Nachrichtenmedien dichteten daraus einen Krimi.

Das Leak, das diese staatstragende Verbrecherjagd ausgelöst hat, ist nach aktuellem Stand aber ziemlich läppisch: Es besteht aus den Daten von rund 1.000 Personen, wie die Behörden bei der Pressekonferenz am 8. Januar bestätigten. Aber in den meisten Fällen gehen diese geleakten Daten nicht über Telefonnummern, E-Mail- und Postadressen hinaus. Das spricht dafür, dass bei Weitem nicht die Accounts aller Personen aus dem Leak gehackt wurden; auch sensible IT-Systeme des Staats waren offenbar nicht betroffen.

Stattdessen scheinen die meisten der Daten vor allem aus einigen wenigen gehackten Accounts zu stammen. Nur bei 50 Betroffenen seien die Daten Medienberichten zufolge ausführlicher, dazu gehören etwa Chat-Verläufe oder private Fotos der Familie.

Offenbar haben die wichtigsten Ermittlungsbehörden Deutschlands also tagelang einen Schüler gejagt, der vor allem die Inhalte fremder Adressbücher ins Internet gestellt hat. Das ist nicht gerade der Agentenkrimi über einen Meisterhacker, der eine Staatsaffäre auslöst – es ist eher die Teenie-Komödie über einen übermütigen Nerd, der aus dem Kinderzimmer heraus über die Geheimdienste stolpert.

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Doxing ist unter Influencern so bekannt wie Taschendiebstahl

Das provokante Veröffentlichen privater Daten ist im Netz seit Jahren als Doxing bekannt. Ständig leaken Trolle und fanatische Fans Adressdaten oder Telefonnummern von YouTube- und Instagram-Stars. YouTube-Stars wie Tanzverbot haben über ihre eigenen Doxing-Erfahrungen schon mehrfach genervte Videos veröffentlicht. Für Influencer ist das Doxing-Problem so alltäglich wie Taschendiebstahl auf dem Weihnachtsmarkt. Für deutsche Politkerinnen und Behörden offenbar nicht.

Tagelang ringen Politiker, Behörden und auch Nachrichtenmedien um die richtigen Worte für das, was da eigentlich passiert ist – von Doxing ist nur selten die Rede. Zunächst macht das Wort "Hackerangriff" die Runde, was Erinnerungen an den politisch brisanten Hackerangriff auf die IT der Bundesregierung im Frühjahr 2018 weckte. Als sich herausstellte, dass das Wort "Hackerangriff" eine Nummer zu groß war, fielen vermehrt die Wort Datendiebstahl, Datenklau, Datenleak und auch: Datenangriff.

Was so ein Datenangriff eigentlich sein soll, weiß wohl keiner genau. Selbst die Google-Suche hält das Wort für einen Fehler und möchte es zu "Datenabgriff" korrigieren. Das Ringen um Worte zeigt: Offenbar sind viele in Politik und medialer Öffentlichkeit überfordert mit der Frage, was die Veröffentlichung von Hunderten Kontaktdaten öffentlicher Personen bedeuten soll – und wie schlimm das wirklich ist. Der Prozess, der dem geständigen Schüler nun wohl bevorsteht, wird damit auch zur öffentlichen Nachhilfestunde in Sachen Doxing.

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