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So lebt es sich im kältesten Dorf der Welt

Ihr musstet heute fünf Minuten in der Kälte auf den Bus warten? In Oimjakon in Sibirien kann man nicht mal eine Brille tragen.

In der Nähe von Oimjakon | Bild: Maarten Takens | Flickr | Lizenz: CC BY-SA 2.0

So ein Wintereinbruch kann ganz schön nervig sein. Dick eingepackt mit gesenktem Kopf und hochgezogenen Schultern schlittern wir zur Haltestelle. Während wir dann bei -2 Grad bibbernd auf den Bus warten, fragen wir uns, wie unsere Vorfahren überhaupt auf die Idee kommen konnten, dass das Leben in unserer Klimazone menschlich zumutbar sei und warum wir nicht schon längst alle auf die Kanaren ausgewandert sind.

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Über solche Probleme können die Bewohner von Oimjakon wohl nur lachen. Tatsächlich sind die knapp 500 Einwohner des sibirischen Ortes die Einzigen, die ein Recht darauf haben sollten, über eisige Temperaturen zu jammern—schließlich leben sie in der kältesten Stadt der Welt.

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Im abgeschiedenen Ort Oimjakon im Fernen Osten Russlands liegen die Durchschnittstemperaturen im Winter bei -50 Grad Celsius. Den Titel des kältesten bewohnten Orts der Welt verdankt das Dorf den -67,8 Grad Celsius, die 1933 dokumentiert wurden. Die niedrigste Temperatur auf dieser Erde wurde übrigens mit -89,2 Grad Celsius in der Antarktis gemessen.

Die meisten Bewohner von Oimjakon sind Jakuten, die traditionell von der Jagd und Rentierzucht leben. Da die 1.640 Meter tief gefrorene Permafrost-Erde Landwirtschaft unmöglich macht, dominiert Fleisch bis heute den Speiseplan. Gegenüber Weather.com hat der Oimjakoner Bolot Bochkarev nun berichtet, was es im Alltag bedeutet, in der kältesten Stadt der Welt zu leben,: „Jakuten lieben kaltes Essen, gefrorenen rohen arktischen Fisch, Lachs, Kabeljau, gefrorene rohe Pferdeleber." Da dies jedoch alles Delikatessen seien, ernährten sie sich im Alltag hauptsächlich von Suppe mit Fleisch. „Das Fleisch ist ein Muss", erklärt Bochkarev. „Es ist sehr wichtig für unsere Gesundheit."

Die Ernährung ist bei weitem nicht der einzige Aspekt des täglichen Lebens, der an die eisigen Temperaturen angepasst ist. So sind Dinge, die uns in mitteleuropäischen Gefilden völlig selbstverständlich erscheinen, in der sibirischen Ortschaft entweder unmöglich oder zumindest gefährlich. Selbst das Tragen einer Brille ist mit einem gewissen Risiko verbunden, da das Gestell am Gesicht festfrieren kann. Auch nach Sanitäranlagen sucht man im Großteil der Häuser dank des gefrorenen Bodens vergeblich. Der Gang zur Toilette führt für die meisten Menschen somit bei -50 Grad Celsius durch den Schnee.

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Damit die Wagenschmiere der Autos nicht einfriert, sind beheizte Garagen ein absolutes Muss—Parken im Freien ist nur mit laufendem Motor möglich. Von Flugzeugen wird die sibirische Region im Winter gar nicht erst angeflogen.

Die extreme Kälte gefährdet auch die Gesundheit. Laut des Kanadischen Zentrums für Arbeits- und Gesundheitsschutz können ungeschützte Hautstellen bereits nach zwei bis fünf Minuten bei -50 Grad Celsius erfrieren. Somit ist in Oimjakon das Risiko für Frostbeulen oder Hypothermie sehr hoch—der starke Abfall der Körpertemperatur, der zum Tod führen kann, ist vor allem für ältere Menschen eine Gefahr. Die eisigen Temperaturen können auch die Blutgefäße verengen und erhöhen somit das Herzinfarktrisiko.

Jakut-Pony in Oimjakon | Bild: Maarten Takens | Flickr | Lizenz: CC BY-SA 2.0

Wie überlebt man also in einer Umgebung, die kälter als jedes Gefrierfach ist? Die fleischlastige Ernährung der Jakuten ist genau das richtige. Sie versorgt den Körper mit der nötigen Energie, um die Körpertemperatur und das Gewicht dauerhaft aufrecht zu erhalten.

Der Fotograf Amos Chapple hatte nach einem Besuch des Dorfes noch einen weiteren wertvollen Tipp parat: „Russki Chai, also russischer Tee, die einheimische Bezeichnung für Vodka". Neben dieser Überlebensstrategie sind mehrere Kleidungsschichten mit mehreren Lagen Mützen, Tüchern und Handschuhen unbedingt zu empfehlen. Allgemein gilt: Man sollte das Haus nur verlassen, wenn es unbedingt nötig ist.

Knapp 700 Kilometer entfernt von Oimjakon liegt die Regionalhauptstadt Jakutsk, die selbst als kälteste Großstadt der Welt gilt. Doch auch wenn die russische Teilrepublik Sacha, in der Jakutsk und Oimjakon liegen, den Kälterekord hält, gibt es auch Gebiete in Alaska, Kanada und Skandinavien, die sich mit ihren eisigen Temperaturen nicht verstecken müssen.

Während sich die Bewohner von Oimjakon im Sommer immerhin an Temperaturen von über 30 Grad Celsius erfreuen dürfen, bringt es die Stadt Barrow in Alaska gerade mal auf einen Jahresdurchschnitt von lausigen -11 Grad Celsius. Als nördlichste Stadt der USA, kommt sie dank der Polarnacht außerdem in den Genuss von 60 Tagen kompletter Finsternis. Denkt also bitte demnächst zweimal nach, bevor ihr euch über lächerliche -2 Grad oder 0,5 Zentimeter Neuschnee beschwert.