Zu Besuch im modernsten Kaffeelabor der Welt
​Alle Bilder: Jason Koebler.

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Zu Besuch im modernsten Kaffeelabor der Welt

Wenn du mit den Worten „Willkommen bei der NASA Kolumbiens“ begrüßt wirst, dann weißt du, dass du an einem besonderen Ort gelandet bist.

​Ich befinde mich in einem Raum voller Chemiebaukästen, Infrarotsensoren, Labornotizen und zahllosen Frischhaltebeutel, die mit Kaffeebohnen gefüllt sind. Die Bohnen sehen alle exakt gleich aus, aber ein hauchfeiner Unterschied ist immer zu schmecken.

Um mich mit einem Kaffee zu bewirten, füllt mein Tourguide Gustavo genau 11 Gramm Kaffee aus einem Beutel mit sechsstelliger Nummer in eine industriell anmutende Maschine. Dann gibt er genau 150 Milliliter Wasser hinzu und erhitzt das Ganze auf exakt 90 Grad. Ein paar Minuten später trinke ich den besten Kaffee meines Lebens.

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„Du bist jetzt ein Teil des Experiments", sagt er.

Ich habe jetzt schon sechs oder sieben dieser kleinen Tassen Kaffee geleert und mir wird klar, warum der Taxifahrer so stolz war, mich vor dem alternden, aber trotzdem beeindruckenden Backstein-Hauptgebäude von Cenicafe abzusetzen. Er verabschiedete mich mit den Worten: „Willkommen bei der NASA Kolumbiens."

Bild: Das Hauptgebäude von Cenicafe

Kolumbien ist für zwei wachmachende Substanzen bekannt, aber Kaffee ist der Stoff, den sich das Land auch gerne offiziell auf die Fahne schreibt. Und es stimmt: In Kolumbien findet man den besten Kaffee der Welt. Der durchschnittliche Kaffee-Connaisseur wird dir wahrscheinlich erzählen, dass das etwas mit Kolumbiens Klima oder der vulkanischen Erde zu tun hat. Zwar liegen sie damit nicht komplett falsch, aber solche Vereinfachungen sind eben nur die halbe Wahrheit.

Kolumbien ist auch zum Vorreiter des Weltmarkts für Premium-Kaffee geworden, weil das Land das Thema „Kaffee" wirklich sehr ernst nimmt. Seinen Anfang nahm alles in dieser staatlichen Einrichtung, in der man sich seit über 70 Jahren intensiv mit diesem Getränk beschäftigt.

Im Allgemeinen trifft man nur auf zwei Sorten Kaffee: Coffea canephora und Coffea arabica. C. canephora—auch unter dem Namen Robusta bekannt—lässt sich dabei leicht anbauen, ist dank seiner großen genetischen Vielfalt von Natur aus immun gegen Ungeziefer und Krankheiten und wirft üblicherweise viel mehr Kaffee ab als Arabica.

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Bei Robusta-Kaffee gibt es nur ein Problem: Er schmeckt im großen und ganzen schrecklich. Arabica hingegen ist zwar richtig lecker, hält aber leider nicht wirklich viel aus—er ist extrem empfindlich gegenüber Krankheiten, Parasiten und (was Kaffeesüchtigen immer mehr Angst bereitet) auch wechselndem Klima. Das 1927 von der ​kolumbianischen Regierung gegründete Cenicafe schafft es besser als alle Anderen spezialisierten Einrichtungen, diese zwei Kaffeebohnen-Sorten in einer Tasse zu einem unvergleichlichen Hochgenuss zusammenzuführen.

„Meistens konzentrieren sich die Forscher in diesem Feld darauf, wie sich Kaffee auf den Menschen auswirkt. Die agrarwissenschaftliche Forschung wird dabei weitgehend vernachlässigt", erklärt mir Alvaro Gaitan, der Forschungsleiter von Cenicafe. „Das ist ja an sich nicht schlimm, aber dann veränderte sich das Klima und der Roya-Pilz breitet sich aus, und schon lief alles schief, was schief laufen kann. Hier in Kolumbien konnten wir uns immerhin glücklich schätzen, durchgängig im Bereich Kaffee geforscht zu haben."

Bild: Experimentalkreuzungen wachsen auf dem Gelände von Cenicafe und viele von ihnen schaffen es auch nie vor dort weg.

All das sollte jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass die Kaffeebauern vor allem in Mittelamerika dennoch momentan ​eine harte Zeit durchmachen. Schuld daran ist ein als Roya oder Kaffeerost bekannter Pilz, der die Blätter der Kaffeepflanze braun färbt. In El Salvador ist davon 75 Prozent der Ernte betroffen, in Costa Rica gut zwei Drittel. In Guatemala haben aufgrund Roya in den letzten beiden Jahren über 100.000 Kaffeebauern ihren Job verloren. Experten gehen dabei davon aus, dass der Klimawandel dabei stetig bessere Wachstumsbedingungen für den Pilz schafft.

