Politik

Die Union hat die Wahl verloren, regieren will sie trotzdem – um jeden Preis

Jetzt soll Armin Laschet, der Wahlverlierer, ins Kanzleramt stolpern. Man bekommt fast Mitleid.
Armin Laschet mit Karnevalsmütze und Orden, der C
Foto: IMAGO / Future Image

Die Tragik des Karnevals, diesem seltsamen, rheinischen Brauch, erschließt sich nur für Außenstehende. Da verabreden sich Menschen zur Freude und Ausgelassenheit. Sie feiern, tagelang, bis die Freude nur noch versteinerte Mimik ist.

Armin Laschet, der Verlierer dieser Bundestagswahl, erscheint wie der Karnevalist, der weitertanzen muss: Beine in die Luft, Hände in die Höh’. Obwohl er so traurig ist, so fertig, so kraftlos, dass es am Wahlabend nicht mehr zu einem Lächeln reicht. Und lächeln kann er eigentlich gut.

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Laschet, der beschwingte Christdemokrat aus Aachen, nicht unsympathisch, der lustige Cigarillopaffer, der immer wirkt wie hineingeraten in die ganze Sache, stolperte mit großer Konsequenz durch diesen Wahlkampf. Ihn überfiel im Hochwassergebiet ein Lachanfall, er fühlte sich von Kinderreportern unfair behandelt, weil sie ein Knopf im Ohr hatten, er stellte ein Experten-Team vor und noch ein Experten-Team, zum Schluss faltete er seinen Wahlzettel falsch und hielt ihn in die Kameras. Kleinigkeiten. Viele Kleinigkeiten, die sich zum Mosaik eines fröhlichen Pannenkandidaten zusammenfügen.

Seine Partei war ihm nicht unbedingt eine Stütze, weil sie selbst wankt: von Merkel zurückgelassen, programmatisch entkernt, erodiert durch Maskendeals und die Aserbaidschan-Affäre. Laschet und die Union: Wie zwei müde, verfeierte Gestalten, die sich auf dem Heimweg aneinander lehnen, zusammengehalten durch den unbedingten Willen zur Macht. Am Ende holte Laschet das schlechteste Ergebnis aller Zeiten (24,1 Prozent, 8,8 weniger als bei der letzten Wahl).

Armin Laschet: Der tragische Tanz des Verlierers

Und dieser Mann will jetzt ins Kanzleramt stolpern. Auf einer persönlichen Ebene ist es verständlich, dass Laschet um sein Überleben kämpft. Wenn er nicht Kanzler wird, verliert er politisch alles. Den Vorsitz der Partei. Sein schönes Amt als Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Aber will die Union diesen Überlebenskampf, den tragischen Tanz des Verlierers, nun öffentlich aufführen? Ist das die Seifenoper, die wir uns tagelang ansehen müssen? Der Mann tut einem fast leid.

Interessant ist auch die Rolle der FDP (11,5 Prozent, 0,5 mehr als bei der letzten Wahl). Sie muss etwas richtig gemacht haben in diesem Wahlkampf. Sie ist die stärkste Partei unter Erstwählern, zweistärkste Kraft bei der Wählerschaft unter 30 Jahren. Die Jugend ist genauso gelb wie grün. Es könnte das Zukunftsthema Digitalisierung sein, das junge Menschen überzeugt hat. Dieser Erfolg sollte alle irritieren, die Liberale mit verstaubten Kabarettpointen bekämpfen. Auf Twitter begann schon am Wahlabend die Erstwählerbeschimpfung: verzogene Schnösel. So kann man es sich natürlich auch zurechtlegen. Die FDP hat längst eine starke, moderne zweite Reihe. Man muss die eigenen Klischees schon sehr umklammern und die Augen fest verschließen, um das zu übersehen.

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Wettbewerbspartei wählt Wahlverlierer?

Den Nimbus der jugendlichen Zukunftspartei kann die FDP allerdings verspielen, wenn für Sondierungen eine Männerfreundschaft zwischen Christian Lindner und Armin Laschet (die in NRW zusammen regieren) wichtiger ist als eine moderne Koalition. Und wäre es für eine Partei, die für Wettbewerb und Anstrengung steht, nicht geradezu widersinnig, den Wahlverlierer zum Kanzler zu wählen? Leistung soll sich doch lohnen.

