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Bundestagswahl 2017

Warum Lena Meyer-Landrut mit ihrer Merkel-Werbung falsch liegt

Wegen Merkel könnten Frauen heute alles werden, sagt die Sängerin. Vier Gründe, warum das nicht stimmt.

Am Samstagnachmittag postet die Sängerin Lena Meyer-Landrut ein Porträt von sich in Schwarz-Weiß auf Facebook und Instagram. Dazu schreibt sie "Angela Merkel", setzt ein Herz-Emoji dahinter und ein Zitat: "weil sie Frauen die Vision gibt, alles werden zu können." Das Foto ist Teil der CDU-Kampagne "I love Raute". Über 9.000 Likes hat Lena für ihren Post bisher allein auf Facebook bekommen. Aber auch über 2.000 Mal das wütende Gesicht.

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Denn viele fanden: Nur weil sie eine Frau ist, heißt das noch lange nicht, dass Merkel auch tatsächlich für Frauenrechte einsteht.

"Angela Merkel tut gar nichts für Frauen. Und sie hat auch nicht vor, etwas dafür zutun", schreibt eine Nutzerin. Eine andere stimmt zu: "Angela Merkel macht es möglich dass Frauen träumen können, was Großes zu werden? Geringverdienerinnen merken davon nichts! Denen bringt eine Frau an der Spitze nichts, wenn sie einen zweiten Job brauchen, um durchzukommen."

Wir haben uns deshalb genauer angeschaut, ob es stimmt, was Lena sagt: Gibt Merkel Frauen Visionen?


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1. Frauen verdienen weniger als Männer

Frauen mit Vollzeitjobs verdienen 21 Prozent weniger als Männer. Sie arbeiten oft in anderen Branchen, sind eher in sozialen Berufen tätig, also in der Erziehung oder Pflege. Dort verdienen sie weniger. Es ist ja eigentlich schlimm genug, dass soziale Berufe weniger honoriert werden. Aber selbst wenn Männer und Frauen die gleichen Jobs machen, bleibt ein Gehaltsunterschied von sechs Prozent. Angela Merkel hat es nicht mal in zwölf Jahren Kanzlerschaft geschafft, die Lohnlücke schmaler werden zu lassen. Diese schrumpft im Schneckentempo: nur zwei Prozent seit 2006.

Im Jahr 2009 sagte Merkel dem Magazin Emma, dass sie staatliche Regelungen für eine gerechtere Bezahlung "wenig erfolgversprechend" halte. Frauen sollten lieber "selbstbewusst zum Chef" gehen und eine gleiche Bezahlung einfordern.

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2. Die Union fördert die traditionelle Rollenverteilung

Dass Frauen im Schnitt weniger als ihre Ehemänner verdienen, wird von Angela Merkels Partei gefördert. Denn wenn die Gehaltsunterschiede zwischen einem Ehepaar sehr groß sind, spart es Steuern. Das nennt man Ehegattensplitting. Da es in der Regel die Frauen sind, die weniger verdienen, fördert das Ehegattensplitting alte Rollenmuster. So bleiben Frauen eher zu Hause, machen Jobs auf 450-Euro-Basis, oder arbeiten nur 20 Stunden die Woche und kümmern sich deutlich mehr um die Kinder als die Väter – und das in einer Zeit, in der mehr als 70 Prozent der deutschen Väter gerne kürzer treten würden.

"Die CDU richtet sich ja an die sogenannte Mitte. Dort sind diejenigen situiert, die in eher traditionellen Verhältnissen leben – in Ehen, wo der Mann noch Hauptverdiener ist. Und die profitieren zunächst natürlich einmal vom Splitting, nur macht es Frauen eben langfristig abhängig von ihren Partnern", sagt Sabine Berghahn, Dozentin für Gleichstellungs- und Antidiskriminierungspolitik am Berliner Otto-Suhr-Institut zu Broadly. Obwohl schon lange bekannt ist, dass das Ehegattensplitting die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern vergrößert, wollen Union und FDP es behalten. So sehr profitieren die eigenen Wähler davon. SPD, Grüne und Linkspartei wollen es abschaffen.

3. Frauen bleiben in Teilzeit stecken

In keinem anderen europäischen OECD-Land tragen Frauen so wenig zum Familieneinkommen bei, wie in Deutschland. Und das liegt vor allem daran, dass Frauen hierzulande sobald sie Kinder haben, meist in Teilzeit arbeiten. Knapp 40 Prozent aller deutschen Frauen arbeiten mit reduzierter Stundenzahl. Frauen bleiben so finanziell abhängig von ihrem Partner. Außerdem ist dauerhafte Teilzeit nicht nur für die Karriere schlecht, sondern auch für die Rente. Denn: Wer weniger arbeitet, bekommt weniger Gehalt, zahlt weniger in die Rentenkasse ein und wird im Alter wahrscheinlich eine Rente haben, die nicht hoch genug ist, um davon leben zu können. Und weil nunmal rund jede dritte Ehe irgendwann geschieden wird, gehen Frauen ein ziemliches Risiko ein, finanziell abzurutschen, wenn sie nicht für sich selbst sorgen können.

