FYI.

This story is over 5 years old.

Vice Blog

Warum ich als Steirer für eine blauschwarze Koalition in der Steiermark bin

Nach dem „politischen Erdbeben" in der Steiermark könnte alles anders werden—oder vieles gleichbleiben. Unser Autor hat die wahrscheinlichsten Szenarien analysiert.
Foto von ::Lenz, via flickr

Am Sonntag wurde in der Steiermark gewählt. Und wie nach jeder Wahl wurde direkt im Anschluss analysiert, wer aller was genau wie falsch gemacht und was für ein Problem unser Land mit seinen Politikern und seinen Wählern hat.

Bei der PolitologInnenenrunde in Im Zentrum war mehrmals die Rede von der Zwickmühle, in der die „Großparteien"—gemeint sind Rotschwarz—sich angesichts der FPÖ befänden. Arbeite man harmonisch (zum Beispiel an der Abschaffung der Errungenschaften des Sozialstaats), heißt es seitens der WählerInnen, „die da oben tun nix als packeln"; stellt man dagegen die internen Konflikte der Regierenden sichtbar aus, heißt es „die sollen einmal aufhören, zu streiten".

Anzeige

In beiden Fällen gewinne, so der Weisheit jener Runde letzter Schluss, die FPÖ. Jedes, aber auch jedes Thema wisse die FPÖ in einen Nebenschauplatz des sogenannten „Ausländerthemas" zu verwandeln. Und auch hier wären die anderen Parteien angeblich in der Zwickmühle: Verhält die rotschwarze Machterhaltungstruppe sich vernünftig, unverhetzt, minimalhuman, dann kann die FPÖ punkten, weil sie als einzige „die Sorgen der Menschen ernstnehme"; nimmt man jedoch den Bullshit der Blauen in sein eigenes Programm oder die eigene Rhethorik auf, dann „treiben die Blauen erfolgreich die Regierung vor sich her, hatten immer schon recht", werden also erst recht gewählt.

Das ist natürlich alles zusammen genau so richtig, wie es auch falsch ist. Richtig ist es in der Beschreibung der wahlarithmetischen Effekte des Klimas im Land und in den Parteistrukturen. Falsch ist es, weil es die wichtigsten Faktoren außer Acht lässt, die zu diesem Klima beitragen.

Erstens: SPÖ, ÖVP und in zunehmendem Maße auch die Grünen stellen keine Parteien mehr dar, die klar bestimmte Hoffnungen, klar bestimmte Begriffe von Gesellschaft auch nur verwalten, geschweige denn für ihre Verwirklichung streiten würden. Sie sind stattdessen Trachtenvereine mit austauschbarer Grundhaltung gegenüber der Welt, in der wir leben, mit je ein paar fetischisierten Lieblingssteckenpferden und angeschlossenen Machterhaltungsapparaten, die funktionieren, indem sie (neben ein paar integren Einzelfiguren) vor allem die unangenehmsten Elemente ihres jeweiligen Soziotops anziehen und mit dem glaubhaften Versprechen von Posten an sich binden (die Wichtigtuer, die habituellen Kleinganoven, die Möchtegern-Alphamännchen). Natürlich sind die F-Politiker alles das genauso, aber sie sind darüber hinaus auch noch imstande, die Hoffnung, für die sie vermeintlich stehen, und den Begriff von Gesellschaft, aufgrund dessen sie zu agieren vorgeben, glaubhaft und in eigenen Worten zu erklären. Das liegt daran, dass diese Hoffnung und dieser Begriff falsch, dämlich und auf das Ausdrucks- wie Auffassungsvermögen von Betrunkenen zugeschnitten ist. (Das heißt jetzt natürlich nicht, alle FPÖ-WählerInnen wären doof—es heißt nur, dass es der Partei nützt, auch die Doofen ohne großen Substanzverlust ansprechen zu können).