Die Grünen sind in der widersprüchlichen Lage, das beste Ergebnis ihrer Geschichte erreicht (14,8 Prozent, Plus 5,9 zur letzten Wahl) und gleichzeitig verloren zu haben. In den Umfragen waren sie noch auf dem Weg ins Kanzleramt. Trotz vereinzelter Umdeutungsversuche ist diese Erkenntnis bei den Grünen angekommen: Sie haben eine historische Chance verspielt. Vielleicht haben auch gelegentliche Anfälle von Selbstgerechtigkeit was damit zu tun. Da verhielt man sich teilweise wie beleidigte CDU-Landräte in der Provinz. SPIEGEL-Kolleginnen wurden angeblafft für ein unfreundliches Grünen-Cover. Eine ARD-Moderatorin musste sich bei den Grünen gar entschuldigen, weil sie in einem Baerbock-Interview eine unangenehme, aber vertretbare Frage gestellt hatte. Ein prominenter Grüner beschimpfte wahlweise Saskia Esken oder Journalisten, er witterte gar einen "rechten Propagandakrieg" gegen die Ökopartei.

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Apropos rechts. Die Klimakrise ist die größte Herausforderung für die Menschheit und die nächste Regierung. Aber die Grünen tendieren zu gefährlicher Monothematik. In Österreich haben sie sich so sehr auf das Klima konzentriert, dass sie sich in Koalitionsverhandlungen vom rechten Sebastian Kurz über den Tisch haben ziehen lassen. Und jetzt sind sie plötzlich in Wien in einer Regierung, die zwar irgendwie gegen die Klimakrise kämpft, aber eben auch Abschiebungen nach Afghanistan fordert. Motto: Klima und Grenzen schützen. Die Grünen sind, auch wenn sie manchmal anderes ausstrahlen, keine Nichtregierungsorganisation zur Rettung der Welt. In Deutschland regieren sie in elf Bundesländern. Man muss sie knallhart an ihren Taten messen. Zum Beispiel sollte man Windräder im grün regierten Baden-Württemberg zählen. Spoiler: Es sind eher wenige.

Die Wiederauferstehung der SPD

Wundersam ist die Wiederauferstehung der SPD (25,7 Prozent, Plus 5,2 zur letzten Wahl). Die Satirepartei Die PARTEI plakatierte im Wahlkampf die Illustration eines Armdrückens: SPD und Die Partei ringen um die Fünf-Prozent-Hürde. In jedem Witz steckt ein Fünkchen Wahrheit. Diesem Witz ist die Wahrheit abhanden gekommen.

Die SPD lebt und der Anti-Charismatiker Olaf Scholz hat sie beatmet. Seine Kampagne war fast fehlerfrei, die einstige Chaospartei präsentierte sich verstörend professionell. Und es wäre ja auch irgendwie würdig, wenn der letzte deutsche Kanzler der SPD nicht für immer Gerhard Schröder bliebe, der Lobbyist eines Diktators. Egal wie man zur SPD steht, ist es doch so: Dass der schwarze Balken der Union nicht mehr einsam und konkurrenzlos in den Himmel ragt, belebt den demokratischen Wettbewerb.

Die Linkspartei hingegen ist fast verschwunden (4,9 Prozent, Minus 4,3 zur letzten Wahl), zerrissen von Flügelkämpfen zwischen Sektierern und Realos, zwischen Wagenknecht-Linken und den anderen Linken. Groß nur in den konservativen Fieberträumen vom Linksrutsch. Da waren sie groß wie Godzilla.

Die AfD, und das ist eine gute Nachricht zum Schluss, ist nicht gewachsen durch Querdenker, Verschwörungsgläubige und Klimaleugner (10,3 Prozent, Minus 2,3 zur letzten Wahl). Trotzdem sind zehn Prozent für eine rechtsextreme Partei zu viel. Diese Partei hat im Bundestag nichts verloren, sie ist und bleibt eine Schande.

Die nächsten Tage werden absurd spannend. Wobei man sagen muss, dass sich die Maßstäbe für Spannung in 16 Merkeljahren ziemlich abgesenkt haben. Die Parteien – Union, SPD, Grüne und FDP – werden sich umtänzeln. Und irgendwo zwischendrin wankt Armin Laschet, der traurige Karnevalist.

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