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Die Erderwärmung droht dabei selbst ohne die zusätzliche Hilfe von Roya, fast 100 Prozent des ​in der Natur wachsenden Arabicas zu zerstören. Das wäre eine fatale Entwicklung, denn damit würde auch eine wichtige Ansammlung an von Natur aus unterschiedlichen Kaffeesorten wegfallen.

Kolumbien ist zum Großteil von diesen hässlichen Folgen des Klimawandels verschont geblieben, was das Land vor allem Cenicafe zu verdanken hat. Schon seit Jahrzehnten haben die dortigen Forscher Arabica- und Robusta-Sorten gekreuzt, um der nächsten Bedrohung für die Kaffeeindustrie immer einen Schritt voraus zu sein. Zwar gibt es auch in anderen Ländern Forschungseinrichtungen, aber die sind alle relativ neu, werden zum Teil kaum finanziell gefördert und beugen sich allzu häufig auch vorschnell dem Druck der Bauern und Agrarverbände, wenn eine schlechte Anbausaison eintritt und neue Sorten gefordert werden.

Wenn man eine unfertige Kaffeesorte für den Markt freigibt, dann kann das nämlich katastrophale Folgen haben. Genau das ist vor einigen Jahren auch in Mittelamerika geschehen, was zur Verbreitung der allgemein akzeptierten Meinung unter Kaffeefreunde geführt hat, dass jegliche neuere Sorten qualitativ gesehen nicht so hochwertig wie ihre Vorgänger sein kann.

„Tricksereien sind tabu. Die mittelamerikanischen Länder wollten die große Herausforderung der schwierigen Züchtung einer guten und resistenten Sorte schlicht überspringen und haben ihren Bauern deswegen die neuen widerstandsfähigen Sorten sofort zur Verfügung gestellt", erzählt Gaitan. „Das Problem dabei war die fehlende Qualität. Deswegen schmeckte es den Konsumenten auch nicht und resistenter Kaffee wird seitdem mit schlechtem Geschmack verbunden."

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Bild: Im Labor werden sowohl Tabak- als auch Kaffeepflanzen untersucht um herauszufinden, welche Gene für das Blühen und für den Geschmack verantwortlich sind.

Cenicafe hat seit seinem Bestehen nur eine Handvoll neuer Sorten auf den Markt gebracht, von denen viele über einen Zeitraum von 10 Jahren oder mehr entwickelt wurden. Natürlich gibt es noch weitere Kaffee-Forschungszentren auf der Welt—in letzter Zeit wurde der Pflanze immer ​mehr Aufmerksamkeit zuteil—, aber Cenicafe ist eines der ältesten und kann mit Fug und Recht auch als eines der weltweit erfolgreichsten High-Tech-Kaffeelabore gelten.

Neben dem bloßen Kreuzen von verschiedenen Kaffeesorten hat man bei Cenicafe auch mit dem Einsatz von Gentests (was nicht mit genetischen Modifizierung gleichzusetzen ist) begonnen, um bessere Kreuzungsmethoden zu entwickeln.

Während meines Besuchs macht sich bei mir aber auch der Eindruck breit, dass Cenicafe im Allgemeinen mit vielen Dingen herumexperimentiert. Das verdeutlichen auch die unzähligen, sauber aufgereihten Kaffeepflanzen, die mir Gustavo vorführt: Viele davon wachsen nur hier, denn sie wurden hier entwickelt und werden hier auch wieder sterben. Andere wiederum stammen aus Äthiopien, dem Heimatland von wildem Kaffee, wieder andere aus Mittelamerika und manche sind einfach nur experimentelle Kreuzungen aller anderen Sorten.

All diese Pflanzen haben als Setzlinge genügend Potenzial gezeigt, damit Cenicafe sie wirklich weiter anbaut. Viele davon werden zu Früchten erblühen, die Gustavo dann später für internationale Profi-Kaffeetester aufbrüht, die das Ganze schließlich bewerten. Wenn es nicht schmeckt, dann wird die Sorte nicht weiter berücksichtigt—egal wie resistent sie auch gegen Kaffeerost sein mag oder wie leicht sie sich anbauen lässt.

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„Wir verfügen über 100 Kaffeesorten, Arabica und Robusta sind nur zwei davon", erzählt Gaitan. „Das hier ist wie unsere Bank. Das Erbgut und die Vielfalt sind dabei das Geld, das auf der Bank liegt. Wir haben jedoch folgendes Problem: Wie kommen wir an dieses Geld ran? Zur Zeit nutzen wir nur ein bis zwei Prozent des äthiopischen Erbguts und deshalb ist es extrem wichtig, dass wir weitere Untersuchungen anstellen und herausfinden, wie genau es aufgebaut ist."

Bild: Im Labor werden auch Pilze und Krankheiten untersucht, die den Kaffeeanbau betreffen.