Anzeige

Zweitens: SPÖ, ÖVP und in zunehmendem Maße auch die Grünen verhalten sich gegenüber der Sachzwanglogik des freien Marktes, als handle es sich dabei um so etwas Ähnliches wie das Wetter. Ihnen fallen zwar immer „Antworten" ein, die jeweiligen Steckenpferd entsprechen: Jede neue Zumutung ausgiebig verwalten (SPÖ), Überwinterungsnischen in „gewachsenen", meist patriarchalischen, Strukturen bauen (ÖVP), pädagogische Maßnahmen ersinnen, die die Bevölkerung zu einem richtigen Leben im Falschen erziehen sollen (Grüne). Aber das alles gleicht bloß unterschiedlichen Methoden, ein metaphorisches Haus sturmsicher zu machen. Jede dieser Antworten geht von derselben falschen Vorstellung aus, dass es ein Sturm sei, der dieses Haus bedrohe, und nicht vielmehr das Fehlverhalten seiner EigentümerInnen. Die einzige bundesweit gut vertretene Partei, die habituell glaubhaft vermittelt, dass sie das System selbst für änderbar hält, ist die FPÖ. Dass es sich bei den von ihr vorgeschlagenen oder bloß angedeuteten Änderungen um vormodernen Schwachsinn handelt, tut nicht viel zur Sache: Die Haltung kommt an, ehe das Argument Schiffbruch erleiden kann.

Noisey: Unsere Analyse zum Wahlkampf-Song der „Blauen Lady"

Drittens: Ja, wir haben ein Problem mit Parallelgesellschaften. Bloß eben nicht (nur) mit jenen, auf denen die FPÖ so gerne herumhackt. Vielmehr haben wir keine—zum Beispiel religiös oder ethnisch definierte—Mainstreamgesellschaft mehr, sondern einen Haufen von parallelen Gesellschaften, die sich gegenseitig zunehmend weniger zu sagen haben. Der geschichtliche Moment, da die SPÖ der Siebziger/Achtziger so tun konnte, als müsste sie keine Klassenpartei mehr sein, weil Klassen ja überwunden wären—"jeder Arbeiter ein Aktionär" und so—ist vorüber. Und nicht nur das, sondern dieser Moment stellte geschichtlich die absolute Ausnahme dar.

Anzeige

Österreich und überhaupt das reiche Mitteleuropa holt derzeit nur langsam nach, was anderswo auf der Welt unter den sich verschärfenden Marktbedingungen schon längst passiert ist. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis es auch hierzulande die ersten echten Gated Communities gibt. Wiederum ist die FPÖ die einzige Partei, die diesem vorhandenen Grundgefühl einen Ausdruck verleiht. Und wiederum ist dieser Ausdruck sachlich falsch. Er besteht im Wesentlichen darin, den Neid zwischen den Angehörigen der unterschiedlichen "Parallelwelten" zu schüren und Abgrenzungskriterien anzubieten, an denen sich entscheiden soll, wer dazugehört und wer nicht.

Viertens: Jene WählerInnen, die alles das so ähnlich sehen, und jene anderen, die ihrerseits das Geschehen in der politischen Arena für so etwas wie das Wetter halten, gehen gar nicht mehr zur Wahl. Kein Wähler ist mehr ist gezwungen, sich für ein wahrgenommenes kleineres Übel zu entscheiden. Das heißt auch: Keine Partei muss sich mehr bemühen, den ganz Unpolitischen zu zeigen, dass sie für irgendetwas wirklich gut ist. Stattdessen sind die Parteien gezwungen, ihre „Kernwählerschichten" zu mobilisieren—oder zumindest das, was sie dafür halten. Und das geht, wie wir wissen, durch Symbolpolitik viel leichter als durch echte realpolitische Arbeit.

Die Minimalforderung, die sich da aufdrängt, wäre, die Wahlpflicht wieder einzuführen. Was spricht gegen sie? Nebulöse Freiheits-Rhethorik—und das war's dann auch schon. Für sie hingegen spricht, dass sie Bedingungen schaffen würde, unter denen die Parteien nicht mehr derart ausschließlich für Großmäuligkeit belohnt würden.

Anzeige

Welche Szenarien für die nächsten paar Jahre steirische Landespolitik lassen sich aus diesen vier Beobachtungen ableiten?

Das erste Szenario für die nächsten vier Jahre ist, dass nach dieser Katastrophenwahl die Funktionärsschichten und Gremien von SPÖ und ÖVP aufwachen, die Welt außerhalb der Politblase zur Kenntnis nehmen und sich realitätsgerecht verhalten. Das hieße zum Beispiel: Sie hören auf, integre Einzelpersonen, die sich engagieren wollen, systematisch zu vergraulen; sie nehmen ihre eigenen ideologischen Wurzeln wieder ernst und betragen sich in der öffentlichen Auseinandersetzung dementsprechend; sie bieten (auch) jungen Menschen (und nicht nur NachwuchspolitikerInnen) wieder brauchbare Andockpunkte an ihre Strukturen und Einflusssphären. Natürlich ist es in einer Funktionärspartei für Funktionäre lustiger als in einer Mitgliederpartei, doch ob es um das brave Tagesgeschäft geht oder um schwindlige Geschäfte mit Ortsparteikassen und Bauentwicklern (um hier nur eine mögliche Karikatur zu skizzieren)—in einer echten Mitgliederpartei hätten weder die Hallodris noch die Betonköpfe allzu viel Spielraum. Dieses erste Szenario ist auch entsprechend unwahrscheinlich (weil bedrohlich für die Funktionäre, die die entsprechenden Entscheidungen zu treffen hätten).