Besonders blöd ist: Es gab schon einen Gesetzentwurf, das sogenannte "Rückkehrrecht", der vorsah, dass Beschäftigte zu ihrer ursprünglichen Arbeitszeit zurückkehren können. Eigentlich hatten sich Union und SPD nur noch über die Größe der Unternehmen gestritten, für die das Gesetz gelten sollte. Merkel war für eine Unternehmensgröße ab 200 Beschäftigten, die SPD für 15. Das Gesetz liegt deshalb erstmal auf Eis. Die SPD wirft Merkel vor, sich von den Arbeitgeberverbänden unter Druck setzen zu lassen.

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4. "Nein" zur Ehe für Alle

Angela Merkel hat den Weg für die Abstimmung zur Ehe für Alle geebnet. Allerdings eher unfreiwillig und nachdem sich ihre Partei jahrelang dagegen gestemmt hatte. 2010, 2011 und 2012 haben die Landesparlamente Gesetzesinitiativen eingebracht und scheiterten am Widerstand der Union. Im Bundestag hatten dies regelmäßig Grüne und Linke getan. Die Kanzlerin hat sich immer schwergetan mit einer kompletten Gleichstellung und stimmte letztendlich auch bei der Bundestagsabstimmung Ende Juni 2017 mit "Nein".

Fazit: nur eine gute Verpackung

Frauen können sich Angela Merkel zum Vorbild nehmen. Unter Umständen können sie es auch schaffen, alles zu sein, was sie wollen. Nur fair bezahlt werden sie dafür eher nicht. Wahrscheinlich ist es auch, dass sie in Merkels Deutschland nur in Teilzeit arbeiten oder über längere Zeit ganz zu Hause bleiben. Ganz zu schweigen davon, dass Frauen, die Frauen lieben, für die Kanzlerin nicht die gleichen Rechte haben sollten wie jene in heterosexuellen Partnerschaften.

Wenn sich Merkel doch für Frauen einsetzt, dann oft nur durch äußeren Druck. Das zeigte sich zum Beispiel bei der Frauenquote: Als die damalige Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) 2011 eine Frauenquote von 30 Prozent in Vorständen forderte, schob Merkel ihr noch den Riegel vor. Vier Jahre später setzte sich Merkel dann aber doch dafür ein. "Unter Merkel werden soziale Maßnahmen für Frauen häppchenweise serviert – das würde wahrscheinlich auch für die Zukunft des Gender-Pay-Gaps gelten", analysiert die Politikwissenschaftlerin Sabine Berghahn.

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Klar, wer auf über zehn Jahre Merkel-Kanzlerschaft zurückblickt, sieht auch Erfolge: das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, familienpolitische Maßnahmen wie das Elterngeld, den Rechtsanspruch auf Kitas oder das verschärfte Sexualstrafrecht.

Die treibenden Kräfte hinter diesen Errungenschaften waren unter Merkels Schirmherrschaft aber meist die jeweiligen Familien- oder Arbeitsministerinnen. "Das feministische Element, das Merkel zu einem gewissen Grad mitträgt, hat sie in der Vergangenheit bestimmten Ministerinnen überlassen", sagt Berghahn. Besonders Ursula von der Leyen (CDU) und Manuela Schwesig (SPD) haben Merkel mit ihren Themen teils ziemlich unter Druck gesetzt.

Im aktuellen Wahlkampf hat die Kanzlerin Frauen und LGBTQ bisher noch wenig versprochen. Dass Angela Merkel also, wie Lena behauptet, sich besonders für Frauen einsetzt, ist höchstens eins: eine gute Verpackung.

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Update 22.9.2017: In einer früheren Version des Textes haben wir versehentlich geschrieben: "Selbst Parteikolleginnen wie Jenna Behrends sagen: 'Das mit dem schlechten Bauchgefühl nimmt man ihr nicht ab. Merkel (…) muss als Parteivorsitzende den christlich-konservativen Korpsgeist der CDU repräsentieren.'" Diese Aussage stammte nicht von Jenna Behrends, sondern von Sabine Berghahn. Wir haben diese Passage entfernt und entschuldigen uns für den Fehler.