Politik

Horst Seehofer will nach Halle jetzt Gamer überwachen – damit hat er recht

Und trotzdem liegt er total daneben.
Horst Seehofer im Deutschen Bundestag
Foto: imago images / Christian Spicker

Der Terrorist von Halle ist ein antisemitischer Rechtsextremist. Er hat seine Taten auf Twitch gestreamt und Zielvorgaben wie für ein Computerspiel entworfen. Innenminister Horst Seehofer fordert nun eine stärkere Überwachung der Gamingszene, unterstützt von Politikern der SPD und der Grünen.

Es ist ein altbekannter Reflex: Eine Katastrophe passiert und schnell muss Entschlossenheit demonstriert werden. Die Diskussion um Hintergründe und Ursachen wird so systematisch verhindert.

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Selbst ernannte Helden

Womit Horst Seehofer recht hat: Die Gaming-Szene ist teilweise sexistisch, rassistisch und ein Ort für die Radikalisierung junger Männer. Sei es Massenmobbing wie Gamergate, wo sich zahlreiche Menschen ihrem Frauenhass öffentlich hingaben, oder eher versteckte Foren, in denen Rassismus und Antisemitismus langsam von Memes normalisiert werden. Im Netz finden junge Männer, die sich selbst als Ausgestoßene sehen, eine Heimat. Sie dürfen wütend sein, entwickeln eigene Sprachcodes und fühlen sich als Teil einer verschworenen Gemeinschaft. Aus einem vermeintlichen Opfer wird dann schnell ein selbst ernannter Held – einer der Redefreiheit, der Männerrechte oder der Volksgemeinschaft, der man sich gerade angehörig fühlt. Rechtsextremen hilft dieser Mechanismus. Sie nutzen die Szene aus, indem sie gezielt nach solchen labilen Persönlichkeiten suchen und sie rekrutieren.

Genau wie die Politik reagiert auch ein Teil der Gamingszene erwartbar. Zusammenstehen, relativieren, #notallgamers. Besonders beliebt ist der sarkastische Einwurf, der Täter habe ja auch Brot gegessen, weswegen man nun alle Brotesser unter Beobachtung stellen müsse. Selbstverständlich sind Gamer weder grundsätzlich rechtsextrem noch greifen sie zur Waffe und schießen um sich. Dieses Modell von Ursache und Wirkung ist schon seit den ersten "Killerspieldebatten" widerlegt.

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Dorothee Bär im Latexanzug

Wenn sich aber Teile der Szene aus Angst vor einer neuen Killerspieldebatte weigern, eine Diskussion um Antisemitismus, Rassismus und Antifeminismus in den eigenen Reihen zu führen, dann schützen sie dadurch die Neonazis.

Es fällt allerdings auch schwer, die Politik in dieser Debatte ernst zu nehmen. Einerseits schleimt man sich immer wieder in der Szene ein, möchte jung und cool wirken, wenn Angela Merkel die Gamescom 2017 eröffnet oder Dorothee Bär im Latexanzug auf der Gala zum Deutschen Computerspielepreis herumhüpft. Die Bundeswehr wirbt sogar auf der Gamescom mit dem Slogan "Multiplayer at it's best". Sobald die Szene aber negativ auffällt, gibt es eine Verbots- und Kontrolldebatte, anstatt sich des Problems anzunehmen.

Viel wichtiger wäre Ursachenforschung: Warum fühlen sich junge Männer von der Gesellschaft derart zurückgewiesen, dass sie sich in Foren radikalisieren?

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