Doch man kann nicht einfach das Arabica-Genom sequenzieren und dann mit verschiedenen Genen von der Robusta-Variante austauschen dessen DNA erst vor Kurzem ​zum ersten Mal sequenziert wurde. Arabica-Kaffee ist tetraploid, was bedeutet, dass er vier komplette Chromosomensätze besitzt. Robusta ist genauso wie andere Kaffeesorten auch dagegen diploid; weist also nur zwei Chromosomensätze auf. Aus diesem Grund sind das Kreuzen oder das Einfügen von Genen alles andere als einfach.

„Das Ganze ist zwar genetisch noch recht instabil, aber wir denken, dass wir das hinbekommen", sagt er.

Das Forscherteam von Cenicafe untersucht aktuell die Genetik von Kaffee und hofft, damit in Zukunft längerfristige Produktionsrückgänge in Kolumbien auffangen—oder zumindest aufschieben—zu können. Gaitan und andere Wissenschaftler bauen kleinere Tabakpflanzen an—eine schneller wachsende und besser erforschte Pflanze als Kaffee—, um ihnen anschließend Gene einzuschleusen oder zu entnehmen. Das Ziel der Übung ist es, eine Pflanzenart zu entwickeln, die schneller wächst oder bessere Erträge liefert. Sollte man bei Tabak einen genetischen Durchbruch schaffen, dann würden die Forscher im nächsten Schritt versuchen, ihre Erkenntnisse auch auf Kaffee zu übertragen.

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Zudem wird untersucht, inwieweit bestimmte Mikroorganismen im Boden den Geschmack und das Wachstum von Kaffee beeinflussen können. In einigen Fällen kann das Vorkommen von bestimmten Mikroorganismen sogar die Anwendung von Düngemittel ersetzen. Dieses Forschungsgebiet wird Metagenomik genannt und erfordert, dass Forscher das Genom eines ganzen Ökosystems sequenzieren. Dann werden landesweit Bodenproben genommen und miteinander verglichen, woraufhin man den Kaffeebauern—abhängig von den Ergebnissen—bestimmte Anbausorten zuschickt.

Jeder Beutel enthält unterschiedliche Bohnen—einige wurden unterschiedlich geröstet, andere unterschiedlich fermentiert und wieder andere sind komplett neue Sorten. Die verschiedenen Geschmäcker werden anschließend sorgfältig dokumentiert.

In einem anderen Labor von Cenicafe werden die Kaffeebohnen auf jedes einzelne Element des Periodensystems untersucht. So will man festzustellen, ob der Boden mit bestimmten Elementen belastet ist, die sich auf den Geschmack oder die Robustheit der Kaffeepflanzen auswirken könnten. Und in einem weiteren Labor wiederum werden Kaffeebohnen infrarot bestrahlt, um den genauen Koffeingehalt pro Bohne zu analysieren. Andere Forscherteams haben es sich zur Aufgabe gemacht, herauszufinden, was die natürlichen Schädlinge des Kaffees sind. Und eine weitere Studie befasst sich mit der Frage, inwieweit sich Kaffeeplantagen auf tropische Vogelpopulationen auswirken.

Alle diese Forschungsprojekte haben sich mehr oder weniger als Glücksfall für die kolumbianische Kaffeeindustrie erwiesen. Aktuell befinden sich die Geschmacksvorlieben der ​wachsenden Mittelschichten in Asien dergestalt im Umbruch, dass dort immer mehr Verbraucher von Tee zu Instantkaffee konvertieren. Auch wenn bei Instantkaffee überwiegend Robusta-Bohnen zum Einsatz kommen, erhofft sich Kolumbien, dass die neuen Kaffee-Junkies im Laufe der Zeit auch einen Geschmack für Kolumbiens Premiumbohnen entwickeln.

„Genau das ist schon vielerorts geschehen", so Gaitan. „Erst geht es den Leuten um das Koffein, doch wenn sie erstmal auf den Geschmack gekommen sind, wollen sie bald auch etwas Hochwertigeres."

Die weltweit steigende Nachfrage hat leider gleichzeitig dazu geführt, dass für die Kolumbianer selbst nur noch wenig Qualitätskaffee übrig ist. Zwar kannst du noch in einem der vielen ​Juan-Valdez-Cafés—auf deren Firmenlogo Juan Valdez prangt, ein fiktionaler Werbecharakter, der zumindest in vielen US-Haushalten ein Begriff sein dürfte—einen guten Kaffee kriegen. Doch außerhalb der Verwetungskette—die zur Vereinigung der kolumbianischen Kaffeebauern, einer quasi staatlichen Organisation, zählt—sind Kaffeeliebhaber ziemlich aufgeschmissen. Frag einen Kolumbianer, wo du einen guten Kaffee bekommst, und die Antwort wird schnell lauten: „Steig lieber in ein Flugzeug."

„Wir trinken hier den schlechtesten Kaffee der Welt. Nur der Rest, der bestimmte Exportkriterien nicht erfüllt, bleibt im Land", erzählte mir Gaitan frustriert. „Da wir aber die Qualität im Allgemeinen stark verbessern konnten, haben wir mittlerweile so wenig Kaffee im Land, dass wir schon schlechten Kaffee aus dem Ausland einführen müssen. So sieht dann wohl die freie Wirtschaft aus."