Das zweite Szenario für die kommende Legislaturperiode im Lande Steiermark ist, dass alles so weitergeht wie bisher—die Ohrfeige bei der Wahl hätte nichts gebracht, Voves und Schützenhöfer würden erst mal weitermachen. Irgendwann in zwei bis drei Jahren geben sie die innerparteiliche Macht an andere ab, aber an Tonfall und Art der Landespolitik würde sich nichts ändern. Nach der nächsten Wahl dann bekommen wir im besten Fall Rot-Blau, im schlechtesten Fall einen blauen Landeshauptmann.

Anzeige

MOTHERBOARD: Die Instagram-Pathologin mit 100.000 Followern

Was uns auch zum dritten Szenario für die Steiermark bringt, das fast ein bisschen zu verführerisch ist. Da die anderen bundesweit vertretenen Parteien in der Steiermark ihre Köpfe einfach nicht aus dem Sand bekommen werden, um ihrerseits alles das richtig machen zu können, was die FPÖ leider richtig macht (siehe oben), wäre es doch zumindest gut, wenn man die FPÖ dabei vorführen würde, wie sie alles das falsch macht, was die anderen Parteien auch falsch machen—und zwar unter kontrollierten Bedingungen. Das soll heißen: Schwarz-Blau im Land muss her.

Wenn sich nämlich im Zuge einer schwarzblauen Koalition auf Landesebene das FPÖ-Personal ein paar Jahre lang so aufführt, wie wir wissen, dass es sich aufführt, wenn es darf, dann spricht sich vielleicht auch unter den WählerInnen herum, dass es sich da bloß um eine weitere Partei handelt, die ihre Sorgen genauso wenig ernst nimmt wie die anderen. Dann nutzt auch die überlegene FPÖ-Rethorik nichts mehr.

Gegen dieses Szenario könnte man natürlich einwenden, dass die FPÖ in manchem Fragen völlig unmenschliche Positionen vertritt—eben im Hinblick auf Asylsuchende, Flüchtlinge und Migranten generell. Dieser berechtigte Einwand verkennt, dass Rot-Schwarz schon jetzt (in Stadt-Land-Bund) alles tut, um „in der Sache" FPÖ-Politik zu betreiben. Viel schlimmer, als es ist, kann es zum Beispiel im Sozial- und Kulturbereich sowieso nicht mehr werden.

Anzeige

Wenn die FPÖ jetzt mitregiert, bleibt uns in Zukunft wenigstens ein blauer Landeshauptmann erspart.

Außerdem könnte man noch einwenden, dass die Blauen die steirischen Landesfinanzen vollends an die Wand fahren könnten—und das kann doch niemand wollen, oder? Darauf könnte man allerdings auch entgegnen, dass immerhin wir SteirerInnen selbst es waren, die den zur Debatte stehenden Mist gewählt haben. Wenn ihr mich fragt, würde uns da eine Landesinsolvenz durchaus recht geschehen.

Ich bin auf jeden Fall für Szenario 3. Und zwar, weil sich die alten Parteien nicht über Nacht ändern werden und ein „Alles geht weiter wie bisher" einfach nicht vertretbar ist. Was mir aber wichtig ist:

Ich schlage damit durchaus nicht das gleiche vor, womit uns Schüssels Apologeten 1999 auf die Nerven gegangen sind („entzaubern" hieß das Stichwort).

Der erste Unterschied zu damals besteht darin, dass die reale Politik heute—nicht nur landes-, sondern bundesweit—in allen heiklen Sachzusammenhängen sowieso schon dort ist, wo die FPÖ sie haben will. Das heißt, so leid es mir tut und so traurig das klingt, dass keine großen realen Verschlechterungen zu erwarten sind. Und einen Vorteil hätte es am Ende, glaube ich, schon: Denn wenn die FPÖ mitregieren darf und die Wähler sie endlich auch mal beim Versagen sehen, wären die Kollateralschäden wesentlich geringer, als wenn wir noch mal ein paar Jahre so weitermachen—und dann ein blauer Landeshauptmann das Ruder übernimmt.


Titelbild: ::Lenz | flickr | CC by 2.0